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TOA I: Adhäsionsvergleich, oder: Erörterung, wenn sich die Geschädigte widersprüchlich verhält.

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Zum Start in die 35. KW. bringe ich heute – vor der Auflösung des Rätsels – zwei BGH-Entscheidungen, die sich mit dem Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) befassen.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 21.05.2019 – 1 StR 178/19, ergangen in einem Verfahren
u.a. mit dem Vorwurf u.a. der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und mit Hausfriedensbruch. In der Hauptverhandlung vor dem LG hatte der Angeklagte mit der Nebenklägerin einen „Adhäsionsvergleich“, mit welchem er sich zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 € nebst Zinsen verpflichtete geschlossen; damit sollten alle Ansprüche der Nebenklägerin aus der Tat vom 12.02.2018 abgegolten sein. Zudem waren sich nach Ziffer 4 des Vergleichs der Angeklagte und die Nebenklägerin „einig, dass der Abschluss dieses Vergleichs als bereits vollzogener Täter-Opfer-Ausgleich gewertet werden soll“. Gleichwohl lehnte die Nebenklägerin die Aufnahme eines weiteren Zusatzes in den Vergleich, wonach durch ihn „eine Befriedung zwischen den Parteien eingetreten“ sei, ab.

Das LG hat das Vorliegen eines minder schweren Falles der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) verneint und dabei die Voraussetzungen des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 46a Nr. 1 StGB als nicht gegeben angesehen: Da die Nebenklägerin den Vergleich nicht als „wirklich“ friedensstiftend akzeptiert habe, fehle es an einem kommunikativen Prozess.

Das gefällt dem BGH nicht:

„b) Zwar muss ein Vergleichsabschluss nicht bedeuten, dass das Opfer mit seiner Zustimmung diesen als friedensstiftenden Ausgleich ansieht (BGH, Urteil vom 13. September 2018 – 5 StR 107/18 Rn. 11; vgl. auch BGH, Urteile vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 143 f., 147 und vom 6. Februar 2008 – 2 StR 561/07, BGHR StGB § 46a Voraussetzungen 1). Hier wurde indes in Ziffer 4 des im Adhäsionsverfahren geschlossenen Vergleichs die gesetzliche Bezeichnung des vertypten Milderungsgrundes aus § 46a Nr. 1 StGB im Wortlaut wiedergegeben („Täter-Opfer-Ausgleich“); zudem wurde ausdrücklich aufgenommen, dass sich der Angeklagte und die Nebenklägerin einig sind, dass der Abschluss des Vergleichs als bereits vollzogener Täter-Opfer-Ausgleich gelten soll. Den sich daraus zum Verhalten der Nebenklägerin ergebenden Widerspruch hat das Landgericht nicht erörtert. Die Wiedergabe der gesetzlichen Bezeichnung des § 46a Nr. 1 StGB dokumentiert bereits eine „Befriedung“ zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin, steht also im Widerspruch zu der von der Nebenklägerin erklärten Weigerung, einen Zusatz über die eingetretene Befriedung in den Vergleich aufzunehmen. Insoweit erweist sich die Vorgehensweise des Landgerichts, zur Bewertung des Vergleichsabschlusses allein auf die Nichtaufnahme eines entbehrlichen Zusatzes abzustellen, ohne sich mit dem gegenteiligen Inhalt des Adhäsionsvergleichs auseinanderzusetzen, als lückenhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 422/18 Rn. 29, 31).“

Strafzumessung I: TOA bei Vermögensdelikten, oder: „Der Rechtsfolgenausspruch birgt Rechtsfehler…“

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Heute ist bei mir „Umzugstag“. Und für den habe ich drei Postings zu Entscheidungen vorbereitet, die mit Strafzumessung zu tun haben.

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2019 – 1 StR 591/18. Das LG hatte den Angeklagten E. u.a. wegen schweren Bandendiebstahls verurteilt. Seine Revision hatte Erfolg.

