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Corona: Nochmals Begriff der „Ansammlung“, oder: Erforderliche Urteilsfeststellungen

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Heute startet dann die Karwoche 2021 – die dann mit dem zweiten „Corona-Ostern“ endet. Das „Monothema“ treffen wir an allen „Ecken und Enden“, so dann heute auch mal wieder hier.

Ich stelle heute nämlich zunächst zwei OLG Entscheidungen vor, die sich (noch) einmal mit dem Begriff der Ansammlung, der ja in allen Corona-VO enthalten ist, befassen. Beide Entscheidungen kommen aber in diesem Posting – dann ist noch Platz für anderes.

Und hier dann:

Zunächst der Hinweis auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.03.2021 – 2 Ss (OWi) 68/21. Es geht noch einmal um den Begriff der Ansammlung. Das AG hatte den Betroffenen vom Vorwurf eines Verstoßes gegen die Corona-VO frei gesprochen und war von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Der Betroffene hielt sich am 09.04.2020 um 21:15 Uhr pp. in seinem Fahrzeug auf und führte durch die geöffnete Fensterscheibe eine Unterhaltung mit drei weiteren Personen, die sich außerhalb seines Fahrzeuges befanden. Aufgrund der sich anschließenden Polizeikontrolle trennten sich die Personen wieder voneinander.“

Das OLG hat aufgehoben und weist ausdrücklich darauf hin, dass das Ansammlungsverbot gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 der Nds. Verordnung über die Beschränkung sozialer Kontakte zur Eindämmung der Corona Pandemie vom 07.04.2020 von der Rechtsgrundlage des IfSG gedeckt und es sich grds. um eine Ansammlung gehandelt hat (dazu: Corona II: “Zusammenkunft oder Ansammlung” schon bei zwei Personen, oder: CoronaschutzVO NRW ist ok).  Aber: Da das AG  keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob es sich bei den beteiligten Personen nicht um Angehörige sowie nicht um Personen die in einer gemeinsamen Wohnung gelebt haben, gehandelt hat und darüber hinaus Feststellungen zum subjektiven Tatbestand fehlten, hat das OLG zurückverwiesen.

Und die zweite Entscheidung zu Corona kommt dann noch einmal vom OLG Hamm. Im OLG Hamm, Beschl. v. 11.03.2021 – 4 RBs 57/21 – geht es auch noch einmal um die Ansammlung. In dieser Entscheidung nimmt das OLg zu den erforderlichen Urteilsfeststellungen Stellung, und zwar:

Der Tatrichter muss bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Zusammenkunfts- und Ansammlungsverbot gem. § 12 Abs. 1 CoronaSchVO NW i.d.F. v. 27. April 2020 Feststellungen treffen, die erkennen lassen, dass es sich nicht um eine von dem Verbot ausgenommene Ansammlung oder Zusammenkunft i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 2 CoronaSchVO NW i.d.F. v. 27. April 2020 handelt.

Die Themen werden uns sicherlich noch länger beschäftigen.

Corona I: Das „Ansammlungsverbot“ verletzt?, oder: die „bloß zufällig gegebene gleichzeitige Anwesenheit“

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So Wochenanfang. Und ich starte in die 11. KW wieder mit „Corona-Entscheidungen, wie in den letzten Wochen immer am Montag. Leider.

Zunächst noch einmal ein OLG-Beschluss, der sich mit dem „Ansammlungsverbot“ befasst.

Das AG Worms hatte einen Betroffenen wegen der „Teilnahme“ an einer untersagten „Ansammlung von Personen“ im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 der Vierten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (4. CoBeVO) vom 17.04.2020. Dazu hatte das AG folgende Feststellungen getroffen:

„Nach den getroffenen Feststellungen ging der Betroffene am 27. April 2020 mit dem befreundeten Zeugen pp. zum Sparkassenautomat in der pp. in pp, um dort Geld abzuheben. Dort angekommen, trafen sie auf den Zeugen pp., der vor der Sparkasse mit seinem Mofa wartete. In der Sparkasse hielt sich zu diesem Zeitpunkt gerade eine befreundete vierte Person auf, die mit dem Zeugen pp. zur Sparkasse gekommen war, um ebenfalls Geld abzuheben. Nachdem die vierte Person, deren Namen das Amtsgericht nicht festgestellt hat, aus der Sparkasse gekommen war, standen die vier Personen „ungefähr ein bis zwei Minuten“ vor der Sparkasse im Freien im Halbkreis. Zwischen ihnen stand das „Moped“ (nach der anderweitig getroffenen Feststellung soll es sich um ein Mofa gehandelt haben, Anm. des Senats), so dass insgesamt ein Abstand von 1,5 bis 2 Metern zwischen den Personenpaaren, dem Betroffenen und dem Zeugen pp. einerseits sowie dem Zeugen pp.  und der vierten Person andererseits, gegeben war. Eine Verabredung zwischen ihnen hatte zuvor nicht stattgefunden. Während dieser Zusammenkunft unterhielt sich der Betroffene mit dem ihm bekannten Zeugen pp., wobei Ausgangspunkt des kurzen Gesprächs war, dass der Betroffene dem Zeugen anlässlich des Todes von dessen Großmutter, welche kurze Zeit davor verstorben war, kondolierte. Dabei wurde die Gruppe von Polizeibeamten beobachtet, angehalten und einer Personenkontrolle unterzogen, welche ergab, dass alle vier Personen unterschiedlichen Haushalten angehörten.“

Das AG hat in diesem Verhalten des Betroffenen einen i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO verbotenen Aufenthalt im öffentlich Raum gesehen. Der Begriff der „Ansammlung“ erfasse im Unterschied zum Versammlungsbegriff auch zufällige Treffen und Zusammenkünfte, auch wenn sich diese nur über einen kurzen Zeitraum erstreckten.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, über die das OLG Koblenz mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 08.03.2021 – 3 OWi 6 SsRs 395/20 – entschieden. Das OLG hat die  vom AG angewendeten Vorschriften als wirksam angesehen, dazu bitte selbst lesen. Allerdings:

„3. Nach den vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war vorliegend in der Zusammenkunft des Betroffenen mit den drei weiteren Personen jedoch keine verbotene Ansammlung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO zu sehen.

a) Der Begriff der „Ansammlung“ ist weder in der 4. CoBeVO noch im IfSG definiert. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 19. Januar 2000 (BT-Drs. 14/2530, S. 74 f.), auf deren Grundlage das IfSG erlassen wurde, sollten mit dem Begriff „Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen“ alle „Zusammenkünfte von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen“, erfasst werden. Dies entspricht auch der Definition einer Ansammlung im Versammlungsrecht, wo sie – in Abgrenzung zur Versammlung – als ein bloßes tatsächliches Zusammentreffen von zwei oder mehr Personen ohne gemeinsamen Zweck angesehen wird (vgl. Maunz/Dürig/Depenheuer, GG, 92. EL August 2020, Art. 8. Rn. 44, 46).

b) Allerdings darf der Begriff der Ansammlung in § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO nicht in diesem weiten Sinne ausgelegt werden; dies würde in unverhältnismäßiger Weise das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG einschränken.

Gegen eine derart weite Auslegung des Begriffes der „Ansammlung“ in § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO spricht, dass ansonsten bereits jede bloß kurzzeitige oder zufällige gleichzeitige Anwesenheit von zwei oder mehr Menschen im öffentlichen Raum, etwa im Rahmen des Einkaufens zur Deckung des Lebensbedarf oder bei einem Spaziergang eine Ordnungswidrigkeit darstellen würde, was nicht der Wille des Verordnungsgebers gewesen sein dürfte.

Der Begriff der Ansammlung im Sinne der 4. CoBeVo bedarf deshalb einer verfassungskonformen Auslegung, welche das öffentliche Interesse an der Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Infektionsgeschehens in einen angemessenen und vernünftigen Bezug zu den Bedürfnissen und unantastbaren Rechten der Bürger setzt.

Dies hat in erster Linie dadurch zu geschehen, dass einer Ansammlung in diesem Sinn ein innerer Bezug zugrunde liegen muss, d.h. der Wille und die Absicht, für einen längeren als nur flüchtigen Moment an einem bestimmten Ort zu verweilen. Eine Ansammlung im Rahmen der Vorschriften zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie erfordert deshalb ein gezieltes Zusammensein von Menschen an einem Ort, um der kollektiven Ansammlung willen, was nicht schon bei jeder bloß zufällig gegebenen gleichzeitigen Anwesenheit von mehrerer Menschen erfüllt ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. 13 MN 192/20 v. 11.06.2020 – juris; OLG Hamm, Beschl. 4 RBs 446/20 v. 28.01.2021, Leitsatz 3 n. juris).

