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Durchsuchung II: Verhältnismäßigkeit, oder: Sachverständigengutachten?

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Im zweiten Beschluss, dem BVerfG, Beschl. v. 29.07.2020 – 2 BvR 1188/18, nimmt das BVerfG zur Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung Stellung. Auch hier hatte die Verfassungsbeschwerde Erfolg.

Angeordnet worden war die Durchsuchung in Hamburg. Dort hatte am 01.05.2015 ein Teilnehmer einer Demonstration zwei Glasflaschen sowie zwei weitere harte Gegenstände in Richtung der anwesenden Polizeibeamten geworfen, diese jedoch nicht getroffen. Die Taten wurden gefilmt und das Videomaterial wurde anschließend in Form von Standbildern zur Ermittlungsakte genommen. Der Täter konnte während und nach der Demonstration nicht aufgegriffen und seine Identität nicht geklärt werden, weswegen er im März 2016 zur Fahndung ausgeschrieben wurde.

Am Rande einer Demonstration am 30.06.2016 wurde dann der Beschuldigte von Polizeikräften in Hamburg angehalten, da er nach Auffassung der Polizeibeamten dem Flaschenwerfer vom 01.05.2015 ähnlich sah. Die Polizei stellte seine Identität fest und fertigte Lichtbilder von ihm an, die zur Ermittlungsakte genommen wurden. Gegen den Beschuldigten erging ein Strafbefehl wegen Versuchs der gefährlichen Körperverletzung. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch des Beschuldigten hin ordnete das AG auf Antrag des Verteidigers die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens an, um durch einen Bildvergleich zu klären, ob zwischen dem Täter vom 01.05.2015 und dem Beschwerdeführer eine Personenidentität bestehe. Die Sachverständige kam nach einem umfassenden Lichtbildvergleich zahlreiche Körpermerkmale des Täters vom 01.05. 2015 und des Beschuldigten zu dem Ergebnis, dass eine Identität auszuschließen sei. Die StA schloss sich dem nicht an, sondern beantragt, da der Sachverhalt auch auf andere Weise aufgeklärt werden könne, einen Durchsuchungsbeschluss. Das AG lehnte die beantragte Durchsuchung ab. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das LG mit Beschluss vom 31.01.2018 diese Ablehnung auf. Es bejahte den Anfangsverdacht und auch Auffindevermutung im Hinblick auf einen Rucksack mit auffälligen weißen Streifen sowie einer Brille mit einem reflektierenden Element am Bügel, die für die Identifizierung des Beschuldigten von Bedeutung sein konnten. Die Durchsuchung blieb im Hinblick auf den Durchsuchungszweck erfolglos; als Zufallsfunde wurden Betäubungsmittel, dazugehörige Utensilien, eine Gaspistole sowie die entsprechende Munition sichergestellt. Die Verfassungsbeschwerde des Beschuldigten gegen die Beschlüsse des LG Hamburg vom 31.01.2018 hatte Erfolg.

Das BVerfG sieht die Durchsuchungsanordnung als unverhältnismäßig an:

„b) Die Entscheidungen des Landgerichts Hamburg vom 31. Januar 2018 werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie erweisen sich angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalles als unverhältnismäßig.

aa) Dabei ist es im Hinblick auf das Fehlen eines gesicherten Stands der Wissenschaft im Bereich der anthropologischen Identitätsgutachten zwar vertretbar, ein derartiges Sachverständigengutachten als nicht gleich geeignet im Vergleich zu einer Durchsuchung nach Beweisgegenständen wie der Brille und dem Rucksack des Täters anzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2748/14 -, Rn. 31; BGH, Urteil vom 15. Februar 2005 – 1 StR 91/04 -, juris, Rn. 26).

bb) In Anbetracht des schwachen Anfangsverdachts gegen den Beschwerdeführer sowie des Umstandes, dass grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung standen, und im Hinblick auf die nur geringe Auffindevermutung war die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers jedoch nicht mehr angemessen.

(1) Der Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer erweist sich allenfalls als schwach.