Auszugehen war von folgenden Urteilsfeststellungen des LG: Danach „suchten der Angeklagte E. und der Mitangeklagte A. gemäß dem vom Mitangeklagten B. entworfenen Tatplan die Wohnungen älterer Menschen auf, um Bargeld und Schmuck zu entwenden; dadurch wollten sich die Angeklagten eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und einer gewissen Dauer verschaffen. Unter Vorzeigen von Mitarbeiterausweisen des Kabelnetzbetreibers U. erschlichen sich die Angeklagten E. und A. den Zugang zu den Wohnungen, um angeblich Telekommunikationsleitungen zu überprüfen. Während einer der Mittäter die Wohnungsinhaber ablenkte, nahm der andere Bargeld und Schmuck an sich. Bei einer Tat entwendeten die Angeklagten eine EC-Karte nebst zugehöriger Geheimnummer (Fall II. 8.) und hoben damit anschließend unberechtigt 2.000 € ab (Fall II. 12.). In zwei Fällen fanden die Angeklagten keine Tatbeute; in einem Fall (II. 11.) wurde ihnen der Zutritt verwehrt. Insgesamt erbeuteten die drei Angeklagten Bargeld in Höhe von 4.940 € und Schmuck im Wert von 3.950 €. 3.022,30 € an Bargeld und ein „Großteil“ des Schmucks wurden im Tatfahrzeug sichergestellt. Während des Ermittlungsverfahrens entschuldigte sich der bereits damals geständige Angeklagte E. schriftlich bei acht Geschädigten und bot an, den nach Rückgabe der gestohlenen Gegenstände verbliebenen Schaden auszugleichen und zudem jeweils 250 € zu zahlen. Zu diesem Zweck hinterlegte seine Mutter bei seinem Verteidiger 1.000 € zum Ausgleich nach Rückgabe der sichergestellten Tatbeute verbliebener Schäden und weitere 2.000 € mit der unwiderruflichen Anweisung, diesen Betrag an die Tatopfer auszukehren. Mit der formlosen Einziehung des Schmucks erklärten sich die Angeklagten einverstanden.

2. In der Strafzumessung bezüglich des Angeklagten E. hat das Landgericht den vertypten Schuldminderungsgrund des TäterOpfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB bereits deswegen abgelehnt, weil für die einzelnen Fälle nach Abzug der zum vollständigen Schadensausgleich erforderlichen Gelder nur „geringe Beträge“ verblieben. Feststellungen dazu, wie sich die acht Geschädigten zur Entschuldigung und zum Zahlungsangebot verhielten, hat es nicht getroffen.

Dem BGH hat der Strafausspruch des LG nicht gepasst:

„Der Rechtsfolgenausspruch birgt Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten E. .

1. Die Strafzumessung hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Erwägung, mit welcher das Landgericht die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB verneint hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft.

a) § 46a Nr. 1 StGB bezieht sich vor allem auf den Ausgleich der immateriellen Folgen einer Tat; solche sind auch bei Vermögensdelikten denkbar (BGH, Urteil vom 8. August 2012 – 2 StR 526/11, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 9 Rn. 17; Beschluss vom 23. Juli 2001 – 1 StR 266/01, wistra 2002, 21). Die Vorschrift setzt als „Täter-Opfer-Ausgleich“ einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet und Ausdruck der „Übernahme von Verantwortung“ sein muss (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2001 – 1 StR 266/01; Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 576/16, NStZ-RR 2017, 198, 199 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. März 2007 – 2 StR 35/07, StV 2007, 410: Hinterlegung eines Geldbetrages beim Verteidiger; BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 1998 – 1 StR 249/98, NStZ-RR 1998, 297 und vom 28. April 2015 – 3 StR 647/14, juris Rn. 2: kein persönlicher Verzicht des Angeklagten erforderlich). Deswegen sind regelmäßig Feststellungen dazu erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat (BGH, Urteile vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17, juris Rn. 15; vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 307/15, juris Rn. 21 und vom 9. September 2004 – 4 StR 199/04, juris Rn. 9). Werden durch eine Straftat mehrere Personen geschädigt, so muss hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Variante des § 46a StGB erfüllt sein (BGH, Urteile vom 7. Februar 2018 – 5 StR 535/17, NStZ 2018, 276; vom 22. Juni 2017 – 4 StR 151/17, NStZ-RR 2017, 306 und vom 5. März 2014 – 2 StR 496/13, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 10 Rn. 14).

