Und die dritte Entscheidung, die ich heute vorstelle, kommt mit dem LG Halle, Beschl. v. 01.04.2020 -2 KLs 901 Js 37391/18 (13/18) – vom LG Halle. Er lässt mich ein wenig ratlos zurück. Denn:
Das LG befindet sich in laufender Hauptverhandlung. Die wird nach dem letzten Hauptverhandlungstermin am 11.03.2020 gem. § 229 Absatz 1 StPO unterbrochen. Nach Inkrafttreten des § 10 EGStPO beschließt die Strafkammer dann am 30.03.2020 mit Wirkung ab 30.03.2020 die Hemmung der Unterbrechungsfrist der Hauptverhandlung gem. § 10 Satz 1, 1. Halbs. EGStPO gehemmt. So weit, so gut. Bis dahin noch alles nachvollziehbar. Aber dann beschließt sie am 01.04.2020 die kommissarische Vernehmung einer Zeugin gem. § 223 Abs. 1 StPO mit der Begründung „nicht zu beseitigendes Hindernis von ungewissser Dauer“:
„Die Entscheidung folgt aus § 223 Abs. 1 StPO. Es besteht mit der gegenwärtigen Coronaepedemie ein nicht zu beseitigendes Hindernis von ungewisser Dauer. Die Zeugin ist Mutter zweier schuldpflichtiger Kinder und musste aufgrund der gegenwärtigen Lage bereits einmal abgeladen werden. So sieht die Zweite Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 des Landes Sachsen-Anhalt vom 24. März 2020 in § 18 Absatz 1 bereits vor, physische Kontakte zu anderen Personen auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Die Zeugin lebt gegenwärtig in Hamburg. Sie hat bereits einmal vor der Polizei und in dem abgetrennten Verfahren gegen den ehemaligen Mitangeklagten pp. vor der Kammer ausgesagt. Das Verfahren gegen den jetzigen Angeklagten musste seinerzeit abgetrennt werden, weil dieser zwar zum anberaumten Hauptverhandlungstermin erschien, sich dann aber darauf berief, nicht rechtzeitig geladen worden zu sein.
Die Verurteilung gegen den ehemaligen Mitangeklagten pp. wegen Bestechlichkeit unter Beteiligung des jetzigen Angeklagten erwuchs zum Teil in Rechtskraft. Die Zeugin hatte seinerzeit zur Rolle des pp. ausgesagt, wie auch aus den Urteilsgründen zu entnehmen ist.
Der Angeklagte ist zum Hauptverhandlungstermin am 30. März 2020 nicht erschienen. Er legte wie bereits zweimal zuvor eine ärztliche Bescheinigung über eine Erkrankung und eine damit verbundene Verhandlungsunfähigkeit und jetzt bestehende Reiseunfähigkeit vor. Auf telefonische Nachfrage in der Arztpraxis wurde zunächst mitgeteilt, dass der Angeklagte sich dort nur telefonisch gemeldet habe. Später teilte die behandelnde Ärztin dann in einem weiteren Telefonat mit dem Vorsitzenden abweichende von der ursprünglichen Auskunft mit, dass der Angeklagte bei ihr vorstellig geworden sei. Er habe seine Krankheitssymptome geschildert, sie habe ihn zwar untersucht, aber kein Fieber gemessen, ihre Diagnose erstellt und dem Angeklagten Bettruhe verordnet.
Geht man davon aus, dass die gegenwärtige Lage eine Nachsicht gegenüber dem Angeklagten bei der Frage der Zumutbarkeit des Erscheinens vor Gericht gebietet, so muss dies auch der Zeugin pp. zugestanden werden, zumal sich der Angeklagte bisher noch nicht bestreitend zur Sache in der Hauptverhandlung eingelassen hat. Auch die Amtsaufklärungspflicht gebietet in der Gesamtschau zur Zeit nicht das persönliche Erscheinen der Zeugin.“
Ratlos? Ja, denn ich verstehe das widersprüchliche Verhalten nicht. Einerseits Hemmung, andererseits aber auch kommissarische Vernehmung. Da habe ich erhebliche Zweifel, ob das so geht. Vor allem frage ich mich: Müssen denn nicht im Zeitpunkt der offenbar geplanten Verlesung der Aussage der Zeugen in der demnächst fortgeführten Hauptverhandlung nach § 251 Abs. 2 Nr. StPO demnächst noch die Voraussetzungen für die Anordnung der kommissarischen Vernehmung pp. vorliegen? Eine ganz interessante Frage, die ich bejahen würde, mit der Folge, dass dann neu über das Vorliegen befunden werden müsste. Und wenn die Voraussetzungen nicht (mehr) vorliegen, muss die Zeugin in der Hauptverhandlung vernommen werden.
Im Moment kann man da allerdings nicht viel tun. § 305 Satz 1 StPO lässt grüßen. Man kann Beschwerde einlegen, das wird aber im Zweifel nicht viel bringen.