Schlagwort-Archive: Sicherungsspinne

Strafrecht I: Diebstahl im besonders schweren Fall, oder: Schutz durch „Sicherungsspinne“?

Entnommen wikimedia.org
Author Rainer Lippert

Materielles Strafrecht kommt hier im Blog immer ein wenig kurz. Dem will ich dann heute mal abhelfen mit drei Entscheidungen zum StGB.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 26.06.2018 – 1 StR 78/18. Verurteilt worden ist der Angeklagte wegen „einfachen“ Diebstahls. Die StA hat Revision eingelegt. Sie möchte eine höhere Strafe. Sie beanstandet, dass die Strafkammer die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB verneint und sodann auch einen unbenannten besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB abgelehnt hat.

Das Rechtsmittel hatte beim BGH Erfolg. Auszugehen war von folgenden Feststellungen:

Nach den Urteilsfeststellungen beschlossen der Angeklagte und der Mitangeklagte Al. , im Elektronikfachmarkt von der Aktionsware ein Tablet der Marke Samsung Galaxy Tab 6 zu entwenden. Um die ca. 18 × 30 cm große Verpackung waren Elektrodrähte angebracht (sog. Sicherungsspinne). Bei Durchtrennen der Drähte oder Passieren des Kassenbereichs löst die Sicherungsvorrichtung ein Alarmsignal aus.

Der Angeklagte entfernte mit einer von ihm gewohnheitsmäßig als Drogenutensil verwendeten 3,2 cm langen und in einem Bereich von 2 cm scharfgeschliffenen Skalpellklinge die Sicherungsspinne an der Verpackung des Tablets. Anschließend entnahm der Mitangeklagte Al. das Tablet aus der Verpackung und steckte es unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere Verpackung legte er in einem Gang des Marktes ab.

Der Angeklagte wollte nun auch ein Tablet für sich haben. Deshalb begaben sich beide erneut zu der Aktionsware. Der Mitangeklagte Al. nahm ein weiteres Tablet desselben Modells, bei dem sich allerdings die Sicherungsspinne ohne Werkzeugeinsatz entfernen ließ. Zusammen mit dem verpackten Tablet gingen die Angeklagten in die DVD-Abteilung. Absprachegemäß deckte der Angeklagte den Mitangeklagten Al. ab, während dieser versuchte, die Verpackung zu öffnen. Da er das Siegel nicht entfernen konnte, nahm er sein Taschenmesser, von dem der Angeklagte keine Kenntnis hatte, aus der Hosentasche, schnitt das Siegel auf, riss die Verpackung auf und steckte das Tablet ebenfalls unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere Verpackung legte er zu den DVDs. Anschließend gingen beide in Richtung Ausgang und verließen ohne zu bezahlen den Markt.“

Dazu der BGH:

Der Strafausspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand, weil die getroffenen Feststellungen dem Revisionsgericht keine Prüfung ermöglichen, ob die Strafkammer das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB ohne Rechtsfehler verneint hat. Nach dieser Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall des Diebstahls in der Regel dann vor, wenn der Täter eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist. Die Schutzvorrichtung muss tatsächlich funktionsfähig und aktiviert sein. Deshalb ist ein offenes Schloss oder ein geöffneter Tresor keine Schutzvorrichtung gegen Wegnahme (z.B. BGH, Beschluss vom 20. April 2005 – 1 StR 123/05; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 243 Rn. 16a; LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 243 Rn. 29).

Schutzvorrichtungen i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB sind – wie das als Beispiel erwähnte Behältnis – solche, die nach ihrer Beschaffenheit dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Nicht ausreichend ist es, wenn die Schutzvorrichtung erst wirksam wird, wenn der Gewahrsam bereits gebrochen ist. Deshalb sind Sicherheitsetiketten an Waren in Kaufhäusern, die akustischen oder optischen Alarm erst auslösen, wenn der Täter das Kaufhaus verlässt, keine Schutzvorrichtungen. Sie sind nicht dazu geeignet und bestimmt, den Gewahrsamsbruch, der bei handlichen und leicht beweglichen Sachen in der Regel mit dem Verbergen des Diebesguts in der Kleidung des Täters oder in einem von diesem mitgeführten Behältnis innerhalb des Kaufhauses vollendet ist (vgl. hierzu z.B. BGH, Beschluss vom 16. September 2014 – 3 StR 373/14, Vollendung des Diebstahls durch Einstecken des Notebooks in den mitgeführten Jute-Beutel; Urteil vom 6. November 1974 – 3 StR 200/74, BGHSt 26, 24, 25 f.; Fischer, aaO, Rn. 16 und § 242 Rn. 18 mwN; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 29. Aufl., § 243 Rn. 25), zu verhindern, sondern sie dienen der Wiederbeschaffung des bereits an den Täter verlorenen Gewahrsams (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Dezember 1997, 2 Ss 347/97 – 98/97 II, NJW 1998, 1002; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Oktober 1984 – 1 Ss 672/84, NStZ 1985, 76; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Januar 1993 – 3 Ss 396/92, MDR 1993, 671, 672).

Hat die Sicherungsspinne bei Durchtrennen mit dem Skalpell keinen Alarm ausgelöst, weil sie defekt oder nicht aktiviert war, handelt es sich nicht um eine Schutzvorrichtung i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. Ob dies der Fall war oder die Sicherungsspinne ohnehin erst beim Verlassen des Elektronikfachmarkts Alarm ausgelöst hätte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Hätte sie erst beim Verlassen des Markts Alarm ausgelöst, ist sie in der Funktionsweise den Sicherungsetiketten vergleichbar. Hat sie aber bereits beim Durchtrennen der Drähte Alarm ausgelöst, ist zu prüfen, ob diese Funktion bereits den Bruch des Gewahrsams erschwert. So sind Einbruchsmelder an Gebäuden oder Autoalarmanlagen Schutzvorrichtungen, da sie dazu dienen, den Gewahrsamswechsel durch Alarmierung hilfsbereiter Dritter zu erschweren (Vogel, aaO, § 243 Rn. 30). Allerdings kann bei kleineren Gegenständen im Kaufhaus der Gewahrsamsbruch bei Ertönen des Alarmsignals bereits vollzogen sein oder noch vollzogen werden; denn es macht das Personal nur auf eine stattgefundene Manipulation oder einen erfolgten Gewahrsamsbruch aufmerksam. Das Personal kann, wenn es ihm gelingt, den Täter rechtzeitig zu erkennen und zugriffsbereite Personen vorhanden sind, Maßnahmen zu dessen Ergreifung und Wiedererlangung des Gegenstands einleiten.“