b) Ob der vom Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren und damit keineswegs zu spät angebotene Entschädigungsbetrag in Höhe von jeweils 250 € zusammen mit seinem Entschuldigungsschreiben bei jeder der betreffenden Einzeltaten (§ 52 Abs. 1 StGB) als friedensstiftender Ausgleich oder zumindest als ernsthaftes Erstreben eines solchen zu werten ist, lässt sich nach den lückenhaften Feststellungen infolge der pauschalen Erwägung, die Beträge seien zu gering, nicht beurteilen:

aa) In den Fällen II. 7. und II. 10. der Urteilsgründe stahlen die Angeklagten ausschließlich Schmuck; sollten diese Vermögensgegenstände zu den sichergestellten gehören, stünde der angebotene Entschädigungsbetrag von 250 € zum Ausgleich der immateriellen Folgen zur Verfügung. Nach den bisherigen Urteilsfeststellungen ist nicht sicher anzunehmen, dass ein solcher Betrag auch angesichts des Zutritts in die Privatwohnungen und des Alters der Geschädigten von vornherein zu niedrig bemessen wäre; dass die Tatopfer infolge der ohne Sachbeschädigung ausgeübten Diebstähle dauerhaft in ihrem Sicherheitsgefühl oder sonst psychisch beeinträchtigt sind, ist nicht festgestellt. Zudem ist die Entschuldigung in diese Betrachtung miteinzubeziehen. Ohne Kenntnis der Reaktionen der Geschädigten lässt sich nach alledem nicht beurteilen, ob das Geldangebot zusammen mit der Entschuldigung zur Friedensstiftung geeignet war.

bb) Ähnliches gilt für die Tat II. 11. der Urteilsgründe. Diese Tat war ohnehin nur versucht.

cc) In den Fällen II. 4. und II. 6. der Urteilsgründe kommt ebenfalls in Betracht, dass der Entschädigungsbetrag von jeweils 250 € nicht durch den vorrangigen Ausgleich der materiellen Schäden gebunden ist. Dies ist der Fall, wenn im Fall II. 4. der Urteilsgründe der Schmuck zurückgelangt und bezüglich des jeweils entwendeten Bargeldes aus dem weiteren zur Schadenswiedergutmachung zur Verfügung gestellten Betrag von 1.000 € der Anteil bestritten werden kann, der nicht durch das sichergestellte und zwischen den Geschädigten im Verhältnis der erlittenen Schadenshöhen zu verteilende Bargeld gedeckt ist.“

Schöne Formulierung: „… birgt Rechtsfehler…“

Täter-Opfer-Ausgleich, oder: Hinterbliebene sind keine Verletzten

Und als zweite Entscheidung des Tages dann ein weiterer Beschluss vom 4. Strafsenat des BGH. Er ist schon etwas älter, es handelt sich nämlich um den BGH, Beschl. v. 06.06.2018 – 4 StR 4 StR 144/18. Den habe ich bisher immer wieder übersehen.

Entschieden hat der BGH eine Frage in Zusammenhang mit dem Täter-Opfer-Ausgleich nach  § 46a Nr 1 StGB. Nämlich die Fragen: Sind bei einem  vollendeten Tötungsdelikt die Hinterbliebenen „Verletzte“ im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB. Das LG hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegenstand des Verfahrens war ein Verkehrsunfall, bei dem der infolge der Beschäftigung mit seinem Mobiltelefon abgelenkte Angeklagte mit dem beleuchteten Pedelec des 82 Jahre alten F. kollidiert war. Obwohl er die Kollision wahrgenommen hatte und annahm, dass er einen Menschen erfasst und nicht unerheblich verletzt hatte, hatte der Angeklagte seine Fahrt fortgesetzt, ohne anzuhalten, und hatte auch keine Hilfe herbei gerufen. Der F ist unmittelbar nach der Kollision ohne Rettungsmöglichkeit an seinen Verletzungen verstorben.

Wegen der Unfallfolgen hat der Angeklagte einen Betrag in Höhe von 25.000 € je zur Hälfte auf eigene und geerbte Ansprüche der beiden Nebenklägerinnen, der Ehefrau und der Tochter des Tatopfers, auf das Kanzleikonto des Nebenklägervertreters gezahlt. Das LG hat eine Anwendbarkeit der § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB abgelehnt und die Zahlung des Geldbetrages an die Nebenklägerinnen nur bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt. Der BGH sieht es ebenso:

„Dass das Landgericht die Voraussetzungen von § 46a Nr. 1 StGB im vorliegenden Fall eines vollendeten Tötungsdelikts verneint hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Eine Einbeziehung der Nebenklägerinnen, hier der Ehefrau und der Tochter des Tatopfers, als Hinterbliebene in den Anwendungsbereich der Vorschrift kommt in einem derartigen Fall nicht in Betracht. Sie sind nicht „Verletzte“ im Sinne der Vorschrift.

