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Und nochmals „Seniorentag“: „Nicht spurtreu“, Schlagenlinien oder über die Straße irren?

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Nach dem OVG Saarland, Beschl. v. 01.10.2014 – 1 A 289/14  und dazu: Senoirentag: Ich würde gerne eine Fahrprobe abliefern…. hier dann die zweite Entscheidung zu der Problematik, nämlich den VG Stade, Beschl. v. 20.10.2014 – 1 B 1544/14. In dem Verfahren ging es um die Entziehung der Fahrerlaubnis, nachdem der Antragsteller mehrfach im Straßenverkehr, vor allem durch „nicht spurtreues Fahren“ auffällig geworden war. Der Antragsteller hat eine Fahrprobe abgelegt, die zu folgendem Ergebnis geführt hat:

Am 16. Juni 2014 legte der Antragsteller eine Fahrprobe ab. Hierüber erstellte der Prüfer vom TÜV Nord ein Eignungsgutachten. Die Fahrprobe habe eine Stunde und dreißig Minuten gedauert. Der Antragsteller habe sich hierauf nach eigenen Angaben mit 30 Fahrstunden bei einem Fahrlehrer vorbereitet. Unter dem Punkt „Beachtung der Verkehrsregeln“ stellt das Gutachten fest: „Nicht ausreichend. Zweimaliges Übersehen von Einmündungen mit der Vorfahrtsregel ,rechts vor links‘“. Unter dem Punkt „Beachtung der Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen“ heißt es im Gutachten: „Nicht ausreichend. Herr N. fährt nicht spurtreu. Beim Geradeausfahren zeitweise sehr weit rechts an der Fahrbahnbegrenzung, dann wieder sehr weit links bis zur Mittellinie. Beim Fahrstreifenwechsel nach links wird über vorgelagerte Sperrflächen gefahren. Außerorts wurde das Verkehrszeichen 274 (zul. Höchstgeschwindigkeit) 70 km/h nicht beachtet. Eingriff bei v=95 km/h.“ Unter dem Punkt „Reaktionen in kritischen Situationen“ heißt es im Gutachten: „Vorfahrtsverletzung. Bei 2x Linksabbiegen werden vorfahrtsberechtigte Fahrzeuge nicht beachtet“. Zusammenfassend stellt das Gutachten fest: „Aufgrund der von Herrn N. gezeigten Leistungen kann der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis (Fz der Gruppe I) zu genehmigen nicht befürwortet werden. Innerhalb einer Fahrerlaubnisprüfung wäre die Prüfung mehrere Male mit einem negativen Ergebnis beendet bzw. abgebrochen worden.“

Die Fahrerlaubnisbehörde hat dem Antragsteller dann die Fahrerlaubnis entzogen. Es ging nun um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Dafür hat das VG keinen Anlass gesehen. Dabei stellt es maßgeblich auf die vom Antragsteller abgelegten Fahrproben ab:

„Die mangelnde Eignung des Antragstellers ergibt sich – neben den für sich sprechenden Vorfällen im Straßenverkehr – unzweifelhaft aus den Fahrfehlern, die der Antragsteller während beider Fahrproben begangen hat. Bereits einzelne der von den Prüfern dokumentierten Fahrfehler lassen darauf schließen, dass der Antragsteller tatsächlich nicht in der Lage war, altersbedingte Defizite durch Erfahrung und gewohnheitsmäßig geprägte Bedienungshandlungen auszugleichen.

