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Bewährung I: Bewährungswiderruf wegen neuer Straftat, oder: Auch nach Verlängerung der Bewährungszeit?

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Heute dann drei Entscheidungen zu Bewährungsfragen.

Den Opener macht der OLG Bamberg, Beschl. v. 12.08.2021 – 1 Ws 477/21 -zur Frage des Bewährungswiderruf wegen einer neuen Straftat zwischen ursprünglichem Bewährungszeitende und nachträglicher Verlängerung der Bewährungszeit. Da denkt man dann an den Vetrauensschutz, der hier jedoch keine Rolle gespielt hat:

„5. Der Widerruf der Strafaussetzung ist vorliegend gerechtfertigt, da der Verurteilte bei Begehung der Anlasstat trotz Ablaufs der Bewährungszeit aufgrund vorheriger gerichtlicher Mitteilung mit einer bewährungsverlängernden Maßnahme rechnen musste.

a) Nach ganz überwiegender Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung schließt sich zwar, wie ausgeführt, die verlängerte Bewährungszeit rechnerisch rückwirkend unmittelbar an die abgelaufene Bewährungszeit an, dennoch rechtfertigen aber Straftaten, die zwischen dem Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und dem Erlass des Verlängerungsbeschlusses begangen worden sind, den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich nicht, weil der Verurteilte insoweit zum Tatzeitpunkt unbeschadet der Rückrechnung tatsächlich nicht unter offener Bewährung stand (OLG Bamberg, Beschl. v. 24.03.2015 – 22 Ws 19/15 bei juris, MüKoStGB/Groß/Kett-StraubAufl. § 56f Rn. 19 m.w.N.).

b) Jedoch kann nach verbreiteter Meinung, der sich der Senat anschließt, eine Straftat, die der Verurteilte nach Ablauf der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit begeht, dann einen Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen, wenn die in Rede stehende Tat durch nachträgliche Verlängerung nicht nur rückwirkend in die Bewährungszeit fällt, sondern der Verurteilte bei Begehung der Nachtat trotz Ablaufs der Bewährungszeit auch mit einer bewährungsverlängernden Maßnahme rechnen musste (vgl. OLG Bremen; KG; OLG Saarbrücken; OLG Jena u. OLG Hamm, jew. a.a.O.). Entscheidungen über den Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung sind an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Vertrauensschutz des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) zu messen (BVerfG, Beschl. v. 20.03.2013 – 2 BvR 2595/12 = NJW 2013, 2414 =BVerfGK 20, 260). Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes steht in diesem Fall einer Berücksichtigung der Straftat nicht entgegen, da ein entsprechendes Vertrauen nicht schutzwürdig ist.

aa) Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es den Gerichten nicht verwehrt, die zwischen dem (vorläufigen) Ende der Bewährungszeit und der Verlängerung liegende neue Straftat zum Anlass für einen späteren Widerruf zu nehmen, wenn kein Vertrauenstatbestand vorliegt. Es wird im Hinblick auf den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes angenommen, dass für den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht Taten herangezogen werden können, die während eines Zeitraums begangen sind, in dem der Täter von dem rückwirkenden Beschluss über die sich nahtlos anschließende Bewährungszeit noch nichts wusste. Ein begründetes Vertrauen auf das Ausbleiben des Widerrufs der Strafaussetzung wegen einer in der sog. ‚bewährungsfreien Zeit‘ begangenen Straftat kann beispielsweise durch gerichtliche Mitteilungsschreiben zerstört worden sein, sodass der Verurteilte nicht mehr davon ausgehen kann, dass die Bewährungszeit mit dem Ablauf der bestimmten 3 Jahre enden wird, sondern – wie jedermann verständlich – davon, dass er sich weiterhin zu bewähren haben werde (BVerfG, Beschl. v. 10.02.1995 – 2 BvR 168/95 = NStZ 1995, 437 = StV 1996, 160).

bb) Die gesetzliche Regelung des § 56f Abs. 1 Satz 2 StGB sieht die Möglichkeit des Widerrufs auch bei neuen Straftaten vor, die zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft begangen werden. Es wird also auch von einem nicht rechtskräftig Verurteilten, der faktisch (noch) nicht unter Bewährung steht, erwartet, in dem Schwebezustand bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss keine neuen Straftaten zu begehen, ohne dass hierbei Gründe des Vertrauensschutzes entgegenstehen. Eine gleichartige Konstellation liegt vor für den Zeitraum zwischen (vorläufigem) Ablauf der Bewährungszeit und Erlass des Verlängerungsbeschlusses, jedenfalls ab dem Zeitpunkt, in welchem der Verurteilte von der Möglichkeit der Verlängerung positiv Kenntnis erlangt. Ein sachlicher Grund, warum die Fallkonstellationen unterschiedlich behandelt werden sollten, ist nicht ersichtlich.