Für einen Anfangsverdacht sprach zwar eine jedenfalls auf den ersten Blick bestehende optische Ähnlichkeit zwischen dem Beschwerdeführer und dem Täter vom 1. Mai 2015 im Hinblick auf Gesicht und Körperbau. Eine vom zuständigen Gericht festgestellte erhebliche Ähnlichkeit zwischen Abbildungen des Täters und des Verdächtigen kann grundsätzlich auch geeignet sein, einen Anfangsverdacht zu begründen. Da ein Bildvergleich nicht stets einer besonderen Sachkunde bedarf, besteht insofern keine generelle Pflicht, in derartigen Fällen vor der Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung stets ein anthropologisches Gutachten einzuholen.

Hier war jedoch das Amtsgericht zu der Auffassung gelangt, angesichts der nicht optimalen Bildqualität und der Bedeckungen des Täters (Kapuze, Schirmmütze) die Personenidentität nicht selbst beurteilen zu können. Entscheidend ist insofern, dass im vorliegenden Fall ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten vorlag. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Lippen- und Nasenstruktur zwei Ausschlusskriterien vorlägen und eine Nichtidentität sehr wahrscheinlich sei.

Soweit das Landgericht Hamburg inhaltlich zum Gutachten ausführt, ausweislich des Sachverständigengutachtens seien Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen in etlichen auswertbaren Merkmalsausprägungen zu finden, während die Sachverständige demgegenüber lediglich zwei nach ihrer Einschätzung überhaupt zu berücksichtigende Abweichungen aufführe und dabei die Bildqualität sowie Verdeckungen prädikatsmindernd zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt worden seien, hat es die Kernaussage des Sachverständigengutachtens nicht zutreffend erfasst. Das Gutachten stellte nicht lediglich zwei, sondern insgesamt vier Abweichungen fest, von denen es zwei Merkmale nicht lediglich als „Abweichungen“, sondern als „Ausschlusskriterien“ einstufte. Sowohl die Form des unteren Lippenrots als auch die Länge und Orientierung des Nasenrückens stellten demnach stabile, keinen Gewichtsschwankungen unterliegende Merkmale dar, wobei im vorliegenden Fall von unterschiedlicher Anatomie und deshalb einem Ausschluss ausgegangen werde. Die unterschiedliche Form beider Körpermerkmale erläuterte die Sachverständige in Wort und Bild.

Darüber hinaus greifen auch die Einwände des Landgerichts Hamburg gegen die methodischen Standards des Gutachtens nicht durch. So führt allein der Umstand, dass die Sachverständige in Bezug auf die Bilder des Beschwerdeführers vom 30. Juni 2016 offenbar von einem früheren Aufnahmezeitpunkt ausging, nicht dazu, dass die Aussagekraft des Gutachtens mangels Einhaltung methodischer Mindeststandards vollständig erschüttert würde. Insoweit hat die Sachverständige auf Nachfrage des Amtsgerichts ausgeführt, dass die Ausführungen zu diesen Lichtbildern keinen Einfluss auf das Ergebnis hatten, welches einzig und allein auf dem Merkmalsabgleich und den diesbezüglichen Ergebnissen beruhe. Soweit das Landgericht Hamburg diese Stellungnahme der Sachverständigen für unzureichend hält, würdigt es den Inhalt des Sachverständigengutachtens nicht hinreichend. Die Sachverständige nimmt in ihrem Gutachten auf annähernd 28 Seiten einen Vergleich zwischen den Bildern vom 1. Mai 2015 und den Bildern des Beschwerdeführers vom 3. Mai 2017 vor, wobei sie unter Punkt „12. Beurteilung“ zu dem Ergebnis kommt, dass sich bei einem Vergleich Widersprüche fänden, die eine Identität ausschlössen und die Nichtidentität daher sehr wahrscheinlich sei. Erst nach dieser endgültigen Beurteilung machte die Sachverständige unter Punkt 13 auf circa einer Seite „Anmerkungen“ zu den Bildern vom 30. Juni 2016.

