Schlagwort-Archive: Umgrenzungsfunktion

96.074 Dateien mit kinderpornografischen Inhalt – wie packt man die in eine Anklage

© Haramis Kalfar - Fotolia.com

© Haramis Kalfar – Fotolia.com

Die Anklage (der Staatsanwaltschaft Braunschweig [?]) wirft dem Angeklagten das Sich-Verschaffen und den Besitz von Dateien mit kinderpornografischem Inhalt vor. Das AG Braunschweig hat jetzt im AG Braunschweig, Beschl. v. 23.10.2014 – 6 Ds 3724 Js 79665/12 – das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt, weil die Anklage nicht ihre Umgrenzungsfunktion erfüllt hat, also nicht deutlich macht, „dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist“. Dabei muss sich die Tat „von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat. Die begangene konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau bezeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden.“ Das AG führt dazu aus:

Dem Angeklagten wird mit der Anklage das Sich-Verschaffen kinderpornografischer Dateien im Zeitraum vom 09.08.2012 und einer unbestimmten Zeit davor, sowie der Besitz von mindestens 317 bei einer Durchsuchung am 09.08.2012 bei ihm aufgefundenen Dateien vorgeworfen.

Insoweit bleibt unklar, welche konkreten Handlungen des Angeklagten des Sich-Verschaffens von der Anklage umfasst sind. Auch dürfte der vorgeworfene Besitz der 317 Dateien nicht hinreichend bestimmt sein, da keinerlei Bezugnahme auf Anlagen oder ähnliches erfolgt ist. So kann es durchaus sein, dass die Polizei u.a. bei der Durchsicht der insgesamt 96.074 Dateien, die der Pornographie, der Jugendpornografie, der Kinderpornographie oder den Präverenzdateien zugeordnet worden sind, Dateien falsch eingeordnet hat, obwohl auch diese zusätzlich der Kinderpornografie zuzuordnen sind. Insoweit bliebe unklar, ob der Besitz dieser Dateien dann bereits durch die unklare Anklage umfasst ist.

Da der Angeklagte offensichtlich fürchtet, dass noch weitere gleichgeartete Straftaten aufgedeckt werden könnten, so dass die Frage des Strafklageverbrauches später problematisch sein könnte, können die insoweit bestehenden Zweifel der Verteidigung an der Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht ausgeräumt werden, so dass dem Verfahren hier insoweit zur Zeit ein Verfahrenshindernis entgegensteht, dass nach der Eröffnung des Verfahrens auch nicht mehr in diesem Verfahren behoben werden kann. Es ist vielmehr die Erhebung einer konkreteren Anklage in einem neuen Verfahren erforderlich, um bei neu auftauchenden Auffälligkeiten des Angeklagten auf dem Gebiet der Kinderpornografie den etwaigen Strafklageverbrauch sicher beurteilen zu können.

Nur zur Klarstellung: Das ist kein Freispruch, sondern eine (vorläufige) Einstellung, weil die Anklage ordnungsgemäß erneut erhoben werden kann. Allerdings stellt sich dann schon die Fragem wie man die 96.074 inkriminierten Datein so in eine Anklage packt, dass die bestimmt genug ist/wird.

Die Anklage – ich schätze die Schätzung, erlaubt oder nicht?

© eccolo – Fotolia.de

Die Frage, ob ordnungsgemäß Anklage erhoben worden ist, spielt im Strafverfahren ggf. eine erhebliche Rolle. Ist das nämlich nicht der Fall, liegt eine ausreichende Verfahrensgrundlage nicht vor und es kommt ggf. noch im Revisionsverfahren zur Einstellung. Die mit dieser Problematik zusammenhängenden Rechtsfragen tauchen immer wieder in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren eine Rolle.Mit ihnen hat sich jetzt auch noch einem der BGH, Beschl. v. 00.08.2012 – 1 StR 296/12 auseinander gesetzt und zu den Anforderungen an die Anklageschrift bei geschätzter Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und hinterzogener LohnsteuerStellung genommen.

