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StPO I: Strengbeweisverfahren/Gerichtskundigkeit, oder: Kein Hinweis auf „Gerichtskundigkeit“

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Und heute dann – vor dem Gebührenrecht am morgigen Freitag – noch einmal ein paar StPO-Entscheidungen.

Zunächst kommt hier etwas vom BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 11.05.2022 – 5 StR 306/21. Das LG hat in einem Verfahren gegen mehrere Angeklagte den Angeklagten D wegen Verabredung zum Verbrechen der Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum Besitz und zum Führen eines waffenrechtlich verbotenen Gegenstandes zu einer Freiheitsstrafen von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, und zwar ohne Bewährung. Dagegen hat die Revision des Angeklagten hinsichtlich der Bewährungsfrage mit der auf einer Verletzung des § 261 StPO StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg:

„a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Angeklagte D.   wurde am 9. Juli 2019 vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Mit dem Haftverschonungsbeschluss wurde ihr unter anderem auferlegt, jeden – auch mittelbaren – Kontakt zu den Mitangeklagten R. und S. zu unterlassen.

Seine Entscheidung, der unbestraften Angeklagten D. eine Strafaussetzung zur Bewährung zu versagen, hat das Landgericht im Urteil unter anderem auf folgende Erwägung gestützt: „In der Hauptverhandlung ist die Angeklagte D. etwa dadurch aufgefallen, dass sie sich – trotz wiederholten Hinweises der Vorsitzenden hierauf – in Unterbrechungen derselben hartnäckig über die Auflage ihres Verschonungsbeschlusses, sich von den Mitangeklagten fernzuhalten, hinweggesetzt und sich direkt zu diesen begeben, mit ihnen gesprochen und sie umarmt hat.“ Diese und weitere Umstände zeigten, so das Landgericht, dass „jedenfalls das Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung die Angeklagte D. nicht nachhaltig beeindruckt haben. Zur Überzeugung der Strafkammer ist nach alledem nunmehr auch die vorliegende Verurteilung als solche nicht geeignet, die Angeklagte D. von der Begehung weiterer Straftaten aus ihrer fortbestehenden, rechtsfeindlichen Motivation heraus abzuhalten.“

Das Verhalten der Angeklagten D. gegenüber den Mitangeklagten in den Sitzungspausen wurde nicht mittels strafprozessualer Strengbeweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt. Darauf, dass diese Umstände als gerichtskundige Tatsachen dem Urteil zugrunde gelegt werden könnten, wurde die Angeklagte D. nicht hingewiesen. Aus den in den Urteilsgründen erwähnten „wiederholten Hinweisen“ der Vorsitzenden und aus der von der Revision vorgetragenen einmaligen Ermahnung der Vorsitzenden an die Angeklagte D., den inhaftierten Mitangeklagten keine Lebensmittel auszuhändigen, ergibt sich weder eine strengbeweisliche Einführung ihres Verhaltens in den Sitzungsunterbrechungen noch ein spezifischer Hinweis auf die Gerichtskundigkeit und die daraus folgende Verwertbarkeit dieser Umstände für das Urteil. Vor allem aber musste aus diesen Hinweisen für die Angeklagte nicht erkennbar werden, inwiefern dem gerügten Verhalten seitens des Gerichts potentielle Bedeutung für die Rechtsfolgenentscheidung beigemessen wurde.

b) Bei dieser Sachlage macht die Revision mit Recht geltend, das Landgericht habe bei seiner Entscheidung, die Strafaussetzung zu versagen, Tatsachen verwertet, die weder im Strengbeweisverfahren in die Beweisaufnahme eingeführt wurden noch als gerichtskundig dem Urteil zugrunde gelegt werden durften (§ 261 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2015 – 2 StR 126/15).

c) Auf diesem Rechtsfehler beruht die Versagung der Strafaussetzung (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne Berücksichtigung des nicht eingeführten Umstands zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.“