Wenn man die Rechtsprechung der Strafsenate des BGH auf dessen Homepage verfolgt, dann ist man – zumindest ich – doch immer wieder erstaunt, wie viele Entscheidungen des BGH es zur Problematik des (schweren) sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. gibt. Zu den Entscheidungen gehört auch der BGH, Beschl. v. 14.06.2016 – 3 StR 72/16. Das LG Oldenburg hatte den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften, sowie wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte einen Teilerfolg.
Auszugehen war von folgenden Feststellungen: Der Angeklagte „fotografierte oder filmte in 12 Fällen die nackte Scheide und das nackte Gesäß seiner im Tatzeitraum neun und zehn Jahre alten Nichte, wobei er in drei Fällen ihren Schambereich bzw. ihre Pobacken mit den Fingern spreizte (B. 1., 2. und 4. der Urteilsgründe), sie in fünf Fällen entkleidete und anwies, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken (B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe) …..“
Dazu der BGH:
a) Soweit der Angeklagte in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe die Geschädigte entkleidete und bezüglich der Pose anwies, bevor er ihren Schambereich bzw. ihr nacktes Gesäß fotografierte, ist der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zwar im Ergebnis zutreffend. Doch hat der Angeklagte insoweit nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB, sondern den des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB erfüllt.
aa) Als Tatbestandsvariante des § 176 Abs. 1 StGB kommt hier allein die Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind in Betracht. Das vom Landgericht festgestellte Entkleiden der Geschädigten, das in den genannten Fällen die einzige Handlung darstellt, bei der ein Körperkontakt mit dem Kind hergestellt wurde, erfüllt diese tatbestandlichen Voraussetzungen indes nicht.
Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung „an“ dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 1988 – 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 2; Beschlüsse vom 19. April 1990 – 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490; vom 17. Juli 1991 – 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. Novem-ber 1993 – 3 StR 517/93, juris Rn. 17). Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich – wie vorliegend festgestellt – schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 – 2 StR 392/84), kann hier dahinstehen. Denn nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die auf Sinnenlust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 – 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN). Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen üblichen hinausgehen, ergeben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h Nr. 1 StGB nF nicht.
bb) Der Angeklagte hat sich aber in diesen Fällen gleichwohl des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig gemacht. Denn die Anweisungen an die Geschädigte, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken, erfüllt den Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB, weil der Angeklagte damit das Kind zur Vornahme einer sexuellen Handlung bestimmt hat. Beide Posen, zu deren Vornahme er das Kind aufgefordert hat, enthalten eine – nicht unerhebliche (§ 184g Nr. 1 StGB aF) – sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368). Damit hat der Angeklagte sich nach dieser Vorschrift wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes strafbar gemacht, so dass es insoweit einer Schuldspruchänderung nicht bedarf.“