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Einziehung I: Das „erlangte etwas“ bei Steuerhehlerei, oder: Erlangt sind die Zigaretten, nicht Steuerersparnis

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Bevor es morgen dann Entscheidungen zum RVG gibt, heute noch ein paar Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 13.01.2022 – 1 StR 481/21- zur Einziehung bei gemeinschaftlich begangener gewerbsmäßiger Steuerhehlerei.

Nach den Feststellungen bestellte die Angeklagte als Mitglied einer auch aus dem X und Y bestehenden Gruppierung im Zeitraum Mai 2015 bis Juni 2016 bei polnischen Verkäufern in 74 Fällen unversteuerte Zigaretten. Dabei bestimmte sie nicht nur die Zigarettenmarke und die Anzahl der Zigaretten, sondern koordinierte auch die Übergabe der Ware an X und Y bzw. an beauftragte Helfer. Die Zigaretten wurden sodann mit einem Gewinn von mindestens 6 EUR pro Stange weiterveräußert.  Bis Mai 2016 führte die Angeklagte die Bücher der Gruppierung und war für die Bezahlung der Festgehälter der Helfer zuständig. Mit X und X teilte sie sich den Gewinn.

Die Angeklagte wurde vom LG wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 74 Fällen verurteilt, da sie sich zusammen mit X und Y die Zigaretten verschaffte (§ 374 Abs. 1 Variante 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB). Des Weiteren wurde die Einziehung des Wertes der veräußerten Zigaretten angeordnet, wobei die Angeklagte Gesamtschuldnerin war. Es wurde hierbei ein Verkaufspreis von mindestens 22 EUR pro Stange zugrunde gelegt (§§ 73 Abs. 1, 73c S. 1 Variante 2, 73d Abs. 2 StGB); eingezogen wurden insgesamt 727.346,96 EUR. Der BGH hat die Einziehungsentscheidung nicht beanstandet:

„b) Auch die Einziehungsanordnung hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.

aa) Ein Vermögenswert ist nach § 73 Abs. 1 StGB durch die Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehindert auf den Vermögensgegenstand zugreifen können. Faktische Mitverfügungsgewalt kann sich – jedenfalls bei dem vor Ort anwesenden, die Beute oder Teile davon in den Händen haltenden Mittäter – auch in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegeln. Denn damit verfügt der Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit diesen Teile des gemeinsam Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet (BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 – 2 StR 311/21 Rn. 16 und vom 19. November 2019 – 1 StR 525/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 32 Rn. 3; Urteile vom 20. November 2019 – 2 StR 54/19 Rn. 11; vom 5. Juni 2019 – 5 StR 670/18 Rn. 7 und vom 13. März 2019 – 1 StR 424/18 Rn. 31).

Bei der Steuerhehlerei sind das „erlangte etwas“ die Zigaretten, nicht etwa die von den Vortätern erzielte Steuerersparnis (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2021 – 1 StR 502/20 Rn. 6, 8 und vom 11. Februar 2020 – 1 StR 438/19 Rn. 5; Urteil vom 11. Juli 2019 – 1 StR 634/18, BGHSt 64, 152 Rn. 28 f.; je mwN). Eine steuerliche (Mit-) Haftung nach § 71 Variante 2, § 374 Abs. 1 Variante 1 AO für die hinterzogenen Verbrauchsteuern oder Einfuhrabgaben ist für die durch eine gegenständliche Betrachtungsweise geprägte strafrechtliche Vermögensabschöpfung nach alledem unerheblich.

bb) Die Angeklagte hatte eine ausreichende tatsächliche Verfügungsgewalt über die unversteuerten Zigaretten, auch wenn sie weder bei der Übergabe noch beim anschließenden Straßenverkauf zugegen war. Denn sie steuerte als zumindest gleichberechtigtes Gruppenmitglied die jeweilige Übergabe der Lieferungen und wies ihre beiden Mittäter bzw. die Helfer an, die Zigaretten auf Rechnung der Gruppierung entgegenzunehmen; in allen Fällen setzten die Mittäter die gemeinsame Abrede strikt um bzw. unterwarfen sich die Helfer den Anweisungen der Angeklagten (vgl. auch § 855 BGB).

In der anschließenden Weiterveräußerung zeigt sich die wirtschaftliche Verfügungsgewalt der Angeklagten über die Zigaretten: Mittels der Verkaufspreise überführte sie das Substrat der Zigaretten in ihr Vermögen; auch insoweit war ihre Anwesenheit bei der Entgegennahme der Kaufpreisgelder nicht erforderlich. Denn diese Gelder liefen bei ihr wirtschaftlich zusammen, damit sie nach Abzug der Aufwendungen (etwa Miete für das Quartier, Entlohnung der Helfer) den zwischen ihr und den beiden Mittätern zu verteilenden Gewinn bestimmen konnte.“