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StGB I: Der Einsatz von Gewalt/Drohung beim Raub, oder: Motivwechsel

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Heute dann aus dem StGB-Bereich drei Entscheidungen zu den sog. Eigentumsdelikten, und zwar zweimal Raub, einmal Diebstahl.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 03.03.2021 – 2 StR 170/20. Verurteilt worden ist der Angeklagte wegen Raubes. Der BGH hat in der Revision zu der Frage Stellung genommen, ob der Tatbestand des Raubes auch dann erfüllt ist, wenn die zunächst mit anderer Zielrichtung vorgenommene Gewalt zum Zeitpunkt der Wegnahme noch andauert oder als aktuelle Drohung mit erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und der Täter diesen Umstand bewusst dazu ausnutzt, dem Opfer, das sich dagegen nicht mehr zu wehren wagt, die Beute wegzunehmen. Die Frage hat er bejaht:

„1. Der Schuldspruch weist Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht auf. Insbesondere hält ihre Verurteilung wegen besonders schweren Raubes revisionsgerichtlicher Überprüfung stand (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 StGB).

a) Der Tatbestand des Raubes erfordert den Einsatz von Gewalt oder Drohung als Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme einer Sache (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 15. September 1964 ‒ 1 StR 26/64, BGHSt 20, 32, 33, vom 22. September 1983 ‒ 4 StR 376/83, BGHSt 32, 88, 92, und vom 20. Januar 2016 ‒ 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141, 144). Er ist auch dann erfüllt, wenn die zunächst mit anderer Zielrichtung vorgenommene Gewalt zum Zeitpunkt der Wegnahme noch andauert oder als aktuelle Drohung mit erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und der Täter diesen Umstand bewusst dazu ausnutzt, dem Opfer, das sich dagegen nicht mehr zu wehren wagt, die Beute wegzunehmen (vgl. nur BGH, Urteile vom 22. September 1983 ‒ 4 StR 376/83, BGHSt 32, 88, 92, und vom 25. Oktober 2012 ‒ 4 StR 174/12, NStZ 2013, 471, 472).

Erforderlich hierfür ist etwa, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch Äußerungen oder sonstige Handlungen genügend erkennbar macht; es genügt nicht, wenn der andere nur erwartet, der Täter werde ihm ein empfindliches Übel zufügen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1955 ‒ 4 StR 8/55, BGHSt 7, 252, 253; Urteil vom 12. Februar 2015 ‒ 1 StR 444/14, BeckRS 2015, 6005). War das Tatopfer allerdings zahlreichen, nicht notwendig im Zusammenhang mit Raub oder räuberischer Erpressung stehenden körperlichen Übergriffen ausgesetzt, liegt es nahe, dass der Täter für den Fall, dass sich das Opfer seinem erpresserischen Ansinnen verweigert oder einer Wegnahme entgegentritt, zumindest konkludent mit der Anwendung weiterer Gewalt droht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2012 ‒ 3 StR 422/12, BeckRS 2013, 1325; vom 16. September 2015 ‒ 5 StR 331/15, NStZ-RR 2015, 372). Dies gilt insbesondere im Falle einer zeitlich an solche körperlichen Übergriffe unmittelbar anschließenden Wegnahmehandlung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2012 ‒ 3 StR 422/12, NStZ-RR 2013, 210; vgl. zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung BGH, Urteil vom 2. Dezember 2020 ‒ 6 StR 148/20, BeckRS 2020, 36559). Es genügt, dass aus der Sicht des Täters der Einsatz des Nötigungsmittels notwendig ist. Allein sein Wille und seine Vorstellung, etwa von einer nötigungsbedingten Schwächung der Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft des Tatopfers, sind für den Finalzusammenhang maßgebend (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 ‒ 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141, 144; Senatsbeschluss vom 29. August 2019 ‒ 2 StR 85/19, BeckRS 2019, 27175; Beschluss vom 13. November 2012 ‒ 3 StR 422/12, BeckRS 2013, 1325).

