In die 46. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona. Das Thema begleitet uns ja immer noch und wird uns sicherlich auch noch einige Zeit „begleiten“.
Bei der ersten Entscheidung, die ich auch hier vorstelle, handelt es sich um das AG Dortmund, Urt. v. 02.11.2020 – 733 OWi – 127 Js 75/20 – 64/20. Das hatte ja in der vergangenen Woche für Furore gesorgt, vor allem bei „Corona-Leugner“, aber auch bei denjenigen, die zwar Cornona nicht leugnen, aber die Corona-Maßnahmen als nicht mehr verfassungsgemäß ansehen.
Ich stelle das Urteil hier nicht insgesamt bzw. teilweise ein, dafür ist die Begründung zu lang. Die mag jeder, den es interessiert im Volltext nachlesen.
In der Sache ging es um einen Freispruch von drei Betroffenen, die sich im Frühjahr 2020 Betroffenen gemeinsam in der Zeit vom 23:53 Uhr bis 0:08 Uhr auf einem öffentlichen Platz aufgehalten und damit gegen die damals geltenden Kontaktbeschränkungen verstoßen haben sollen.
Die Begründung des AG geht im Ansatz von folgender Überlegung aus:
„Der Betroffene war gleichwohl freizusprechen, da § 12 CoronaSchVO gegen höherrangiges Recht verstößt. Zum einen ist die Vorschrift von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage der §§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, 32 IfSG nicht gedeckt und verstößt damit gegen Bundesrecht. Zum anderen ist die Norm für sich genommen keine geeignete gesetzliche Grundlage, weil eine solche Regelung dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten war und die Norm damit wegen Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt verfassungswidrig ist.
Ausgangspunkt beider Begründungsansätze ist hierbei, dass es sich bei dem in Rede stehenden Kontaktverbot um einen äußerst schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützten Interessen der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens handelt. Das Verbot von Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen betrifft den Kern einer durch Interaktion seiner Bürger in allen Lebensbereichen ausgezeichneten offenen, freiheitlichen und sozialen Gesellschaft, wie sie das Grundgesetz im Blick hat. Für sich genommen greift ein solches Verbot zwar unmittelbar lediglich in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG ein, da anders als die Ausgangsbeschränkungen in anderen Bundesländern die körperliche Fortbewegung nicht erschwert oder unmöglich gemacht wird und somit ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ausscheidet. Das Kontaktverbot stellt aber das Grundkonzept der Pandemiebekämpfung in Nordrhein-Westfalen wie auch in vielen anderen Bundesländern dar. Nachvollziehbarer Weise und wahrscheinlich auch erfolgreich wurde durch eine möglichst große Reduzierung der sozialen Kontakte der Menschen untereinander durch ein final bezwecktes „Herunterfahren“ des öffentlichen Lebens eine unkontrollierte Infizierung der Bevölkerung mit einem in seinen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen noch weitgehend unbekannten Virus und eine damit zu befürchtende Überlastung des Gesundheitssystems verhindert. Dieser Logik der Pandemiebekämpfung folgt das Kontaktverbot bzw. ist dessen normativer Grundpfeiler. Durch die übrigen in der CoronaSchVO enthaltenen Ge- und Verbote, die besondere Lebensbereiche betreffen, wird diese Logik fortgeschrieben. So stehen sämtliche in den §§ 1 bis 11 CoronaSchVO in der hier maßgeblichen Fassung vom 30.03.2020 genannten Maßnahmen in unauflösbarem Zusammenhang mit der Systematik der Pandemiebekämpfung durch Kontaktreduzierung und damit dem allgemeinen Kontaktverbot des § 12 CoronaSchVO. Daher betrifft diese Norm nicht nur den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern darüber hinaus mittelbar die Berufsfreiheit, die Eigentumsfreiheit, die Religionsfreiheit und die Versammlungsfreiheit (vgl. im Einzelnen: Wissenschaftliche Dienste-Deutscher Bundestag, Kontaktbeschränkungen zwecks Infektionsschutz: Grundrechte, WD 3-3000-079/20).“
Nun, man wird sehen, was das OLG Hamm – m.E. der 1. Senat für Bußgeldsachen – damit macht. Rechtsbeschwerde hat die Staatsanwaltschaft eingelegt. Wir werden dann bald etwas aus Hamm hören.
Vielleicht noch Folgendes: In der „Corona-Szene“ ist das Urteil natürlich gefeiert worden (vgl. z.B. das Zitet in der SZ). Allerdings wird dabei m.E. zum Teil übersehen, dass ein Beschluss aus Hamm, der die Rechtsbeschwerde der StA verwerfen würde – ebenso wie das AG Urteil – keine allgemeine Bidnungswirkung hat. Es war ja kein Normenkontrollverfahren. Eine Signalwirkung würde der Beschluss allerdings schon haben.
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