Weiter bedarf es einer räumlichen Beschränkung dahingehend, dass eine Ansammlung auch dann nicht gegeben ist, wenn eine über den Mindestabstand von 1,5 Metern (§ 4 Abs. 1 S. 1 d. 4. CoBeVO) hinausgehende deutliche Trennung bzw. Distanz zwischen den Ange-sammelten besteht, welche – insbesondere etwa beim Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes – eine Ansteckung der anderen Betroffenen des Zusammensein von vornherein ausschließt. Denn im Falle der verlässlichen Wahrung eines die Übertragung der Krankheit ausschließenden Sicherheitsabstands ist das Verbot einer Ansammlung als zur Verhinderung der Verbreitung der übertragbaren Krankheit nicht mehr erforderlich anzusehen (OLG Hamm, Beschl. 4 RBs 446/20 v. 28.01.2021, Rn. 35 n. juris mwN.).

Darüber hinaus ist auch der zwischen den Angesammelten bestehende Sozialbezug zu berücksichtigen. Treffen sich Angehörige, Kollegen, oder sonstige bekannte bzw. befreundete Personen aus verschiedenen Haushalten im öffentlichen Raum zufällig, also ohne vorherige Verabredung, so muss es ihnen möglich und gestattet sein, unter Wahrung des Mindestabstands von 1,5 Metern ein kurzes Gespräch zu führen, etwa um sich zu begrüßen, nach dem gegenseitigen Wohlbefinden zu erkundigen oder ein bestehendes Problem kurz anzusprechen. Ein solches, vom Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit geschütztes Verhalten darf aus Gründen der Wahrung des sozialen Friedens unter den Bürgern nicht pönalisiert werden; der Infektionsschutz als öffentliches Interesse hat insoweit zurückzustehen. Zu berücksichtigen ist, dass den Bürgern nach der Fassung der 4. CoBeVO wegen des Mindestabstands bereits das Begrüßen durch Händeschütteln oder eine Umarmung untersagt ist, was bereits einen sehr tiefgreifenden, in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie dagewesenen Eingriff in ihre Freiheitsrechte darstellt.

c) Von einem solchen, verfassungskonform ausgelegten Ansammlungsbegriff ausgehend, ist in dem von dem Amtsgericht festgestellten Verhalten des Betroffenen noch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO zu sehen. Eine geplante Zusammenkunft lag dem zufälligen Zusammentreffen mit seinen Freunden bzw. Bekannten vor der Sparkasse nicht zugrunde. Selbst wenn die Verweildauer von ein bis zwei Minuten hier objektiv nicht mehr als rein flüchtige Begegnung angesehen werden kann, so ist zu Gunsten des Betroffenen doch davon auszugehen, dass seine Intention von vornherein nur auf eine kurze Kontaktaufnahme im Rahmen einer solchen ausgerichtet war, nämlich – was sozialadäquat und erwünscht ist – seinem Bekannten zum Tod einer nahen Angehörigen zu kondolieren. Dass das Gespräch hierüber hinausging und der Betroffene sich damit einverstanden gezeigt hätte, die zufällige Begegnung für ein längerfristiges Zusammensein auszunutzen, ist den Feststellungen des Amtsgerichts nicht zu entnehmen. Zwar kann ein mehrere Minuten andauerndes Gespräch ein starkes Indiz für die Intention eines Verweilens an der Örtlichkeit und damit für das Vorliegen einer bußgeldbewehrten „Ansammlung“ im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO sein, hinreichende Anhaltspunkte hierfür bestehen im vorliegenden Fall allerdings nicht.

Da die Feststellungen des Amtsgerichts ausreichend sind, um das Verhalten des Betroffenen an § 4 der 4. CoBeVO zu messen und weiterer Aufklärungsbedarf nicht besteht, entscheidet der Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Betroffene an einer „Ansammlung“ im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeVO beteiligt hat. Da er nach den Feststellungen des Amtsgerichts den gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der 4. CoBeVO vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten hat und auch kein anderer Ordnungswidrigkeitenverstoß in Betracht kommt, war er mit der Kostenfolge des § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 467 Abs. 1 StPO freizusprechen.“

Zur „Ansammlung“ hatten wir ja bereits auch das OLG Hamm (vgl. Corona II: “Zusammenkunft oder Ansammlung” schon bei zwei Personen, oder: CoronaschutzVO NRW ist ok).