b) Hieran gemessen tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen die Wertung der Strafkammer, die Angeklagten E. und I. hätten gemeinschaftlich gegen den Zeugen B. ein Nötigungsmittel im Sinne von § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zum Zwecke der Wegnahme des Fernsehgerätes eingesetzt.

aa) Zwar nahmen beide Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen die von ihnen zunächst gemeinschaftlich mit dem früheren Mitangeklagten L. ausgeübten massiven Gewalthandlungen allein deshalb vor, um die ‒ auch aus ihrer Sicht berechtigte ‒ Forderung des L. gegen den Zeugen B. durchzusetzen. Es fehlte ihnen daher zu diesem Tatzeitpunkt die für den Raub notwendige Zueignungsabsicht. Den Entschluss zur rechtswidrigen Zueignung des Fernsehgerätes fassten beide erstmals nach Abschluss der letzten Gewalthandlung. Die vom Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung geäußerte Ansicht, dass die Beschuldigten zu diesem Zeitpunkt lediglich einen bereits zuvor gefassten und allgemein auf die rechtswidrige Zueignung gerichteten Vorsatz um dieses Tatobjekt erweiterten, teilt der Senat nicht. Insoweit fehlt es ‒ auch in der Gesamtschau der Urteilsgründe ‒ an hinreichend tragfähigen Feststellungen des Landgerichts. Es lag ‒ wie der Generalbundesanwalt im Ausgangspunkt zu recht annimmt ‒ schließlich auch keine zum Zwecke der Wegnahme vorgenommene qualifizierte Nötigungshandlung in der von den Angeklagten E. und I. beim Verlassen der Wohnung mit ihrer Tatbeute ausdrücklich ausgesprochenen Drohung vor, die Familie des Zeugen B. „abzustechen“. Diese Drohung hatte ersichtlich keine gegenwärtige Gefahr zum Gegenstand, sondern sollte vielmehr eine Verständigung der Polizei zu einem späteren Zeitpunkt und damit nach Tatbeendigung verhindern.

bb) Die Urteilsfeststellungen tragen aber die tatgerichtliche Annahme einer Einwirkung der zuvor ‒ ohne Wegnahmeabsicht ‒ angewendeten Gewalt gegen den Zeugen als aktuelle Drohung mit erneuter Gewaltanwendung. Die Angeklagten stellten jedenfalls in der Gesamtschau der Urteilsgründe dem Zeugen gemeinschaftlich konkludent in Aussicht, dass sich die zuvor über einen Zeitraum von etwa 30 Minuten in mehreren Schritten sukzessiv verübten Gewalthandlungen im Falle eines Widerstands des Zeugen ebenso wiederholen würden, wie die Bedrohung mit dem unmittelbar zuvor bereits eingesetzten Messer. Die Strafkammer hat hierzu zutreffend insbesondere auf die zeitlich „unmittelbar vorangegangen massiven Gewalteinwirkungen“ abgestellt. Beide Angeklagten handelten hiernach auch in dem „Bewusstsein“, dass der Zeuge eingedenk der zuvor erlebten Gewalt keinen Widerstand leisten würde (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 ‒ 4 StR 260/10, NStZ 2010, 570; Beschluss vom 10. Mai 2011 ‒ 3 StR 78/11, NStZ 2012, 34). Insbesondere mit Blick auf das für den Geschädigten vor diesem Hintergrund erkennbare sukzessive Eingreifen des Angeklagten E. zur Unterstützung des Abtransports des Fernsehgeräts durch I. und die noch vor Tatbeendigung ausgesprochene ‒ sogar ausdrücklich einen erneuten Einsatz des von E. mitgeführten Messers in Aussicht stellenden ‒ Drohung für den Fall einer Strafanzeige des Geschädigten bedurfte es keiner weiteren Urteilsfeststellungen hierzu.“