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StPO III: Wenn vom AG an das LG verwiesen wird, oder: In der Regel Bindungswirkung

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 16.03.2021 – 4 (s) Sbd I – 3/21 – zur Bindungswirkung einer Verweisung nach § 270 StPO vom AG an das LG.

Das AG hatte an das LG verwiesen, weil es in einem bei ihm anhängigen Verfahren von einem versuchten Tötungsdelikt ausgegangen ist. Dabei bleibt es – sagt das OLG:

„2. Das Landgericht – Jugendkammer – Essen ist für die Verhandlung und Entscheidung der vorliegenden Sache zuständig.

a) Das Landgericht Essen ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Bottrop nach § 270 StPO zuständig, da die Sache aufgrund des Beschlusses unmittelbar bei ihm rechtshängig geworden ist und es daher an diesen gebunden ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 – 4 (s) Sbd I – 1/17 m.w.N.).

b) Die Bindungswirkung entfällt nicht bei formeller oder materieller Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses, sondern erst dann, wenn der Verweisungsbeschluss willkürlich ist, also die Verweisung mit Grundsätzen rechtsstaatlicher Ordnung, insbesondere dem des gesetzlichen Richters, in offensichtlichem Widerspruch steht, d.h., wenn sie widersprüchlich, unverständlich oder offensichtlich unhaltbar ist (zu vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2009 – 3 StR 439/08 -, m.w.N., zitiert nach juris). Die Willkür kann insbesondere darin begründet liegen, dass das verweisende Gericht die Bedeutung und Tragweite der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt hat oder wenn das Gericht die Sache ohne Vernehmung des Angeklagten und Beweisaufnahme – also bei gegenüber dem Eröffnungszeitpunkt unverändertem Tatsachen stand – verweist und es sich nicht um einen Fall der sog. „korrigierenden Verweisung“ handelt (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 – 4 (s) Sbd I – 1/17 m.w.N.). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (zu vgl. BVerfG Beschl. v. 23.3.2020 – 2 BvR 1615/16, BeckRS 2020, 7407 Rn. 43, beck-online).

c) Die vom Amtsgericht Bottrop ausgesprochene Verweisung kann unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe nicht als willkürlich angesehen werden, da die Umstände, die die Annahme eines versuchten Tötungsdeliktes und damit die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG i.V.m. § 74 Abs. 2 GVG begründen können, von ihm nicht lediglich vermutet werden.

Das Amtsgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme insbesondere nach der Vernehmung des Geschädigten D zu der Erkenntnis gelangt, dass im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Gewaltanwendung – die objektiv durch die eingetretene Schädelfraktur belegt wird – ein mindestens bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen ist. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (zu vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2020 – 2 StR 304/19, beck-online; BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 – 2 StR 122/19, juris Rn. 15; Urteil vom 24. April 2019 – 2 StR 377/18, juris Rn. 11; BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37; vom 11. Oktober 2016 – 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25; vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267, jew. mwN). Gemessen an diesen Maßstäben, erweist sich die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nach der begonnenen Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks des Geschädigten nicht als bloße Vermutung.

Soweit das Amtsgericht zudem aufgrund der Angaben des Zeugen D zu der Erkenntnis gelangt ist, ein strafbefreiender Rücktritt sei aufgrund des Eintreffens der Polizei nicht mehr möglich gewesen, so stellt dies gleichsam eine auf sachfremden Erwägungen beruhende Annahme nicht dar. Verfestigt sich in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht der hinreichende Tatverdacht eines in die Zuständigkeit des Landgerichts fallenden Verbrechens, so ist die Sache an die zuständige Schwurgerichts bzw. Jugendkammer zu verweisen (zu vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 26.02.1996, – Ss 486/95, Beck online).“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich nach eigener Prüfung an.“