Der 1. Strafsenat geht davon aus, dass eine Anklageschrift nicht deshalb unwirksam ist, weil sie keine Ausführungen zur Berechnung der hinterzogenen Steuer bzw. der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen enthält. Der Umgrenzungsfunktion sei Genüge geleistet, wenn das relevante Verhalten und der Taterfolge, also bei der Steuerhinterziehung Steuerart und jeweiliger Steuerabschnitt dargestellt seien. Insofern seien auch nicht die strengen Anforderungen, die für die Darstellung in einem Urteil gelten, auf die Anklageschrift übertragbar .

Das vor einiger Zeit das OLG Celle noch anders gesehen. Das OLG Celle hatte im OLG Celle, Beschl. v. 19.07.2011 – 1 ws 271 – 274/11 eine Nichteröffnung des Hauptverfahrens gehalten, die damit begründet worden war, dass die Staatsanwaltschaft eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bzw. der Höhe der vorenthalten Sozialversicherungsbeiträge vorgenommen hatte, obgleich die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vorlagen, weil eine exakte Berechnung möglich war. Das macht der BGH anders.

Der BGH-Beschluss vom 08.08.2012 ist für uns noch aus einem anderen Grund wichtig/erfreulich. Der BGH bezieht sich in seiner Begründung auf die Veröffentlichung des OLG Celle- Beschluss im StRR 2011, 388 und die dortige Anmerkung des Kollegen Hunsmann. Schön, dass wir nun auch beim BGH angekommen sind 🙂 :-D.

 

Da kann man schön abschreiben – Umgrenzungs-/Informationsfunktion der Anklage

Es gibt ja immer wieder auch BGH-Beschlüssem die „bringen es auf den Punkt“. Sehr schön zur Frage der Abgrenzung der Umgrenzungsfunktion der Anklage von der sog. Informationsfunktion und zu den Folgen bei Fehlern der BGH, Beschl. v. 09.02.0212 – 1 StR 152/11, ergangen in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Da war offenbar die Wirksamkeit der Anklage ein Thema.

Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.

1. Der Eröffnungsbeschluss genügt den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen.

Die Anklageschrift, an die der Eröffnungsbeschluss anknüpft, erfüllt noch ihre Funktion, die hier angeklagten Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer ausreichend zu umschreiben (vgl. zu den Anforderungen an die Darstellung in der Anklageschrift beim Vorwurf der Steuerhinterziehung BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 – 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; siehe auch Weyand in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 385 AO Rn. 19 ff.).

a) Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel dazu führen, dass die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2011 – 1 StR 194/11 mwN). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. u.a. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 – 1 StR 412/11 und vom 2. März 2011 – 2 StR 524/10; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 – 4 StR 481/07, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).

Genügt der Anklagesatz den Anforderungen an die Wahrung der Umgrenzungsfunktion für sich allein nicht, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK-StPO, 6. Aufl., § 200 StPO Rn. 30). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben im Anklagesatz können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 mwN).“

Kann man schön abschreiben/übernehmen für das Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl.

 

Zwei Paar Schuhe – Die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift und die materiell rechtliche Frage der Strafbarkeit

Das zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehene Urt. des BGH v. 24.01.2012 – 1 StR 412/11 befasst sich mit der Frage der ausreichenden Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift bei Bandendelikten. Danach gebietet die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift auch bei Bandentaten oder „uneigentlichen Organisationsdelikten“ nicht, dass für die Bestimmtheit des Anklagevorwurfs i.S.d. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO mehr an Substanz verlangt wird als materiell-rechtlich für einen Schuldspruch erforderlich ist.