Ebenso wenig kann dem Landgericht Hamburg dahingehend gefolgt werden, das Gutachten sei unbrauchbar, weil die Vergleichsbilder vom Verteidiger des Beschwerdeführers eingereicht worden und daher weder die Identität der auf den Bildern abgelichteten Person noch die Manipulationsfreiheit sichergestellt seien. Insofern bestanden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der kooperationsbereite Beschwerdeführer durch Einreichung falscher oder manipulierter Bilder versucht hätte, das Verfahren zu manipulieren. Im Hinblick auf den – durch nichts belegten – Vorwurf, der Beschwerdeführer habe womöglich Fotos einer dritten Person eingereicht, ist festzustellen, dass sich neben den vom Beschwerdeführer eingereichten Vergleichsfotos auch von der Polizei erstellte Fotos des Beschwerdeführers vom 30. Juni 2016 in der Ermittlungsakte befanden und ein Abgleich der Identität wegen der sehr guten Qualität dieser Fotos möglich gewesen wäre. Ferner ließ das Landgericht Hamburg unbeachtet, dass der Verteidiger des Beschwerdeführers die Identität der auf den eingereichten Bildern gezeigten Person mit seinem Mandanten versichert hatte. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Strafverteidiger kraft seiner Stellung als Organ der Rechtspflege nach geltendem Recht einen Vertrauensvorschuss genießt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 2012 – 2 BvR 988/10 -, Rn. 35). Ebenso wenig lagen Anhaltspunkte für manipulierte Fotos vor.

Abgesehen von den auch dem Sachverständigengutachten zugrundeliegenden Fotos vom 1. Mai 2015 waren sonstige Anhaltspunkte, die für eine Täterschaft des Beschwerdeführers gesprochen hätten, nicht ersichtlich.

Zusammenfassend war der Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer daher im Hinblick auf das den Mindeststandards genügende Sachverständigengutachten, welches eine Nichtidentität als sehr wahrscheinlich einstufte, und dem Fehlen sonstiger Anhaltspunkte allenfalls gering und beruhte allein auf der im Widerspruch zu einem Sachverständigengutachten stehenden Feststellung, der Beschwerdeführer sehe den Fotos des Täters vom 1. Mai 2015 ähnlich.

(2) Gleichwohl bestehende Zweifel an der Aussagekraft des Gutachtens hätten bei einem derart niedrigen Verdachtsgrad durch die deutlich mildere Maßnahme der Einholung eines weiteren, den Anforderungen des Landgerichts genügenden Gutachtens beseitigt werden können. Durch eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers und die Verwendung dieser Fotos für das weitere Gutachten hätten sich auch die Bedenken zur möglichen Manipulation des Bildmaterials leicht ausräumen lassen. Gründe, warum das Landgericht seinen Bedenken an der Vorgehensweise der Sachverständigen nicht zunächst durch die Einholung eines neuen Gutachtens begegnet ist, sind nicht ersichtlich. Erst recht ist es nicht verhältnismäßig, eine Durchsuchung auch zum Auffinden von Lichtbildern „für ein gegebenenfalls einzuholendes weiteres anthropologisches Gutachten“ anzuordnen, da insoweit die sowohl grundrechtsschonendere als auch deutlich geeignetere Maßnahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung zur Verfügung steht.

(3) Darüber hinaus war in der vorliegenden Fallkonstellation auch der Auffindeverdacht nur sehr gering.

Zwar sind konkrete Gründe, die dafür sprechen müssen, dass der zu suchende Beweisgegenstand in den zu suchenden Räumlichkeiten gefunden werden kann, regelmäßig nur bei der Durchsuchung beim Unverdächtigen erforderlich (BVerfGK 1, 126 <132>; 15, 225 <241>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Januar 2016 – 2 BvR 1361/13 -, juris, Rn. 13).

Im Fall des Beschwerdeführers ist allerdings zu berücksichtigen, dass ihm das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren bereits seit seiner Vorladung im Juli 2016 bekannt war. Im August 2016 erging gegen ihn ein Strafbefehl. Seit spätestens September 2016 war der Beschwerdeführer anwaltlich vertreten; im Oktober 2016 wurde seinem Verteidiger Akteneinsicht gewährt. Im Jahr 2017 wirkten der Beschwerdeführer und sein Verteidiger an der Erstellung des von ihnen beantragten anthropologischen Gutachtens mit. Gerade wenn es sich bei dem Beschwerdeführer um den Täter vom 1. Mai 2015 handeln sollte, hätte er jedenfalls nicht ausschließen können, dass das Gutachten dies auch so feststellen würde und er weiter im Visier der Ermittlungsbehörden stünde. Die nicht näher erläuterte Feststellung des Landgerichts, Anhaltspunkte für die Vernichtung der Gegenstände bestünden gleichwohl nicht, erscheint aus diesen Gründen nicht überzeugend.

