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614 km = hohe Fahrtkosten, aber dennoch Pflichtverteidiger

© pedrolieb -Fotolia.com

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Ich freue mich immer über Beschlüsse, die ich von Kollegen geschickt bekomme. Besonders freue ich mich über diejenigen, bei denen ich sagen kann: Habe ich ja immer schon gesagt 🙂 . Und um solch einen Beschluss handelt es sich bei dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.10.2014 – 1 Ws  162/14. Er behandelt ein Problem der Pflichtverteidiger, nämlich die Beiordnung des nicht ortsansässigen Rechtsanwalts/Anwalts des Vertrauens als Pflichtverteidiger. Eine Frage, die in der Praxis eine große Rolle spielt und mit der sich die (Instanz)Gerichte häufig schwer tun. So auch im entschiedenen Fall. Denn da hatte der Rechtsanwalt seinen Sitz in Düren, das Verfahren war beim LG Neuruppin anhängig. Das sind mal locker etwas mehr als 600 km. Und da werden Vorsitzende von Strafkammern dann „mucker“. So auch beim LG Neuruppin. Die Beiordnung des Rechtsanwalts wurde abgelehnt. Begründung: Eine sachdienliche Verteidigung sei ob der Entfernung nicht möglich sein werde und die Bestellung erscheine aus Kostengründen unverhältnismäßig.

Das OLG hat es dann zutreffend anders gesehen:

„Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO bestellt der Vorsitzende den vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Zwar gibt die Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO dem Beschuldigten keinen Rechtsanspruch auf die Bestellung einer bestimmten (von ihm ausgewählten) Person als Verteidiger. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz genannten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und zugleich ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gesichert ist (vgl. OLG Düsseldorf StV 1984, 372). Dabei liegt die Auswahl des Verteidigers grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Allerdings ist dieses Ermessen unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze (vgl. BVerfGE 9, 36, 38; 39, 238, 239; BVerfG NJW 2001 3695, 3696) dahin eingeschränkt, dass bei der Auswahl des Verteidigers auch dem Interesse des Beschuldigten, von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden, ausreichend Rechnung getragen werden muss. Grundsätzlich soll der Beschuldigte mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (vgl. BVerfGE 9, 36, 38). Deshalb soll der Beschuldigte nach § 142 Abs. 1 StPO Gelegenheit erhalten, einen Anwalt zu benennen. Diesen muss das Gericht beiordnen, wenn nicht gewichtige Gründe entgegenstehen (§ 142 Abs. 1 Satz 2 StPO). Der ortsferne Kanzleisitz des gewählten Verteidigers kann zwar einen Grund darstellen, die Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts abzulehnen. Im Bestellungsverfahren tritt der Gesichtspunkt der Ortsnähe im Rahmen der gebotenen Interessensabwägung aber grundsätzlich gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu seinem Verteidiger zurück (vgl. BVerfG NJW 2001, 3695, 3696, 3697; BGHSt 43, 153, 157; OLG Stuttgart StraFo 2006, 112, 113). Der Umstand der Ortsferne an sich ist deshalb nicht ausreichend. Er steht nur dann der Bestellung entgegen, wenn dadurch eine sachdienliche Verteidigung des Beschuldigten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet werden. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Der Verteidiger ist trotz der Ortsferne seit vielen Jahren für den Angeschuldigten tätig. Offensichtlich hat diese bislang nicht zu Schwierigkeiten bei der Vertretung geführt. Der Verteidiger hat in seinem Erwiderungsschriftsatz vom 8. Oktober 2014 ausreichend dargetan, dass trotz der erhebliche Entfernung zwischen seinem Kanzleisitz und dem Wohnort des Angeschuldigten in den vergangenen Jahren ausreichende Kommunikation zwischen ihnen stattgefunden habe. Negative Auswirkungen auf die Effektivität der Verteidigung des Angeschuldigten bzw. auf die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens sind hiernach nicht zu befürchten.

Auch haben fiskalische Interessen an der Entstehung möglichst niedriger Verteidigerkosten (insbesondere Fahrtkostenersatz) angesichts der hohen Bedeutung des Rechts eines Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, zurückzutreten.“

Ich habe es ja immer schon gesagt…. 🙂