Besonders gravierend erscheint, dass der Antragsteller in der ersten Fahrprobe nicht in der Lage war, das nicht spurtreue Fahren abzustellen, obwohl er sich in der Prüfungssituation befand und ihm bekannt war, dass dies der – bislang – hauptsächliche Kritikpunkt an seiner Fahrweise war. Selbst wenn es ihm in einer zweiten Fahrprobe gelang, „grundsätzlich“ spurtreu zu fahren, so überfuhr er doch in dieser Probe wiederholt in Linkskurven die Fahrbahnmitte. Dass auch andere Verkehrsteilnehmer teilweise Linkskurven „schneiden“, worauf der Antragsteller hinweist, ändert nichts an dem erheblichen Gefährdungspotential dieses klar verkehrswidrigen Fahrmanövers. Anzumerken ist auch, dass eine Verkehrsgefahr nicht erst dann entsteht, wenn das Fahrzeug die Fahrspur insgesamt verlässt, wie der Antragsteller offenbar meint. Gerät ein Fahrzeug auch nur mit einer Reifenbreite in die Fahrspur des Gegenverkehrs, kann dies tödliche Verkehrsunfälle verursachen. Dieses Manöver ist auch dann nicht zulässig, wenn der Fahrer sich vergewissert, dass kein Verkehr auf der Gegenspur herrscht, wie der Antragsteller es getan haben will. Außerhalb der Fahrproben hat der Antragsteller sich im Übrigen nicht stets vergewissert, dass kein Gegenverkehr nahte, bevor er über seine Spur hinausfuhr. Dies ergibt sich insbesondere aus den glaubhaften Schilderungen des POK P.

Die übrigen gezeigten Fahrfehler in den Proben begründen ebenfalls Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers. Dies gilt insbesondere für das Linksabbiegen unter Missachtung der Vorfahrt, welches der Antragsteller offenbar nicht bestreitet.“

Nun, „nicht spurtreues Fahren“ ist eine in meinen Augen recht gelinde Umschreibung des Fahrverhaltens…. Die Fahrweise erinnert eher an ein über die Straße Irren.

Drogenkurierfahrt – i.d.R. ist allein dadurch die „Fleppe“ nicht weg

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Eine in der Praxis häufige Folge der Verurteilung wegen einer Drogenkurierfahrt ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB. So auch in einem Urteil des LG Augsburg, mit dem der Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Die dagegen eingelegte Revision hatte hinsichtlich der angeordneten Entziehung der Fahrerlaubnis Erfolg. Die hat der BGH unter Hinweis auf seine Rechtsprechung, die einer Strafkammer an sich bekannt sein sollte/müsste aufgehoben. Dazu im BGH, Urt. v. 04..11.2014 – 1 StR 233/14:

„Die Anordnung der Maßregel hat dagegen keinen Bestand. Die getroffenen Feststellungen tragen die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB nicht. Das Landgericht ist von einem rechtlich unzutreffenden Verständnis der in § 69 StGB verlangten „Ungeeignetheit“ des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen.

2.) Ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen bestanden die Tatbeiträge des Angeklagten darin, Teilmengen der von den nicht revidierenden Mit-angeklagten gehandelten Betäubungsmittel von diesen zu übernehmen, die Drogen an die Endabnehmer der Betäubungsmittel persönlich auszuliefern, die dafür vereinbarten Entgelte zu vereinnahmen und später an die Mitangeklagten W. und Z. zu übergeben. Bei den vorgenannten Vorgängen benutzte der Angeklagte jeweils seinen PKW. Auf diese Nutzung des Kraftwagens bei sämtlichen ihn betreffenden Taten hat das Landgericht die für die Maßregel des § 69 Abs. 1 StGB erforderliche Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs gestützt.

  1. b) Die vom Tatgericht herangezogene Nutzung des Fahrzeugs zur Begehung der Betäubungsmittelstraftaten allein begründet das Vorliegen der Voraussetzungen von § 69 Abs. 1 StGB nicht. Ungeeignetheit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn eine Würdigung der körperlichen, geistigen oder charakterlichen Voraussetzungen und der sie wesentlich bestimmenden objektiven und subjektiven Umstände ergibt, dass die Teilnahme des Tatbeteiligten am Kraftfahrzeugverkehr zu einer nicht hinnehmbaren Gefährdung der Verkehrssicherheit führen würde (Fischer, StGB, 61. Aufl., § 69 Rn. 14). Dabei muss sich die Ungeeignetheit gerade aus der verfahrensgegenständlichen Tat bzw. den Taten ergeben. Kommt – wie hier – ausschließlich eine charakterliche Ungeeignetheit in Betracht, muss die Anlasstat selbst tragfähige Rückschlüsse auf die Bereitschaft des Täters zulassen, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Zielen unterzuordnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. April 2005 – GSSt 2/04, BGHSt 50, 93, 102 f.; vom 23. Mai 2012 – 5 StR 185/12, StraFo 2012, 282 mwN; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378, 2380).