(4) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung war zwar ebenso einzubeziehen, dass vorliegend mit einer versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von Polizeibeamten eine Straftat von nicht unerheblicher Bedeutung im Raum stand, und dass die zu suchenden Beweismittel von hohem Beweiswert sind. Allerdings vermögen diese Umstände im vorliegenden Fall den schwachen Anfangsverdacht, das Vorhandensein eines milderen Mittels zur Erhärtung des nur sehr schwachen Verdachts sowie die geringe Auffindewahrscheinlichkeit nicht auszugleichen. Die Anordnung der Durchsuchung durch das Landgericht Hamburg erweist sich hiernach unter diesen Umständen als nicht mehr angemessen.“

Durchsuchung II: Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt, oder: Auffindeverdacht

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem VerfGH Sachsen, Beschl. v. 01.08.2019 – Vf. 39-IV-19 – aus Sachsen. Er verhält sich zum sog. Auffindeverdacht.

Hintergrund des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist ein bei der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen die als Rechtsanwältin tätige Beschwerdeführerin geführtes Ermittlungsverfahren (603 Js 6823/18) wegen des Verdachts des Diebstahls bzw. der Unterschlagung. Ausgangspunkt der Ermittlungen war eine Strafanzeige des ehemaligen Kanzleipartners Z. der Beschwerdeführerin vom 14.12.2017. Dieser gab an, im Zuge der Auseinandersetzung der Partnerschaftsgesellschaft bemühten sich sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Partner W. und Z., die ihrerseits weiter zusammenarbeiten wollten, bei bestehenden Mandanten um Folgebeauftragung, wozu entsprechende Vollmachten erteilt würden. Am Morgen des 14.12.2017 sei das Verschwinden verschiedener Unterlagen von Mandanten, die bereits neue Vollmachten für W. und Z erteilt hätten, aus dem gemeinsamen Büro festgestellt worden. Diese Unterlagen seien am Vortag noch vollständig vorhanden gewesen. Einbruchsspuren seien nicht erkennbar gewesen.

Aus der beigezogenen Ermittlungsakte ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin per E-Mail vom 03.01.2018 mitteilte, ihr sei ein entsprechender Vorfall nicht bekannt. Der zum Sachverhalt vernommene Zeuge L. erklärte, er schließe aus, dass kanzleifremde Personen das Büro unbeobachtet betreten könnten. Laut Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 01.02.2018 bestand zwar ein Anfangsverdacht gegen die Beschwerdeführerin, sollten aber vor Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses zunächst die Details der Auseinandersetzung der Partnerschaftsgesellschaft weiter aufgeklärt werden. Eine Verzögerung der Durchsuchung wurde als unproblematisch angesehen, weil die Beschwerdeführerin ohnehin bereits von der Anzeige gewusst habe. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurden u.a. der Mitarbeiter R. der Kanzlei sowie die ehemalige Partnerin W. zum Sachverhalt befragt und eine Auflistung fehlender Unterlagen sowie vorhandener Vollmachten eingeholt.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das AG dann am 03.05.2018 einen Durchsuchungsbeschluss betreffend u.a. die Wohnung und Geschäftsräume der Beschwerdeführerin. Gesucht werden sollte nach Jahresabschluss- und Arbeitsordnern sowie weiteren Unterlagen für verschiedene namentlich genannte Mandanten. Die Durchsuchung fand am 24.05.2018 statt.

Die beschuldigte Rechtsanwältin hat sich jetzt noch beim VerfGH Sachsen gegen die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung gewendet, nachdem ihre Rechtsmittel beim LG Leipzig keinen Erfolg hatten. Der VerfGH hat die Verfassungsbeschwerde teilweise als unzulässig und im Übrigen als unbegründet angesehen. Hier die Ausführungen zur Begründetheit – zur Zulässigkeit bitte im VT selbst nachlesen:

„3. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie offensichtlich unbegründet.

Die angefochtenen Beschlüsse des Amtsgerichts Leipzig vom 3. Mai 2018 und des Landgerichts Leipzig vom 8. April 2019 verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 30 Abs. 1 SächsVerf.

a) Art. 30 Abs. 1 SächsVerf schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung, wozu auch Arbeits- und Geschäftsräume wie Anwaltskanzleien gehören können (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Oktober 2007 – Vf. 90-IV-06; Beschluss vom 31. Januar 2008 – Vf. 93-IV-07; Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08). Eine Durchsuchung, die in diese grundrechtlich geschützte Sphäre eingreift, ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 30 Abs. 2 SächsVerf und – wie alle Maßnahmen im Strafverfahren – unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt dabei Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18 m.w.N.).

Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen, muss ein auf § 102 StPO gestützter schriftlicher Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen in gegenständlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Er hat grundsätzlich auch die zu durchsuchenden Objekte und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so zu bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann; dabei sind die Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, ausgehend vom jeweiligen Kenntnisstand lediglich so zu umschreiben, dass sie von anderen Gegenständen unterschieden werden können (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Oktober 2007 – Vf. 90-IV-06; st. Rspr.).

Neben diesem formellen Erfordernis unterliegt ein Durchsuchungsbeschluss in materieller Hinsicht dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat geeignet und erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn die Durchsuchung nicht den Erfolg verspricht, geeignete Beweismittel zu erbringen, oder andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Ferner muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (SächsVerfGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08; st. Rspr.). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden ist, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts steht (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18; vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. November 2005 – 2 BvR 728/05 – juris Rn. 24; Beschluss vom 10. November 2017 – 2 BvR 1775/16 – juris Rn. 27). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006, BVerfGE 115, 166 [198]; Beschluss vom 31. August 2010 – 2 BvR 223/10 – juris Rn. 25). In die vorzunehmende Abwägung sind neben dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch weitere von der Durchsuchung betroffene Grundrechte, auch solche Dritter, sowie die Schwere des Eingriffs in den jeweiligen Schutzbereich einzustellen. So stellt eine Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt wegen des Vertrauens, das ihm seine Mandanten entgegenbringen, regelmäßig einen besonders gewichtigen Eingriff nicht nur in seine Privatsphäre, sondern auch in sein Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 28 Abs. 1 SächsVerf) und in das Persönlichkeitsrecht seiner Mandanten dar (SächsVerfGH, Beschluss vom 18. Oktober 2001 – Vf. 82-IV-99; vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 und 1258/94 – juris Rn. 14).

b) Diesen Anforderungen genügt der angegriffene Durchsuchungsbeschluss. Er ist in formeller Hinsicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (hierzu aa) und hält auch einer Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stand (hierzu bb).

aa) Der Durchsuchungsbeschluss begegnet in formeller Hinsicht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Er beschreibt den der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Tatvorwurf hinreichend (hierzu 1) und bezeichnet die zu durchsuchenden Objekte und die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so, wie es nach Lage der Dinge geschehen konnte (hierzu 2).

(1) Vom Ermittlungsrichter ist zu verlangen, dass im Durchsuchungsbeschluss ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das – wenn es wirklich begangen worden sein sollte – den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt (Sächs-VerfGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – Vf. 137-IV-08; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 – juris Rn. 16).

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Landgerichts, der Durchsuchungsbeschluss genüge im Hinblick auf die Darstellung des Tatvorwurfs nach dem Stand der Ermittlungen diesen rechtsstaatlichen Anforderungen, indem zum einen konkret das der Beschwerdeführerin angelastete Verhalten einschließlich Tatort und -zeit, zum anderen das subjektive Vorstellungsbild der Beschwerdeführerin geschildert werde.

(2) Auch die Bezeichnung der Gegenstände, nach denen gesucht werden sollte, in dem angegriffenen Durchsuchungsbeschluss genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie sind (noch) so konkret bezeichnet, dass die mit dem Vollzug des Beschlusses betrauten Beamten ohne Weiteres in die Lage versetzt wurden, die Gegenstände in den Durchsuchungsobjekten aufzufinden, so dass der Eingriff messbar und kontrollierbar blieb.

Der hiergegen gerichtete Einwand der Beschwerdeführerin, die Beweismittel seien nicht konkret bezeichnet bzw. frei erfunden und gar nicht existent, insbesondere sei es unklar, worum es sich bei den aufzufindenden Arbeitsordnern „S.“ und „Z.“ handeln könnte, vernachlässigt, dass nach dem dargelegten Tatvorwurf das Hauptaugenmerk der Durchsuchung nicht auf einzelnen Unterlagen, sondern auf der Herkunft von namentlich aufgeführten Mandanten lag, deren Dokumente die Beschwerdeführerin unberechtigterweise in Gewahrsam haben sollte.

bb) Die fachgerichtliche Bewertung, die angeordnete Durchsuchung sei zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat geeignet und erforderlich und stehe in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachtes, genügt ebenfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

(1) Das Amtsgericht – und ihm folgend das Landgericht – ist ohne erkennbaren Verfassungsverstoß von einem zureichenden, nicht auf bloßen Vermutungen gründenden Anfangsverdacht des Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB ausgegangen. Dass sich allein auf der Grundlage der vorliegenden Anhaltspunkte der Vorwurf nicht zwangsläufig nachweisen ließe, sondern sich aus ihnen nur die Möglichkeit einer entsprechenden Tatbegehung ergab, liegt in der Natur des Anfangsverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07 – juris Rn. 22).

