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Befangenheit im Asylverfahren, oder: Wenn der Richter „Migration für ein grundlegendes ….. Übel hält“.

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann zum Wochenschluss noch der Kessel-Buntes. In dem „schwimmen“ heute zwei Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit, aber eben nicht im Straf- oder Bußgeldverfahren, sondern in anderen Verfahren.

Die erste Entscheidung zu dieser Thematik kommt mit dem BVerfG, Beschl. v. 09.07.2021 – 2 BvR 890/20 – vom BVerfG. In dem Verfahren hatte die Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des VG Gießen Erfolg, durch die ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den zuständigen Einzelrichter in einem Asylverfahren für unbegründet erklärt worden war.

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren war – so die PM des BVerfG – gegen einen negativen Asylbescheid geklagt worden. Der Kläger, ein Afgahne hatte den zuständigen Einzelrichter  wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dies hat er auf ein Urteil des abgelehnten Richters in einem Verfahren gegen die behördliche Anordnung, bestimmte Wahlplakate der NPD zu entfernen gestützt; in dem Urteil waren allgemeine und sehr weit gehende Ausführungen zum Thema Migration enthalten. Die Kammer hatte das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Nach Auffassung des BVerfH wurde damit gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil die Ablehnung des Befangenheitsantrags offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich war. Nach Darlegung der allgemeinen Grundsätze führt das BVerfG zur Sache aus:

„b) Hieran gemessen erweist sich die Ablehnung des Befangenheitsantrags des Beschwerdeführers durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29. April 2020 als offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich.

Das Verwaltungsgericht hat bei Anwendung der einfachrechtlichen Befangenheitsvorschriften in nicht mehr nachvollziehbarer Weise übergangen, dass sich das Gesuch des Beschwerdeführers nicht als Kritik an der Rechtsmeinung des abgelehnten Richters in der vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 9. August 2019 oder an der Beantwortung der – hier nicht entscheidungsbedürftigen – Rechtsfrage, ob der von der NPD verwendete Slogan den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, darstellt, sondern dass der Beschwerdeführer die – allesamt nicht entscheidungstragenden – Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Migration zum Anlass für die Richterablehnung nimmt.

Diese Ausführungen im Urteil vom 9. August 2019 durften den Beschwerdeführer veranlassen, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln. Das gilt schon für die ausufernde historische Begründung für die Behauptung, Einwanderung stelle „naturgemäß eine Gefahr für kulturelle Werte an dem Ort dar, an dem die Einwanderung“ stattfinde, und den Verweis darauf, dass die bestehende „Gefahr für die deutsche Kultur und Rechtsordnung sowie menschliches Leben“ „nicht von der Hand zu weisen“ sei. In hervorgehobenem Maße gilt es auch für die Passagen der Urteilsbegründung, in denen das Verwaltungsgericht ausführt, es handele sich bei der Wendung „Migration tötet“ um eine empirisch zu beweisende Tatsache, und im Folgenden ihm vermeintlich bekannte Einzelfälle von Asylsuchenden anführt, die im Nachhinein wegen Mordes, anderer Tötungsdelikte oder sonstiger schwerer Straftaten verurteilt wurden. Diese Einzelfälle nimmt das Verwaltungsgericht sodann als Beleg dafür, dass Migration etwas mit Tod und Menschenverachtung zu tun haben könne und dass Zuwanderer durchaus in der Lage seien, Tötungsdelikte und Kapitalverbrechen in Deutschland zu begehen. Damit verengt das Verwaltungsgericht den weitergreifenden Begriff der Migration auf die Gruppe der Asylsuchenden – die indes auf dem zu beurteilenden Wahlplakat keine Erwähnung fand – und stellt aus dieser Gruppe die später mit schweren Straftaten straffällig gewordenen Personen als prägend nicht nur für die Gruppe der Asylsuchenden, sondern für den gesamten Bereich der Migration dar. Vor diesem Hintergrund kommt es zu der Wertung, dass für den Fall, dass der deutsche Staat „einmal in die Handlungsunfähigkeit abrutschen“ sollte, „das Recht zum Widerstand aus Art. 20 Abs. 4 GG ohnehin <griffe>“. Hinzu kommt schließlich der Umstand, dass die Ausführungen zum Anhörungsmangel im Urteil vom 9. August 2019 – die die Entscheidung für sich genommen tragen würden – nur etwa 15% der Urteilsgründe zur Unbegründetheit der Klage umfassen, während die vom Beschwerdeführer zur Begründung seiner Besorgnis der Befangenheit herangezogenen Passagen etwa 85% umfassen. Damit steht es dem genannten Urteil gleichsam auf die Stirn geschrieben, dass der Richter, der es abgefasst hat, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält.

Die genannten und zahlreiche weitere Passagen waren offensichtlich geeignet, Misstrauen des Beschwerdeführers gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu begründen, insbesondere weil der Beschwerdeführer vor diesen Richter als ein Asylsuchender hätte treten müssen, der Anfang 2016 in das Bundesgebiet eingereist ist und sich daher als Teil jener „Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015“ angesprochen sehen durfte, die nach Auffassung des Verwaltungsgerichts im Urteil vom 9. August 2019 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt habe, die sowohl zum Tode von Menschen geführt habe als auch geeignet sei, auf lange Sicht zum „Tod“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss den Vortrag des Beschwerdeführers zu diesen Aspekten in sachlich nicht mehr nachvollziehbarer Verkennung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG fehlgewichtet.

Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht durch den vom Beschwerdeführer abgelehnten Richter inzwischen der Klage des Beschwerdeführers teilweise – soweit die Klage auf Verpflichtung zur Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichtet ist – stattgegeben hat, steht dem nicht entgegen. Maßgeblich für die Entscheidung über den Befangenheitsantrag ist die Lage, wie sie sich im Entscheidungszeitpunkt, also vor der Sachentscheidung, darstellt. Im Übrigen ist das Urteil zwar hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes rechtskräftig geworden, da insoweit kein Rechtsmittel eingelegt worden ist. Soweit die Klage indes abgewiesen worden ist, beruht dies auf der Entscheidung eines Richters, dessen Verhalten begründeten Anlass zur Besorgnis der Befangenheit gegeben hat. In diesem Umfang ist das Verfahren noch beim Verwaltungsgerichtshof anhängig und bedarf der Entscheidung unter Wahrung der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG……“