1. Gemäß § 46a Nr. 1 StGB kann die Strafe gemildert werden, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt hat. Schon der Wortlaut der Vorschrift legt ein Verständnis dahin, dass auch die Hinterbliebenen eines durch ein fahrlässiges oder vorsätzliches Tötungsdelikt zu Tode gekommenen Tatopfers in ihren Anwendungsbereich einbezogen sein könnten, nicht nahe. Das ergibt sich zwar nicht allein aus der Verwendung der ohne nähere Eingrenzung und erkennbar synonym verwendeten Begriffe „Verletzter“ bzw. „Opfer“ (zum Wortlaut vgl. SSW-StGB/Eschelbach, 3. Aufl., § 46a Rn. 9). Die nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB im Ermessen des Tatrichters liegende Strafmilderung kann aber nur gewährt werden, wenn der Täter in dem Bemühen um „einen Ausgleich mit dem Verletzten“ Wiedergutmachung leistet oder ernsthaft erstrebt. Der strafzumessungsrelevante Ausgleich knüpft danach schon dem Wortlaut nach an die als Folge der jeweiligen Straftat entstandene Beziehung zwischen dem Täter und dem Träger des verletzten Rechtsguts an.

2. Eine Beschränkung der Anwendbarkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs auf den unmittelbar durch die Straftat Verletzten – mit der Folge der Unanwendbarkeit von § 46a Nr. 1 StGB bei einem vollendeten Tötungsdelikt – ergibt sich zudem aus dem Willen des Gesetzgebers.

a) Bei der Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs in § 46a Nr. 1 StGB hat sich der Gesetzgeber inhaltlich an die Definition des § 10 Abs. 1 Nr. 7 JGG angelehnt, wonach die Erfüllung einer entsprechenden jugendrichterlichen Weisung einen förmlichen, tatsächlich praktizierten Ausgleich in direkter Konfrontation des Täters mit der Situation des Opfers voraussetzt (vgl. Gesetzentwurf zum VerbrBekG, BT-Drucks. 12/6853, S. 21; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/8588, S. 4; vgl. auch König/Seitz, NStZ 1995, 1, 2; Kilchling, NStZ 1996, 312; Diemer in Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 7. Aufl., § 10 Rn. 43). Schon das gesetzgeberische Konzept von § 10 Abs. 1 Nr. 7 JGG für einen befriedenden Ausgleich setzte danach das Vorhandensein des unmittelbar geschädigten Opfers in Gestalt einer „greifbaren natürlichen Person“ (Diemer, aaO, Rn. 49) notwendig voraus. Angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 10 JGG in den Materialien ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber bei der Übernahme des Täter-Opfer-Ausgleichs in das Erwachsenenstrafrecht von diesem Konzept des Ausgleichs zwischen Täter und unmittelbar Verletztem abgehen wollte. Für die Annahme, der Gesetzgeber hätte im Fall eines vollendeten Tötungsdelikts den Übergang der Opferstellung auf Hinterbliebene in Betracht gezogen, bieten die Gesetzesmaterialien danach ebenso wenig einen Anhalt wie für die Annahme, in einem solchen Fall seien die Hinterbliebenen – neben dem Getöteten – als zusätzliche Verletzte anzusehen.

b) Zu Unrecht beruft sich die Revision für ihre Auffassung, Hinterbliebene seien bei vollendeten Tötungsdelikten in den Täter-Opfer-Ausgleich einzubeziehen, auf § 395 Abs. 2 StPO. Durch diese Bestimmung hat der Gesetzgeber den Hinterbliebenen lediglich anstelle des Getöteten eine prozessuale Befugnis (zur Nebenklage) eingeräumt. Die Möglichkeiten eines Täters, eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu erlangen, sollten dadurch erkennbar nicht erweitert werden (vgl. dazu Richter, Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung im Rahmen von § 46a StGB, 2014, S. 211). Hierfür spricht auch, dass in § 395 Abs. 1 StPO von der „verletzten Person“ die Rede ist, während in Absatz 2 weiteren Personen in abschließender Aufzählung nur die „gleiche Befugnis“ verliehen wird (vgl. dazu SSW-StPO/Schöch, 3. Aufl., § 395 Rn. 5).