Dazu der BGH:

„Soweit in dem angefochtenen Urteil ausgeführt wird, dass eine hinreichende Konkretisierung der einzelnen Handlungen der Angeklagten deshalb fehle, weil nur die jeweilige Bandentätigkeit dargestellt werde, ist auf Folgendes hinzuweisen: Richtig ist, dass, wenn sich mehrere Täter zu einer Bande zusammenschließen, dies nicht zur Folge hat, dass jedes von einem der Mitglieder aufgrund der Bandenabrede begangene Betrugsdelikt den anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres als gemeinschaftlich begangene Straftat i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 – 3 StR 128/03). Allein die Bandenmitgliedschaft und ein Handeln im Interesse der Bande ohne konkreten Bezug zu einer von anderen Bandenmitgliedern begangenen Straftat genügt nicht, um eine Strafbarkeit des Bandenmitglieds wegen einer Bandentat zu begründen. Wegen einer Tat, die „aus der Bande heraus“ begangen wird, kann als Täter oder Teilnehmer nur bestraft werden, wenn er an dieser konkreten Tat mitgewirkt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 3 StR 162/07 mwN).

Diese materiell-rechtliche Frage der Strafbarkeit eines Angeklagten ist von der Problematik der Umgrenzungsfunktion einer Anklageschrift zu trennen. Kann einem Angeklagten nach Ausschöpfung der Beweismöglichkeiten die Begehung einer konkreten Tat nicht nachgewiesen werden, ist er freizusprechen, wenn diese Tat i.S.d. § 264 StPO angeklagt war. Die Verneinung einer Bandenabrede durch den Tatrichter und auch die Nichtannahme eines – hier dann allerdings nahe liegenden – „uneigentlichen Organisationsdeliktes“ (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 – 4 StR 252/11 Rn. 12) mögen dazu führen, dass noch strengere Anforderungen an die Feststellung der konkreten Tatbeiträge eines jeden Angeklagten an den jeweiligen Taten zu stellen sind, sie führen aber nicht dazu, dass die vorher zu Recht (im Eröffnungsbeschluss) angenommene Einhaltung der Umgrenzungsfunktion entfällt.“

Aller guten Dinge sind drei – nochmals OLG München: Ordnungsgemäße Anklageschrift?

Der OLG München, Beschl. v. 15.11.2011 – 5St RR (I) 64/11 – ist schon zweimal Gegenstand eines Postings gewesen (vgl. hier und hier), er ist aber auch noch wegen eines dritten Umstandes erwähnenswert. Im Verfahren ging es nämlich auch darum, ob die Anklageschrift ihre Umgrenzungs- und Abgrenzungsfunktion erfüllt. Es war ein BM-Delikt angeklagte, bei dem der Verteidiger Bedenken hatte, ob die gemachten Angaben konkret genug waren.

In der Anklage war (nur) ausgeführt:

Zu einem nicht genauen Zeitpunkt vor dem 15.04.2011, jedoch in unverjähr-ter Zeit, bewahrte der Angeschuldigte in seinem Zimmer in der Wohnung
              in                  in einer Gefriertüte eine nicht näher bekannte Menge Marihuana wissentlich und willentlich auf.

Das OLG hat das auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH als ausreichend angesehen:

Im vorliegenden Fall ist die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat durch die ge-naue Umschreibung des Aufbewahrungsortes des besessenen Rauschgifts – in einer Gefriertüte im Zimmer des Angeklagten in der Wohnung                       in
                            – hinreichend konkret umschrieben, so dass eine Verwechslung mit anderen Straftaten des Angeklagten ausgeschlossen ist. Unklarheiten, auf wel-chen Sachverhalt sich die Anklage bezieht, bestehen nicht. Die Unbestimmtheit in zeitlicher Hinsicht – in unverjährter Zeit vor dem 15. April 2011 – sowie hinsichtlich der Menge des besessenen Rauschgifts sind – mögen sie auch die sachgerechte Verteidigung etwas erschweren – zur Vermeidung von Lücken in der Strafverfol-gung hinzunehmen (vgl. BGHSt 40, 44, 48; OLG Hamm StraFo 2011, 92, 93; OLG München, Beschluss vom 19. April 2007 – 4 St RR 59/07).

An der Stelle also Punktsieg für die StA und Verwerfung der Revision zum Schuldspruch.