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Kessel Buntes III: Diebstahl einer Geldbörse mit Personalpapieren, oder: Auch Urkundenunterdrückung?

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Und die dritte Entscheidung des Tages kommt dann aus Hamm. Ich stelle das OLG Hamm, Urt. v. 22.09.2020 – 5 RVs 63/20 – vor. Und zwar zunächst wegen der materiellen Frage, die das OLG behandelt.

Der Angeklagte ist wegen wegen vollendeten Diebstahls in drei Fällen, versuchten Diebstahls und wegen Computerbetruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Dagegen die Revision der StA, die u.a  beanstandet, dass das Landgericht hinsichtlich der Diebstahlstaten zum Nachteil mehrerer Zeuginnen  die Angeklagte nicht auch wegen tateinheitlich begangener Urkundenunterdrückung nach § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt hat. Das findet beim OLG kein Gehör:

„…..Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft Essen hat das Landgericht ein Handeln der Angeklagten in der Absicht im Sinne dieser Vorschrift abgelehnt, einem anderen Nachteil zuzufügen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts entwendete die Angeklagte in der Zeit vom 17. Mai 2018 bis zum 27. Juni 2018 gemeinsam mit ihrer Schwester Geldbörsen von betagten Tatopfern. Ihre Absicht sei es gewesen, sich das darin befindliche Bargeld zu verschaffen und mit den in den Geldbörsen befindlichen EC-Karten weitere Bargeldbeträge von deren Konten abzuheben, um sich auf diese Weise eine zusätzliche, nicht unerhebliche Einnahmequelle von gewisser Dauer zu verschaffen.

So entwendete die Angeklagte unter dem 17. Mai 2018 der Geschädigten T deren Geldbörse, in der sich neben 290,00 Euro Bargeld und einer EC-Karte auch der Personalausweis der Zeugin befand. Am 25. Mai 2018 entwendete die Angeklagte die Geldbörse der Zeugin L mit 130,00 Euro Bargeld, EC-Karte sowie Personalausweis und Führerschein. Unter dem 27.06.2018 nahm sie die Geldbörse der Geschädigten H mitsamt Inhalt, 220,00 Euro Bargeld, eine EC-Karte sowie Personalausweis und Führerschein der Zeugin H, an sich. Die Kammer stellte weiter fest, dass die Ausweispapiere der Zeugin H später aufgefunden wurden, als die Zeugin bereits Ersatzdokumente beantragt hatte. Zum Verbleib der Personaldokumente der Geschädigten T und L geht aus dem angefochtenen Urteil nichts hervor.

Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, die Angeklagte habe in diesen drei Fällen jeweils tateinheitlich eine Urkundenunterdrückung gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen, da sie durch die Entwendung (auch) der Ausweispapiere diese den Geschädigten zur Benutzung zu Beweiszwecken entzogen habe. Dies überzeugt nicht. Soweit die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 – 4 StR 568/19) diesbezüglich die Darstellungsanforderungen an ein freisprechendes Urteil als nicht erfüllt ansieht, geht dieser Hinweis schon insoweit fehl, als das Landgericht die Angeklagte nicht freigesprochen hat, sondern die festgestellten Taten zutreffend als gewerbsmäßigen Diebstahl, jedoch nicht auch als Urkundenunterdrückung gewürdigt hat. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die nach dieser Vorschrift erforderliche Nachteilszufügungsabsicht als nicht beweisbar angesehen hat.

Die in den Fällen des § 274 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB erforderliche Nachteilszufügungsabsicht beinhaltet nach der Rechtsprechung und h.M. das Bewusstsein des Täters, dass der Nachteil die notwendige Konsequenz seines Handelns darstellt (BGH, Urteil vom 25. November 2009 – 2 StR 430/09 = BGH BeckRS 2010, 01699 = NStZ 2010, 332; BGH, Urteil vom 08. Oktober 1953 – 4 StR 395/53 = BGH NJW 1953, 1924; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 29. November 2006 – 2 Ws 173/05 = OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2007, 03061 = NJW 2007, 1221, 1222 = NStZ 2007, 407; OLG Celle, Urteil vom 09. September 1965 – 1 Ss 230/65 = OLG Celle NJW 1966, 557, 558; BayObLG, Urteil vom 24. April 1968 – RReg. 1 b St 437/67 = BayObLG NJW 1968, 1896, 1897; OLG Hamburg, Urteil vom 29. Oktober 1963 – 2 Ss 110/63 = OLG Hamburg NJW 1964, 736, 737; Weidemann in: BeckOK StGB, 46. Ed. 1.5.2020, StGB § 274 Rn. 11; Heine/Schuster in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 274 Rn. 15; Fischer, 67. Aufl. 2020, StGB, § 274 Rn. 9a). Unter Nachteil ist dabei jede Beeinträchtigung fremder Beweisführungsrechte zu verstehen (Weidemann in: BeckOK StGB, 46. Ed. 1.5.2020, StGB § 274 Rn. 11 m.w.N.) Lediglich in der Literatur wird vereinzelt vertreten, hinsichtlich der Beeinträchtigung fremder Beweisführungsrechte reiche auch Eventualvorsatz aus (Ingeborg Puppe/Kay Schumann in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, StGB § 274 Rn. 12). Letztere Ansicht ist indes abzulehnen, da sie sich bewusst und unangemessen weit vom Wortlaut der Norm entfernt.

Dass die Angeklagte die Beeinträchtigung fremder Beweisführungsrechte als notwendige Folge ihrer Taten vorhersah, ist, wie die Strafkammer zutreffend ausführt, vorliegend nicht ersichtlich. Die Revisionsbegründung geht davon aus, dass die Angeklagte die Entziehung der Personalpapiere der Tatopfer als notwendige Folge ihres Handelns erkannt habe, da sie aufgrund ihrer Erfahrung als Taschendiebin gewusst habe, dass solche Papiere in den Geldbörsen der Opfer aufbewahrt würden. So habe sie auch als notwendige Folge ihres Handelns erkannt, dass diese sich infolge ihrer Taten auf Verlangen nicht würden ausweisen können. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die Erfahrung der Angeklagten könnte – sofern sie sich über die für sie uninteressanten Personalpapiere der Opfer überhaupt Gedanken machte – allenfalls Eventualvorsatz bezüglich des Entziehens von Ausweispapieren begründen. Die Revisionsbegründung geht von dem nicht existierenden Erfahrungssatz aus, dass in jeder Geldbörse auch die Personalpapiere des Besitzers verwahrt seien. Dies mag zwar häufig vorkommen, ist jedoch keinesfalls immer so, da Personalpapiere im Einzelfall auch getrennt von Bargeld verwahrt werden, beispielsweise in der Kleidung, oder auch gar nicht von deren Inhabern mitgeführt, sondern zu Hause gelassen werden. Für die Angeklagte stellte sich bei Entwendung der Börsen vor diesem Hintergrund als offen dar, ob diese überhaupt Personalpapiere enthalten würden, da sie vor der Entwendung der Geldbörsen deren konkreten Inhalt nicht kannte und mangels Wahrnehmungsmöglichkeiten auch nicht erkennen konnte.2

Wegen der anderen Ausführungen des OLG komme ich noch einmal auf das Urteil zurück.