c) Aus der mit Gesetz zur Einführung eines Hinterbliebenengeldes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I, S. 2421) vorgenommenen Erweiterung der Ersatzansprüche Dritter bei Tötung durch § 844 Abs. 3 BGB ergibt sich nichts anderes. Diese Neuregelung ist ersichtlich auf die bürgerlich-rechtlichen Ansprüche im Recht der unerlaubten Handlungen beschränkt und billigt dem Hinterbliebenen unter näher bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Gesundheitsbeschädigung für dessen seelisches Leid eine Geldentschädigung zu (BT-Drucks. 18/11397, S. 8; vgl. dazu Erman/Wilhelmi, BGB, 15. Aufl., § 844 Rn. 20).

3. Schließlich stehen auch Sinn und Zweck von § 46a Nr. 1 StGB einer erweiternden Auslegung entgegen. Eingedenk der gesetzgeberischen Intention setzt § 46a Nr. 1 StGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muss. Unverzichtbar ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 205/95, NStZ 1995, 492; Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, NJW 2002, 3264; Franke, NStZ 2003, 410, 412 f. mwN). Dieser Zweck würde bei einer Einbeziehung mittelbar von der Tat Betroffener nach dem Tod des Opfers schon mit Blick auf die Unbestimmtheit des im Einzelfall in Betracht kommenden Personenkreises und die daraus für den kommunikativen Prozess folgenden praktischen Schwierigkeiten regelmäßig verfehlt.

Der Fall des von einer Sexualstraftat betroffenen Kleinkindes, bei dem der Bundesgerichtshof hinsichtlich der Strafmilderung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB tatrichterliche Feststellungen zu einem kommunikativen Prozess mit dessen Eltern als Inhabern der Personensorge (§ 1627 BGB) und Vertreter (§ 1629 BGB) des – überlebenden – Opfers verlangt hat (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2002 – 1 StR 184/02, BGHR StGB § 46a Begründung 1), ist insoweit anders gelagert.“

Strafzumessung I: Täter-Opfer-Ausgleich, oder: „friedenstiftender“ kommunikativer Prozess

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Schon etwas länger – na ja, schon recht lange – hängt in meinem Blogordner der BGH, Beschl. v. 23.8.2017 – 3 StR 233/17. Der ist mir immer wieder durchgerutscht. Heute passt der Beschluss, der sich zur Strafzumessung bzw. zur den Voraussetzungen für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs verhält, ganz gut.

Dem Beschluss liegt in etwa folgender Sachverhalt zugrunde. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs. In einem Zeitraum von ca. einem Jahr nahm der Angeklagte in sieben Fällen sexuelle Handlungen an der damals 12 bzw. 13 Jahre alten Nebenklägerin vor. Bei der Nebenklägering handelt es sich um die 2003 geborene Nichte des Angeklagten, die zu diesem eine vertrauensvolle Beziehung unterhalten hat. Der Angeklagte war zunächst in U-Haft. Nach seiner Entlassung aus der U-Haft wandte er sich über seinen Verteidiger in mehreren Schreiben an den Vater der Nebenklägerin, brachte sein tiefes Bedauern zum Ausdruck und zahlte nach entsprechenden Angeboten 2 x 5.000 € an die Nebenklägerin und erklärte in einem Vergleich die Übernahme künftiger materieller und immaterieller Schäden. Das LG hat die Voraussetzungen von § 46a StGB bejaht und unter Hinzuziehung weiterer schuldmindernder Gesichtspunkt einen minder schweren Fall des § 176a StGB angenommen und den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der StA blieb ohne Erfolg.