Feststellungen dazu enthält das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, die Durchführung der Drogenauslieferungen sowie der damit verbundenen Vorgänge mit einem Kraftfahrzeug als solche würde die Ungeeignetheit begründen. Dabei hat es jedoch in rechtlicher Hinsicht verkannt, dass die Belange der Verkehrssicherheit in Kurierfällen, in denen – wie auch vorliegend – der Tatbeteiligte in seinem Fahrzeug lediglich Rauschgift transportiert, gerade nicht ohne Weiteres beeinträchtigt sind (BGH jeweils aaO). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Rauschgifttransporteure bei Verkehrskontrollen zu besonders riskanter Fahrweise entschlossen sind, besteht nicht (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 4 StR 458/02, NStZ 2003, 311 sowie BGH jeweils aaO).

Über die bloße Nutzung des Fahrzeugs als Transportmittel der Betäubungsmittel sowie bei dem Vereinnahmen der Entgelte hinausgehende Umstände, aus denen eine Ungeeignetheit abgeleitet werden könnte, weist das Urteil nicht aus. Anhaltspunkte für durch Drogenkonsum bedingte Beeinträchtigungen der Eignung des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs bei den der Verurteilung zugrunde liegenden Taten lassen sich dem angefochtenen Urteil ebenfalls nicht entnehmen. Im Gegenteil sprechen die zu den persönlichen Verhältnissen getroffenen Feststellungen über die geringe Häufigkeit des Konsums von Kokain und die Anlässe für diesen Konsum dagegen, dass es bei dem Angeklagten zu einem den Auslieferungsfahrten vorausgegangenen Gebrauch von Kokain oder sonstigen Betäubungsmitteln gekommen sein könnte. Es fehlt damit an tragfähigen Feststellungen für das Vorliegen verkehrssicherheitsrelevanter Eignungsmängel bei dem Angeklagten. Solcher Mängel bedarf es aber für die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis.“

Ist Rechtsprechung, mit der man als Verteidiger argumentieren kann.

 

Entziehung der Fahrerlaubnis 19 Monate nach der Tat? – in Erfurt ja

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19 Monate nach der Tat noch Entziehung der Fahrerlaubnis? Geht das? Das LG Erfurt sagt im LG Erfurt, Beschl. v. 23.10.2014 – 7 Qs 199/14: Ja, das geht. Und zwar auf der Grundlage folgenden zeitlichen Ablaufs:

  • 20.12.2012 vorgeworfene Unfallflucht
  • 25.03.2013 Anklage
  • 26.11.2013 Zulassung der Anklage
  • Vorgesehene Hauptverhandlungstermine (30.01.2014, 12.03.2014, 04.06.2014, 02.07.2014) werden aus diversen Gründen verlegt bzw. aufgehoben
  • 10.07.2014 Antrag der StA, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen.
  • 18.07.2014 vorläufige Entziehung
  • 04.08.2014 Beschwerde eingelegt.
  • 23.10.2014 Beschwerdeentscheidung

Das LG hat keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit/wegen des langen Zeitablaufs:

„Vorliegend ist die Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis trotz des zwischenzeitlichen Zeitablaufs von ca. einem Jahr und sieben Monaten nach dem Tatgeschehen auch verhältnismäßig.

Zwar ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO eine Präventivmaß­nahme, die der Allgemeinheit Schutz vor weiteren Verkehrsstraftaten gewähren soll. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis muss dabei auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dieser Grundsatz setzt staatlichen Eingriffen Grenzen, die insbesondere durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen zu ermitteln sind.

Es ist aber hier nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht dem öffentlichen Interesse am Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrern den Vorrang vor dem Interesse des Angeklagten am Bestand seiner Fahrerlaubnis beigemessen hat.