cc) Auch der Wortlaut des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, der als Voraussetzung für einen Bewährungswiderruf benennt, dass der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht, steht dem Widerruf der Aussetzung vorliegend nicht entgegen. Wie dargestellt, schließt sich eine nach Verstreichen der ursprünglichen Bewährungszeit angeordnete Verlängerung rückwirkend zeitlich unmittelbar an die zuvor abgelaufene Bewährungszeit an, so dass auch Straftaten, die im Zeitraum zwischen dem ursprünglichen Ende der Bewährungszeit und der nachträglichen Verlängerung der Bewährungszeit begangen werden, vom Wortlaut der Vorschrift erfasst sind. § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterscheidet hingegen nicht nach dem Zeitpunkt, wann sich (hier durch den Verlängerungsbeschluss) ergab, dass eine Tat in die Bewährungszeit fiel. Die gegenteilige Rechtsauffassung, wonach eine Straftat, die zwischen dem Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und dem Erlass eines Beschlusses über die Verlängerung der Bewährungszeit begangen wurde, einen Bewährungswiderruf selbst dann nicht rechtfertigt, wenn der Verurteilte vor Begehung der erneuten Straftat auf die Möglichkeit einer Verlängerung der Bewährungszeit hingewiesen wurde (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.03.2019 – 3 Ws 35/19 = Justiz 2020, 12 = OLGSt StGB § 56f Nr 66 = BeckRS 2019, 25052 m.w.N.) überzeugt nicht. Es käme einer nicht hinnehmbaren Bevorzugung des wiederholt delinquenten und hinreichend informierten Verurteilten gleich, wenn der Zeitraum zwischen (vorläufigem) Bewährungsende und Erlass des Verlängerungsbeschlusses einerseits voll auf die Bewährungszeit angerechnet würde, er sich in diesem Zeitraum andererseits jedoch nicht bewähren müsste, da eine Sanktionierung strafrechtlichen Verhaltens im Bewährungsverfahren nicht möglich wäre. Die Rechtsprechung, die einerseits eine rückwirkende Verlängerung der Bewährungszeit anerkennt, gleichzeitig aber argumentiert, dass die Tat nur formal in die Bewährungszeit falle und hieraus keine Konsequenzen ableitbar seien, berücksichtigt diesen Punkt zu wenig.

dd) Ein ausdrücklicher Hinweis dahingehend, dass die Bewährung auch wegen einer Straftat vor Erlass des Verlängerungsbeschlusses widerrufen werden kann, wird bislang nicht praktiziert und ist aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit auch nicht erforderlich, wenn ein Verurteilter im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstat sämtliche Umstände, die den anschließenden Bewährungswiderruf aufgrund dieser Tat rechtfertigten, kennt. Ihm ist dann bewusst, dass er zuvor wegen einer unter laufender Bewährung begangenen Tat rechtskräftig verurteilt worden, dass die ursprüngliche Bewährungszeit zwar inzwischen abgelaufen, jedoch die Strafe noch nicht erlassen, dass diese neue Verurteilung dem Bewährungsgericht bekannt ist und die Staatsanwaltschaft deswegen die Verlängerung der Bewährungszeit beantragt hat. Das Gericht hat ihm mitgeteilt, dass es bewährungsverlängernde Maßnahmen erwäge, so dass ein Verurteilter spätestens in diesem Zeitpunkt der Mitteilung unabhängig von dem genauen Zeitpunkt des Erlasses des Verlängerungsbeschlusses damit rechnen muss, dass eine Verlängerung der Bewährungszeit erfolgen wird und dass neuerliche Delinquenz auch die ihm bekannten weiteren Folgen wie den Widerruf der Bewährung nach sich ziehen kann. Dem Argument, ein Verurteilter könne nach Erhalt der gerichtlichen Mitteilung davon ausgehen, dass er nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und bis zum Erlass einer erneuten Entscheidung, sich zumindest zunächst nicht mehr bewähren muss, ist zu entgegnen, dass ein Verurteilter den Zeitpunkt des Erlasses des Verlängerungsbeschlusses gar nicht kennen und absehen kann und dies der grundsätzlichen Erwartung des § 56f Abs. 1 StGB, dass ein Verurteilter überhaupt (und nicht nur in der Bewährungszeit) keine neuen Straftaten mehr begehen wird, zuwiderläuft.

c) Ausgehend hiervon lagen die Voraussetzungen für einen Bewährungswiderruf vor……“