Der BGH nimmt zunächst noch einmal zu den (allgemeinen) Voraussetzungen des TOA Stellung und weits darauf hin, dass ein sog. kommunikativer Prozess grundsätzlich auch erforderlich ist, soweit es § 46a Nr. 1 StGB genügen lässt, dass der Täter die Wiedergutmachung seiner Tat ernsthaft erstrebt. Deshalb habe das Tatgericht regelmäßig insbesondere Feststellungen dazu zu treffen, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat. Und dann:

b) Nach alledem war für einen Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB die persönliche Beteiligung der Nebenklägerin erforderlich. Sie war auch nicht deswegen – ausnahmsweise – entbehrlich, weil bei den Vergleichsverhandlungen und dem Vergleichsschluss die Eltern in ihrem Namen handelten und sie über die gegenständlichen Missbrauchstaten nicht sprechen wollte:

aa) Dass die Eltern als gesetzliche Vertreter an dem Zustandekommen der Einigung mitwirkten, kann eine Einbeziehung der Nebenklägerin in den Täter-Opfer-Ausgleich nicht ersetzen.

Zwar setzt der kommunikative Prozess keine persönliche Begegnung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa – wie hier – den Verteidiger und die gesetzlichen Vertreter, genügt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05, aaO; Beschluss vom 8. Juli 2014 – 1 StR 266/14, aaO; MüKoStGB/Maier, 3. Aufl., § 46a Rn. 29) und wird bei schwerwiegenden Sexualdelikten, wie vorliegend abgeurteilt, vielfach als opferschonendes Vorgehen ratsam sein (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, aaO). Jedoch ist ein solcher vermittelter kommunikativer Prozess nicht gegeben, wenn die Erklärungen des Täters das Opfer erst gar nicht erreichen.

Allein der Umstand, dass es sich bei der Nebenklägerin um eine Minderjährige handelt, die im Rechtsverkehr von ihren Eltern gesetzlich vertreten wird, lässt keine abweichende Wertung zu. Die Vorschrift des § 46a StGB will einen Anreiz für Bemühungen um einen friedensstiftenden Ausgleich seitens des Täters mit dem Ziel schaffen, dem durch die Straftat Geschädigten Genugtuung zu gewähren (vgl. BGH, Urteile vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, aaO, S. 137 f.; vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05, aaO). Adressat dieser Bemühungen – gleichviel, ob durch Vermittlung eines Dritten oder unvermittelt – kann daher grundsätzlich nur das Tatopfer selbst sein. Dabei kann es nicht auf die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit ankommen; dies folgt nicht nur aus dem Zweck des § 46a StGB, sondern auch aus den Regelungen der § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, § 45 Abs. 2 Satz 2 JGG, die den Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafrecht für Jugendliche vorsehen und an denen sich der Gesetzgeber bei dessen erstmaliger Normierung im Erwachsenenstrafrecht orientiert hat (vgl. BT-Drucks. 12/6853, S. 21; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, aaO, S. 137, 139). Hiervon unberührt bleibt, dass es – umgekehrt – regelmäßig nicht angezeigt sein wird, die Kommunikation gleichsam über die Köpfe der gesetzlichen Vertreter hinweg zu führen.

Inwieweit anderes zu gelten hat, wenn das Opfer nicht über die notwendige Verstandesreife für einen Täter-Opfer-Ausgleich verfügt, kann hier dahinstehen. Dass die zur Zeit der Hauptverhandlung 13-jährige Nebenklägerin keine genügende Vorstellung von dem seitens des Angeklagten beabsichtigten Ausgleich hatte und nicht imstande war, einen gegenüber den Bemühungen des Angeklagten befürwortenden oder ablehnenden Willen zu bilden, ist gerade nicht festgestellt.

bb) Dass die Nebenklägerin Gesprächen über die gegenständlichen Missbrauchstaten ablehnend gegenüberstand, führt nicht dazu, dass von ihrer Einbindung in den kommunikativen Prozess gänzlich abgesehen werden durfte. Die Strafkammer hat in der Hauptverhandlung die Überzeugung gewonnen, dass die Nebenklägerin über die Taten „nicht reden will und sie dies augenscheinlich sehr belastet“ (UA S. 17). So haben ihre Eltern etwa ausgesagt, auch sie hätten mit ihr weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart darüber gesprochen (UA S. 10).