Mit Blick auf die gebotene Beschleunigung hinsichtlich strafprozessualer Eingriffe in Grund- rechte sowie den Charakter als Eilmaßnahme verneinen allerdings Teile der Rechtsprechung die Berechtigung des Staates zur vorläufigen Einziehung der Fahrerlaubnis nach Eintritt eines gewissen Zeitablaufs zwischen Tatgeschehen und Anordnung. Dabei werden zum Teil — wie vom Verteidiger zitiert — bereits Entziehungen nach Ablauf von Zeitspannen zwischen vier (vgl. LG Trier, VRS 63, S. 210 f.) und fünf Monaten (vgl. LG Kiel, StV 2003, S. 325) als unverhältnismäßig angesehen (vgl. auch Meyer-Goßner, § 111a StPO, 56. Aufl., Rn. 3 mwN.). Nach anderer Ansicht lässt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aber die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auch noch in einem späteren Verfahrensabschnitt zu (vgl. OLG München, NJW 1992, S. 2776 f.: nach drei Jahren; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.03.2005, 2 BvR 364/05: 15 Monate).

In Hinblick auf die aus dem dringenden Tatverdacht sprechende grobe Verkehrswidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten ist der Sicherheit des Straßenverkehrs Vorrang gegenüber dem eingetretenen Zeitablauf und der hier– bis zur erstmaligen Terminierung durch das Amtsgericht — zu erkennenden Verfahrensverzögerung einzuräumen. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch die Tat zum Ausdruck kommende Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zwischenzeitlich weggefallen sei.

Auch wenn der Antragsteller seit der Anlasstat beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat, führt dies unter Beachtung der Wertung des Gesetzgebers, dass der Täter einer Unfallflucht in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, nicht zwangsläufig dazu, die Ungeeignetheit zu negieren. Dies gilt hier unter Berücksichtigung des in der Akte enthaltenen Fahreignungsregisters beim Kraftfahrtbundesamt bezüglich des Angeklagten umso mehr. Dieses weist seit 2009 die Begehung von fünf Ordnungswidrigkeiten — in zwei Fällen mit einem Fahrverbot sanktioniert — aus.

Die Bedeutung der Verfahrensdauer wird zudem dadurch gemindert, dass die unterbliebene Verfahrensbeschleunigung nicht den Zeitraum der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis selbst betrifft.

Auch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes wiegen hier nicht besonders schwer, weil der Angeklagte — ausweislich der ihm zugestellten Anklageschrift vom 25.03.2013, die von der Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen bereits ausgeht — die Möglichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptverfahren ernsthaft in Betracht ziehen musste. Dass das Amtsgericht ursprünglich bei zeitnaher Hauptverhandlung das Ergebnis der Beweisaufnahme abwarten wollte, eine solche sich unabhängig von der Verursachung der einzelnen Terminsverschiebungen jedoch nicht realisieren ließ, aber nunmehr aufgrund vorgenannter Gesamtumstände die vorläufige Entziehung für erforderlich erachtet, hat den Angeklagten insofern auch nicht benachteiligt.“

Für mich nicht nachvollziebar, auf jeden Fall ein Ausreißer, der sich nach „Retourkutsche“ liest, weil offenbar der Verteidiger/Angeklagte zu häufig Terminsverlegungen beantragt hat. Da ist aber die vorläufige Entziehung kaum das richtige Mittel, um darauf zu reagieren. Und schon gar nicht, wenn zunächst bewusst von der vorläufigen Entziehung abgesehen worden ist. Zudem frgat man sich: Was hat das AG eigentlich acht Monate von der Anklageerhebung bis zur Zulassung gemacht – offenbar nichts. Aber schnell scheint man in Erfurt eh nicht zu sein,. Denn das Beschwerdeverfahren beim LG hat auch mehr als zwei Monate gedauert.