Der Einwand der Beschwerdeführerin, die Strafanzeige sei lediglich ein Ablenkungsmanöver gewesen und unsorgfältig geprüft worden, setzt der fachgerichtlichen Bewertung der Anknüpfungstatsachen für einen für die Durchsuchungsmaßnahme hinreichenden Tatverdacht lediglich ihre hiervon abweichende Bewertung entgegen, ohne insoweit auch nur ansatzweise einen Verfassungsverstoß darzulegen.

(2) Die durch das Landgericht bestätigte Wertung des Amtsgerichts, die Durchsuchung sei zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet gewesen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Dem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Gebot hinreichender Erfolgsaussicht einer Durchsuchung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1997, BVerfGE 96, 44 [51]) ist genügt, wenn aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine Vermutung dafür besteht, dass die gesuchten Beweismittel aufgefunden werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2013 – 2 BvR 389/13 – juris Rn. 22). Dass dem Durchsuchungsbeschluss vom 3. Mai 2018 der Verdacht des Diebstahls im Zeitraum 13./14. Dezember 2017 und damit knapp fünf Monate zuvor zugrunde lag, hindert nach der Art des Tatverdachts nicht die Annahme eines hinreichenden Auffindeverdachts.

(3) Die durch das Landgericht bestätigte Bewertung des Amtsgerichts, die Durchsuchung sei zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich und angemessen, hält ebenfalls einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.

Der Eingriff stand in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts. Die in Betracht kommende Straftat war von ihrem Unrechtsgehalt her nicht lediglich im unteren Bereich anzusiedeln, mithin nicht geringfügig, und offenbarte – eine Bestätigung des Verdachts unterstellt – ein planvolles Vorgehen der Beschwerdeführerin. Als geringfügig gelten Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind (BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 2 BvR 497/12 – juris Rn. 19). Vorliegend stand der Verdacht eines Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB im Raum, der im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht und daher in diesem Sinne schon nicht mehr geringfügig war.

Wird ein für die Durchsuchung hinreichender Tatverdacht gegen die Beschwerdeführerin angenommen, haben die Ermittlungsbehörden – auch im Lichte der besonderen Anforderungen an die Rechtfertigung von Durchsuchungsmaßnahmen (BVerfG, Beschluss vom 10. November 2017 – 2 BvR 1775/16 – juris Rn. 27 m.w.N.; (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 – Vf. 121-IV-18 m.w.N.) – auch keine naheliegenden grundrechtsschonenden Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterlassen. Angesichts der dem Beschluss vorangegangenen Ermittlungsmaßnahmen waren die Ermittlungsbehörden von Verfassungs wegen nicht gehalten, vor der Durchführung einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume der Beschwerdeführerin weitere Angestellte der ehemaligen Partnerschaftsgesellschaft oder Mitarbeiter der vor Ort möglicherweise tätig gewordenen Entsorgungsfirmen als Zeugen zu vernehmen oder andere Räumlichkeiten – etwa jene der ehemaligen Partner der Beschwerdeführerin bzw. Archivräume – zu durchsuchen.)

Fanbanner geklaut – Wohnungsdurchsuchung bei einem Dritten?

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Und nach dem LG Bielefeld, Beschl. v. 25.11.2015 – 3 Qs 556/ Js 1306/14-316/15 – dazu Der „steife Penis“ kommt zur Anklage, die „Nacktbilder“ nicht – Durchsuchung rechtswidrig – nun der Hinweis auf den BVerfG, Beschl. v. 11.01.2016 – 2 BvR 1361/13. 11 Also mal wieder eine Entscheidung des BVerfG zur Durchsuchung, so ganz viel hatten wir dazu in der letzten Zeit – zum Glück – ja nicht.