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte eine Strafrahmenmilderung gemäß § 46a Nr. 1 StGB nicht ausgeschlossen sein, wenn „die Geschädigten eine für einen Ausgleich erforderliche Mitwirkung verweigern“ (BT-Drucks. 12/6853, S. 21; s. BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, aaO), soweit – auch in diesen Fällen – unter „Anleitung eines Dritten … eine Lösung des der Tat zugrundeliegenden Gesamtkonflikts“ erstrebt wird (BT-Drucks. 12/6853, S. 22). In der Literatur wird zu einer vom Tatopfer abgelehnten Mitwirkung vertreten, dessen Einbeziehung sei nicht zwingend erforderlich, wenn sich seine Weigerung nicht mehr als Wahrnehmung rechtlich schützenswerter Interessen darstelle (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 46a Rn. 10d; Schädler, NStZ 2005, 366, 368 f.) oder bei objektiver Wertung als nicht billigenswert erscheine (vgl. Meier, JuS 1996, 436, 440; kritisch [„zu weitgehend bzw. zu pauschal“] MüKoStGB/Maier aaO, Rn. 28).

Inwieweit derartige Einschränkungen anzuerkennen sind, braucht der Senat freilich für den vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Insbesondere kommt es auch nicht darauf an, ob die Regelung des § 155a Satz 3 StPO, wonach gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten die Eignung eines Verfahrens für den Täter-Opfer-Ausgleich nicht angenommen werden „darf“, ausnahmslos auf das materielle Strafrecht übertragbar ist (in diesem Sinne allerdings BGH, Urteile vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, aaO, S. 142; vom 26. August 2003 – 1 StR 174/03, aaO). Im Hinblick auf die Schwere der im Schuldspruch rechtskräftig abgeurteilten Taten sowie der durch diese hervorgerufenen, anhaltenden erheblichen psychischen Belastungen für die Nebenklägerin liegt eine solche ausnahmebegründende Fallkonstellation hier völlig fern.

c) Die Annahme des Landgerichts, es habe der für den Täter-Opfer-Ausgleich erforderliche „kommunikative Prozess“ zwischen Angeklagtem und Nebenklägerin stattgefunden (UA S. 15) und der Vergleich habe friedensstiftende Wirkung gehabt (UA S. 14), hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Aus dem Verhalten des Angeklagten während des Verfahrens, insbesondere der frühzeitigen geständigen Einlassung und dem Verzicht auf die Einvernahme der Nebenklägerin, den beiden Entschuldigungsschreiben, den nicht unbeträchtlichen Schmerzensgeldzahlungen sowie dem Zustandekommen des – umfassenden – Vergleichs über künftigen materiellen und weiteren immateriellen Schadensersatz durfte die Strafkammer auf einen Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB einschließlich des durch Übernahme von Verantwortung geprägten kommunikativen Prozesses und einer gewissen Akzeptanz auf Seiten der Nebenklägerin schließen…..

 

Täter-Opfer-Ausgleich, oder: Wenn schon Ausgleich, dann bei allen Geschädigten

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Leider heute keine Gebührenentscheidung – ich habe nichts im Ordner hängen :-). Daher eine Entscheidung des BGH zum Täter-Opder-Ausgleich (§ 46a StGB). Der Angeklagte ist wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das LG hatte den Strafrahmen weiter gemäß §§ 46a Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB gemildert, da sich der Angeklagte bei dem Geschädigten B. entschuldigt und ihm ein Schmerzensgeld gezahlt habe. Der BGH hebt mit BGH, Urt. v. 07.02.208 – 5 StR 535/17 – auf. Denn:

„Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB erfüllt seien und dieser vertypte Strafmilderungsgrund deshalb zugunsten des Angeklagten bei der Strafrahmenwahl zu berücksichtigen sei. Denn es reicht insofern nicht aus, dass ein Ausgleich nur in Bezug auf einen von mehreren Geschädigten gegeben ist. Sind durch eine Straftat Rechtsgüter mehrerer Personen verletzt, muss nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Variante des § 46a StGB erfüllt sein (vgl. BGH, Urteile vom 5. März 2014 – 2 StR 496/13, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 10, und vom 22. Juni 2017 – 4 StR 151/17, NStZ-RR 2017, 306; MüKoStGB/Maier, 3. Aufl., § 46a Rn. 12, 26). Hier ist der Inhaber des Pizza-Lieferservices, dem ein Vermögensschaden zumindest in Höhe der erbeuteten Waren entstanden ist, neben dem Geschädigten B.  ein weiteres Opfer der Tat. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, dass auch im Hinblick auf seine Person eine Variante des § 46a StGB vorliegt.“