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Wiedereinsetzung: Begründung des Antrags, oder: Nachholung von Verfahrensrügen

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Und nach dem beA-Posting von heute Morgen hier dann dazu passend fünf Entscheidungen des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Drei Entscheidungen stammen aus Strafverfahren, eine aus einem Zivilverfahren.

Auch hier gibt es nur die Leitsätze:

1. Ein Telefax  genügt, selbst wenn der Verteidiger, infolge eines „technischen Problems“ an der elektronischen Übermittlung eines Rechtsmittels gehindert gewesen sein sollte, nicht nach § 32d S. 3 StPO ausnahmsweise dann zur Fristwahrung, wenn der Verteidiger diese „vorübergehende Verhinderung“ nicht unverzüglich glaubhaft gemacht hat.

2. Jedenfalls in den Fällen, in denen  die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nicht offensichtlich ist, gehört zum formgerechten Anbringen des Wiedereinsetzungsantrags, dass der Antragsteller mitteilt, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, weggefallen ist.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt, ausnahmsweise dann in Betracht, wenn dem Verteidiger trotz angemessener Bemühungen keine vollständige Akteneinsicht gewährt wurde und Verfahrensbeschwerden erhoben werden sollen, die ohne Kenntnis der Akten nicht begründet werden konnten. Der Beschwerdeführer muss aber – zur Zulässigkeit seines Wiedereinsetzungsbegehrens – für jede Rüge ausreichend darlegen, dass er gerade durch die fehlende Akteneinsicht an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war.

Wenn dem Verteidiger die Akten trotz rechtzeitiger Anforderung vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht zur Einsicht überlassen worden sind, ist ggf. eine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zur Nachholung von Verfahrensrügen möglich. Dazu muss aber ein entsprechender Antrag gestellt werden. 

Beruht eine Entscheidung, die ein Rechtsmittel als unzulässig verwirft, auf einer – nicht erkennbar – unvollständigen oder falschen Aktenlage, ohne dass jene unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist, wird ausnahmsweise eine nachträgliche Aufhebung bzw. Abänderung von der Rechtsprechung anerkann.

Begehrt eine Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hat sie einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Der Vortrag, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten werde vor Büroschluss noch einmal kontrolliert, „ob alle Fristsachen erledigt sind“, impliziert nicht, dass die spezifischen, nach der Rechtsprechung des BGH an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind; er ist damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Partei an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.

Wiedereinsetzung II: Begründung des WE-Antrags, oder: (Noch) kein „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung

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Die zweite Entscheidung zur Wiedereinsetzung kommt vom BGH. Der BGH, Beschl. v. 20.12.2021 – 4 StR 439/21 – bringt allerdings nichts wesentlich Neues. Ich stelle ihn nur vor, um noch einmal daran zu erinnern, was bei einem Wiedereinsetzungsantrag ggf. alles vorgetragen werden muss:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionseinlegungsfrist ist unzulässig, da das Gesuch nicht fristgerecht angebracht worden ist und es darüber hinaus an der erforderlichen Glaubhaftmachung des Antragsvorbringens zur unverschuldeten Fristversäumnis fehlt.

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. Der Antragsteller muss mitteilen, wann er Kenntnis von der Fristversäumung erlangte, und dartun, aufgrund welcher tatsächlicher Umstände er gehindert war, die Frist einzuhalten. Erforderlich ist der Vortrag eines Sachverhalts, der ein Verschulden des Antragstellers an der Fristversäumung ausschließt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 3. April 1987 – 2 StR 109/87, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 1; vom 27. Juni 2017 – 2 StR 129/17, NStZ-RR 2017, 285; vom 12. Juli 2017 – 1 StR 240/17, Rn. 6 mwN). Der Sachvortrag zu dem einer Fristwahrung entgegenstehenden Hinderungsgrund ist ferner glaubhaft zu machen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO).

b) Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten ist nicht rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO angebracht worden. Nach dem Antragsvorbringen erlangte der Angeklagte durch Erhalt eines Schreibens seines damaligen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W. am 8. Mai 2021 Kenntnis davon, dass innerhalb der am 7. Mai 2021 endenden Revisionseinlegungsfrist kein Rechtsmittel gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt worden war. Das Schreiben des Angeklagten vom 11. Mai 2021, in welchem er Rechtsmittel eingelegt und der Sache nach um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht hat, ging beim Landgericht aber erst am 28. Juli 2021, mithin nach Ablauf der einwöchigen Wiedereinsetzungsfrist ein. Soweit vom Angeklagten im Wiedereinsetzungsverfahren pauschal geltend gemacht wird, er sei bis Ende Juli 2021 außer Stande gewesen, sein Schreiben vom 11. Mai 2021 postalisch an das Landgericht zu senden, wird ein durchgängiges, sich über die gesamte Zeitspanne erstreckendes Fehlen einer Übermittlungsmöglichkeit weder hinreichend substantiiert dargetan, noch glaubhaft gemacht.

Darüber hinaus hat der Angeklagte sein Vorbringen zu dem der Wahrung der Revisionseinlegungsfrist entgegenstehenden Hinderungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Insoweit hat er vorgetragen, das vom 2. Mai 2021 datierende Schreiben seines damaligen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W., aus dem sich ergab, dass durch den Pflichtverteidiger kein Rechtsmittel eingelegt werden wird, erst am 8. Mai 2021 erhalten zu haben. Nach Verkündung des Urteils sei mit dem Verteidiger zwar keine weitere Rücksprache erfolgt, es sei aber „eigentlich abgesprochen“ gewesen, dass eine entsprechende Einlegung von Rechtsmitteln im Falle einer Verurteilung erfolgen soll. Weder zu dem Zeitpunkt des Erhalts des Verteidigerschreibens noch zu der unbedingten Beauftragung des Verteidigers zur Revisionseinlegung ist eine Glaubhaftmachung des Vorbringens erfolgt. Der Inhalt des Schreibens von Rechtsanwalt W. vom 2. Mai 2021 bietet – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – keinen Anhalt für eine durch den Angeklagten erfolgte Beauftragung des Verteidigers zur Rechtsmitteleinlegung.

c) Ein Fall eines „offenkundigen Mangels“ der Verteidigung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, NJW 2003, 1229; BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2021 – 3 StR 422/20, NStZ-RR 2021, 112; vom 7. August 2019 – 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349; vom 5. Juni 2018 – 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. c Beschränkung 3) liegt schon deshalb nicht vor, weil ein dem Verteidiger erteilter Auftrag zur Revisionseinlegung nicht glaubhaft gemacht ist.“