Familienrecht meets Strafrecht: BGH zur Entziehung Minderjähriger

© Dan Race - Fotolia.com

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„Entziehung Minderjähriger liegt auch dann vor, wenn ein sorgeberechtigter Elternteil zwangsweise für eine gewisse Dauer von seinem unter achtzehn-jährigen Kind entfernt wird.“ Den Leitsatz stellt der BGH seinem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten BGH, Beschl. v. 17.09.2014 – 1 StR 387/14 – voran, in dem er folgenden Sachverhalt zu entscheiden/beurteilen hatte:

„Der Angeklagte und seine Ehefrau haben zwei gemeinsame Kinder: die am 15. Dezember 2004 geborene M. und den am 14. April 2006 geborenen Y. Nach jahrelangen Ehestreitigkeiten ließ der Angeklagte, der eine neue Lebensgefährtin hat, im Januar 2012 beim Familiengericht in Istanbul eine Scheidungsschrift einreichen und beantragte die Übertragung der elterlichen Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder auf seine Ehefrau.

Er fasste dann den Entschluss, sich seiner Ehefrau „gänzlich zu entledigen“ (UA S. 35), indem er sie auf Dauer in die Türkei zu deren Familie zurück-schickte, während er die beiden Kinder bei sich in Deutschland behalten wollte.

Anfang 2012 eröffnete er seiner Ehefrau, dass er sie in die Türkei ab-schieben werde, die beiden Kinder aber bei sich behalten wolle. Als seine Frau erklärte, sie werde das nicht tun, drohte der Angeklagte ihr mit dem Tode, wenn sie nicht in die Türkei ginge. Die Geschädigte nahm die Drohung ernst und ließ sich vom Angeklagten gegen ihren Willen dazu zwingen, ein Flugzeug in die Türkei zu besteigen und ihre Kinder in Deutschland zu lassen. Erst im Dezember 2012 kehrte sie mit Hilfe Dritter nach Deutschland zurück.“

Und zur rechtlichen Beurteilung als einen Fall des § 235 StGB:

2. Die Verurteilung wegen Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Angeklagte hat eine Person (hier sogar zwei) unter achtzehn Jahren durch Drohung mit einem empfindlichen Übel einem Elternteil entzogen (§ 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Den Eltern „entzogen“ ist der Minderjährige schon dann, wenn das Recht zur Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht nur ganz vorübergehende Dauer so beeinträchtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 1996 – 4 StR 35/96, NStZ 1996, 333, 334 mwN).

Eine Entziehung im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur vor, wenn der Minderjährige unter den Voraussetzungen des § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB vom Elternteil entfernt wird, sondern auch, wenn der Elternteil unter diesen Voraussetzungen vom Minderjährigen entfernt und ferngehalten wird (vgl. hierzu auch Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 235 Rn. 6; MüKo-StGB/Wieck-Noodt, 2. Aufl., § 235 Rn. 38; SK-StGB/Wolters, 8. Aufl., § 235 Rn. 4; LK-StGB/Gribbohm, 11. Aufl., § 235 Rn. 49 ff.). Denn das von § 235 StGB vorrangig geschützte Rechtsgut des Sorgerechts der für den jungen Men-schen verantwortlichen Personen und das daraus abgeleitete Obhuts- und Aufenthaltsbestimmungsrecht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 594/98, BGHSt 44, 355, 357) sind auch verletzt, wenn ein Elternteil selbst räumlich entfernt wird und seine Rechte deshalb nicht wahrnehmen kann.

Dass der Angeklagte selbst ebenfalls sorgeberechtigt war (das Ergebnis seiner Anträge vor dem Familiengericht in Istanbul ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen; ohnehin hätte die Ehefrau dann das alleinige Sorgerecht für beide Kinder), steht der Anwendung des § 235 StGB nicht entgegen. Grundsätzlich kann eine Kindesentziehung auch von einem Elternteil gegenüber dem anderen begangen werden, sofern jedem Elternteil das Personensorgerecht zumindest teilweise zusteht (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 594/98, BGHSt 44, 355, 358). Die räumliche Trennung war im vorlie-genden Fall auch nicht von nur ganz vorübergehender Dauer.“

Mit dem Mofa in die Entziehungsanstalt?

entnommen wikimedia.org Urheber Max Schwalbe

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Urheber Max Schwalbe

Das LG Hannover hat den alkoholkranken Angeklagten, der in der Vergangenheit bereits fünfmal wegen verschiedender Verkehrdelikte in Erscheinung getreten ist, nach einer weiteren Trunkenheitsfahrt mit einem Mofa wegen fahrlässiger Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten. Das OLG Celle hebt im OLG Celle, Beschl. v. 23.06.2014 – 32 Ss 83/14 auf und verweist zurück. Es beanstandet die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das LG.

Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB setzt die Gefahr voraus, dass der Angeklagte infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Einigkeit besteht darüber, dass wegen des Erfordernisses der Erheblichkeit die Gefahr der Begehung reiner Bagatelltaten in der Regel nicht ausreichend ist. Als Bagatelltaten werden in diesem Zusammenhang z. B. Gewalt und drohungsfreie Beleidigungen, Hausfriedensbruch in öffentlichen Gebäuden, geringfügige Diebstähle oder der Erwerb kleiner Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum angesehen (vgl. dazu Senat, a. a. O.; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 64 Rdnr. 16 m. w. N.).

Bei der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten mit einem Fahrrad mit Hilfsmotor handelt es sich bereits um eine erhebliche Straftat im Sinne dieser Vorschrift. Während der Senat dazu neigt, Trunkenheitsfahrten mit einem Fahrrad wegen der damit in erster Linie verbundenen Selbstgefährdungen nicht als „erheblich“ i. S. des § 64 StGB anzusehen, ist die Erheblichkeitsschwelle bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Mofa jedenfalls im vorliegenden Fall überschritten gewesen. Der Angeklagte ist zu einem Zeitpunkt, zu dem die Straßen vorhersehbar nicht menschenleer sind, mit seinem Mofa im Innenstadtbereich H. gefahren und war dabei derart alkoholisiert, dass er sich an das Tatgeschehen im Nachhinein nicht mehr erinnern konnte. Ein solches Verhalten kann für andere Verkehrsteilnehmer mit erheblichen Gefahren verbunden sein, denn aufgrund der erheblichen Alkoholisierung war hier zu befürchten, dass der Angeklagte sein Mofa überhaupt nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Im Übrigen ist die Kammer selbst im Rahmen der Entscheidung zur Verhängung der isolierten Sperre davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten weitere verkehrsspezifische Gefahren für die Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer drohen. Insoweit kommt auch dem Umstand, dass der Angeklagte sein Mofa verkauft hat, kein entscheidendes Gewicht zu, da ein Verkauf einer Neuanschaffung nicht im Wege steht.

Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist hier auch nach § 62 StGB nicht ausgeschlossen. Zwar ist gegen den Angeklagten nur eine Freiheitsstrafe von 5 Monaten verhängt worden. Bei der Abwägung, ob die Vollstreckung einer Maßregel nach § 64 StGB gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, ist aber auch zu berücksichtigen, ob neben den Vollzug der Freiheitsstrafe auch ein zu erwartender Widerruf von Bewährungsstrafen tritt (OLG Celle, NStZ?RR 2012, 108; OLG Celle, Beschluss vom 20. März 2013, 32 Ss 53/13). Die erfolgreiche Absolvierung einer Maßregel kann nämlich auch bei den anstehenden Entscheidungen über einen Bewährungswiderruf von Relevanz sein. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht § 67 Abs. 4 StGB für verfassungswidrig erklärt, soweit er die Anrechnung einer im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auf sogenannte verfahrensfremde Freiheitsstrafen auch in Härtefällen ausschließt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.03.2012, 2 BvR 2258/09).

Auch im Übrigen, also insbesondere unter dem Gesichtspunkt der für die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB erforderlichen Erfolgsaussichten, erscheint eine solche Maßregel hier nach den übrigen Feststellungen der Kammer zu bisherigen Therapieversuchen nicht von vornherein aussichtslos.

Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird daher in einer neuen Hauptverhandlung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) zu prüfen sein.“

Also: Das LG muss nun die Frage des § 64 StGB prüfen. Im Übrigen: Hätte der Verteidiger vermeiden können, wenn er die Nichtanwendung des § 64 StGB von der Revision ausgenommen hätte. Das ist möglich/zulässig und sollte man ggf. immer überlegen, um solche Ergebnisse wie das vorliegende zu vermeiden.