Schlagwort-Archive: Vorverurteilung

Bewährung II: Bewährung trotz einiger Vorverurteilungen?, oder: Geht, aber muss begründet werden

© Gina Sanders – Fotolia.com

In der zweiten Entscheidung des Tages, dem KG, Urt. v. 26.02.2020 – 3 Ss 11/20 -, geht es um die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung trotz Vorverurteilungen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe  verurteilt und nach § 69a StGB eine isolierte Sperrfrist von zwei Jahren festgesetzt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen durch die Staatsanwaltschaft eingelegte Revision hatte  zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs durch das KG und zur Zurückverweisung an das LG geführt. Dieses hat dann am 28.10.2019 erneut entschieden und die Vollstreckung der Strafe wiederum zur Bewährung ausgesetzt; zugleich ist eine zwölfmonatige Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis festgesetzt worden. Hiergegen wendet sich dann abermals die Staatsanwaltschaft mit der auf die Sachrüge gestützten und (wirksam) auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkten Revision. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„Der durch die Staatsanwaltschaft beanstandete Ausspruch über die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ist frei von Rechtsfehlern.

1. Dem Tatrichter kommt bei der nach § 56 Abs. 1 StGB vorzunehmenden Legal- und Sozialprognose ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2019, 336; Senat, Beschluss vom 19. Oktober 2015 – 3 Ss 107/15 [juris]; Fischer, StGB 67. Aufl., § 56 Rn. 11). Das Revisionsgericht kann nur in Ausnahmefällen eingreifen, wenn nämlich unzutreffende Maßstäbe angewandt, naheliegende Umstände übersehen oder festgestellte Umstände fehlerhaft gewichtet wurden (vgl. Senat aaO; Fischer, aaO).

Allerdings unterliegt der Tatrichter der Pflicht, seine Entscheidung zur Strafaussetzung zur Bewährung zu begründen. Er hat seine Prüfung durch eine Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen (vgl. BGHSt 29, 324; Fischer, aaO, § 56 Rn. 23). Einer erschöpfenden Darstellung aller Erwägungen bedarf es hierbei nicht, wohl aber sind die wesentlichen Umstände darzulegen (vgl. BGH StV 1994, 126; Fischer, aaO, § 56 Rn. 23). Bei einem, wie hier, schon mehrfach und wiederholt wegen einschlägiger Delikte vorbestraften Täter, der die Tat zudem während laufender Bewährung begangen hat, bestehen erhöhte Anforderungen. Namentlich müssen spezifische Umstände dargelegt werden, die erwarten lassen, dass sich der Angeklagte in Zukunft straffrei führen wird. Der Tatrichter muss sich dabei mit der Tat und den Vortaten auseinandersetzen, die gegenwärtigen Lebensverhältnisse des Angeklagten darlegen und begründen, auf welchen geänderten Umständen sich die Erwartung künftig straffreien Lebens stützt (vgl. Senat VRS 133, 133).

2. All diese Voraussetzungen erfüllt das angefochtene Urteil. Das Landgericht hat seine positive Legal- und Sozialprognose ausführlich und nachvollziehbar begründet. Die auf die Sachrüge veranlasste Rechtsprüfung ergibt nicht, dass das Landgericht dabei unzutreffende Maßstäbe angewandt, naheliegende Umstände übersehen oder festgestellte Umstände fehlerhaft gewichtet hat.

Zunächst hat das Landgericht bei seiner Bewertung keinesfalls die Augen vor der Delinquenzhistorie des Angeklagten verschlossen. Die Urteilsgründe legen vielmehr dar, dass der Angeklagte im Oktober 2013 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, im Februar 2016 wegen fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie im Juni 2016 erneut wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt werden musste und dass sich die neuerliche Tat als Bruch der 2016 gewährten Bewährung darstellt. Die „geradezu impertinente Rückfallgeschwindigkeit“ (UA S. 4) hat die Kammer ebenso ausdrücklich in ihre Überlegungen eingestellt wie die Tatsache des Bewährungsbruchs und den Umstand, dass sich der Angeklagte bei der abgeurteilten Tat auch einer „Geschwindigkeitsüberschreitung exorbitanten Gewichts“ und einer Gefährdung des Gegenverkehrs (UA S. 5) schuldig gemacht hat. Dass die Kammer trotz dieser in hohem Maße negativen Strafzumessungsgesichtspunkte zu einer positiven Prognose gelangte, begründet sie u. a. mit einer „differenzierten Tataufarbeitung“ durch den Angeklagten (UA S. 6), die das Urteil auch ausführlich erörtert. Dabei stützt sich die Strafkammer nicht nur auf – gleichfalls ausführlich dargelegte – Erklärungen des Angeklagten, denen sie Einsicht und Reue sowie die Überzeugung, dass man „in Berlin kein Auto benötigt“ (UA S. 5), entnimmt. Die Urteilsgründe enthalten daneben auch spezifische äußere Umstände, die aus Sicht der Kammer einen Rückfall unwahrscheinlich machen. So wird etwa ausgeführt, dass der Angeklagte im Januar 2019 seinen PKW verkauft, Monatskarten des öffentlichen Personennahverkehrs erworben und einen „Kurs für Verkehrsstraftäter“ absolviert hat. Auch eine „gute berufliche und soziale Einbindung in ein familiäres Patchworkgefüge“ führt die Strafkammer für ihre positive Einschätzung an.

Die Urteilsgründe lassen damit nicht besorgen, dass die Kammer bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung belastende Umstände aus dem Blick verloren hat. Dass sie trotz dieser Umstände zu einer positiven Legal- und Sozialprognose gelangt ist, begründet das Urteil nicht formelhaft, sondern ausführlich und substanziell.

Schließlich befasst sich das angefochtene Urteil auch eingehend mit der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB). Der Senat kann offen lassen, ob bereits die rechtsfehlerfreie Bejahung der „besonderen Umstände“ des § 56 Abs. 2 StGB eine Versagung der Strafaussetzung nach § 56 Abs. 3 StGB ausschließt (so für den Regelfall: Fischer, aaO, § 56 Rn. 24a). Denn die Ausführungen des Landgerichts hierzu sind gleichfalls substanziell und lassen keinen Rechtsfehler erkennen, zumal zwischen der Begehung der Tat und dem angefochtenen Urteil etwa dreieinhalb Jahre vergangen waren, in denen der Angeklagte nicht erneut straffällig geworden war.