Die zweite Entscheidung, die sich mit einer versäumten Urteilsabsetzungfrist befasst, hat mit der Kollege C. Schneider aus Leipzig geschickt. Es handelt sich um den OLG Rostock, Beschl. v. 23.08.2019 – 21 Ss 210/19 (B). Der Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde liegt, ergibt sich aus dem Beschluss, in dem es heißt:
„….Das Urteil des Amtsgerichts Waren (Müritz) ist am 27.11.2017 verkündet worden, so dass die Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO mit Ablauf des 02.01.2018 endete (§ 43 Abs. 1 und 2 StPO). Ausweislich des Eingangsvermerks der Geschäftsstelle (BI. 67 d.A.) und der dienstlichen Stellungnahme des erkennenden Richters vom 08.07.2019 (BI. 132 ff. d.A.) ist das vollständige, mit Gründen versehene Urteil aber erst am 11.01.2018 und somit nach Ablauf der fünfwöchigen Frist zu den Akten gebracht worden.
Die Fristüberschreitung war auch nicht gemäß § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO durch einen nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand gerechtfertigt. Gerichtsorganisatorische Gründe oder die allgemeine Arbeitsüberlastung oder Versehen des Richters, der Kanzlei oder der Geschäftsstelle stellen keinen nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand in diesem Sinne dar (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 275 Rn. 14). Zu den voraussehbaren, vermeidbaren Umständen gehört mithin in erster Linie alles, was die Organisation der Justiz betrifft, nämlich einerseits hinsichtlich der Person des Urteilsverfassers, ggfls. die Nichtgewährung der für die Absetzung des Urteils erforderlichen zeitlichen Freistellung bzw. arbeitsmäßigen Entlastung, insbesondere auch bei plötzlicher Versetzung, Abordnung oder anderweitiger Verwendung, und andererseits hinsichtlich der technischen Herstellung und büromäßigen Verarbeitung des Urteils, etwa eine Verzögerung durch wechselnde Besetzung der Geschäftsstelle, durch Mängel der Übertragung vom Tonträger durch Kanzlei oder durch plötzlich auftretende Engpässe im Kanzleibetrieb und dergleichen (OLG Hamm, Beschluss vom 29.12.1976 — 4 Ss OWi 930/76 Rn. 17, zit. nach juris).
Nach der dienstlichen Stellungnahme des erkennenden Richters vom 08.07.2019 beruhte die Nichteinhaltung der Urteilsabsetzungsfrist darauf, dass er im Jahr 2017 an zwei Gerichtsstandorten Dienst zu verrichten hatte, sich im Zeitraum 02. – 20.10.2017 und 27. – 29.12.2017 im Urlaub befand, ihm Anfang Dezember 2017 die Zustimmung zur Abordnung als Textanalyst für weitere zwei Jahre erteilt worden war mit daraus folgender Dienstreise am 03. und 04.12.2017 sowie ebenfalls daraus folgender Wahrnehmung organisatorischer Aufgaben und ab Oktober 2017 ein Anstieg der Eingangsbelastung für Ordnungswidrigkeitenverfahren zu verzeichnen war.
Diese Ausführungen des Tatrichters belegen, dass ihn kein unabwendbarer Umstand im Einzelfall an der rechtzeitigen Urteilsabsetzung gehindert hat, sondern seine generelle Arbeitsüberlastung. Diese Überlastung hat sich offenbar auch über einen längeren Zeitraum erstreckt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.01.2006 — 111-5 Ss 198/05 – 4/06 1 — Rn. 6, zit. nach juris). Die Arbeitsorganisation war schon ab dem Jahre 2017 durch abwechselnden Dienst an zwei Standorten erschwert. Bereits im Oktober 2017, mithin zwei Monate vor der Urteilsverkündung, stieg die Eingangsbelastung für Ordnungswidrigkeitenverfahren nach der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden sprunghaft um fast das Doppelte an. Die Arbeitsüberlastung hielt dann auch im Jahr 2018 an. Der Tatrichter hat dazu ausgeführt, im Jahre 2018 hatte er im Rahmen seiner Abordnung als Textanalyst an der Vorbereitung und Durchführung eines StVK-Workshops in Traunstein mitzuwirken sowie an einem Forumstar-Verbundtreffen in Schwerin. Zu zwei Dritteln des Jahres hatte er eine erkrankte Richterin zu vertreten. Auch im Spruchrichterdezernat ist die Eingangsbelastung sprunghaft angestiegen. Ein im Einzelfall die Fristüberschreitung rechtfertigender Umstand liegt mithin nicht vor, wie sich schon darin zeigt, dass nach der dienstlichen Äußerung des Richters in weiteren Fällen „die Absetzung einzelner Urteile zurückgestellt werden musste …“
Das angefochtene Urteil war von daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Waren (Müritz) zurückzuverweisen.“