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Pflichti III: Anhörung im Strafvollstreckungsverfahren, oder: Da muss ein Verteidiger anwesend sein

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Und die dritte und letzte Entscheidung kommt aus dem Bereich des Vollstreckungsrechts. Der Kollege Brüntrup aus Minden hat mir dem LG Bielefeld, Beschl. v. 06.10.2020 – 3 Qs 326/20 – vor einigen Tagen geschickt.

Ergangen ist die Entscheidung im Vollstreckungsverfahren. Der Mandant des Kollegen ist in einem Verfahren nach einer Verurteilung wegen besonders schweren Raubes zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung angehört worden. Der Kollege Brüntrup, der Wahlverteidiger war, war nicht anwesend. Das LG hat die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben:

„Die angefochtene Entscheidung verletzt das Recht des Verurteilten auf ein faires Verfahren. Aufgrund der psychischen Erkrankung des Verurteilten und des  eingeholten Gutachtens lag ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO analog vor.

Mit dieser notwendigen Verteidigung ist es nicht zu vereinbaren, dass die mündliche Anhörung ohne den Verteidiger durchgeführt worden ist. Zwar handelt es sich bei der Anhörung im Vollstreckungsverfahren nicht um eine förmliche Vernehmung im Sinne der §§ 163a, 168c StPO. Jedoch gebietet es der im Rechtsstaatsprinzjp wurzelnde Grundsatz des fairen Verfahrens, dem Verteidiger in entsprechender Anwendung der vorgenannten Vorschriften auch bei der mündlichen Anhörung im Vollstreckungsverfahren die Teilnahme zu gestatten. Dieses Recht hat das Amtsgericht verletzt (vgl. OLG Hamm BeckRS 2015, 19671 ; OLG Köln BeckRS 2006, 1622). Soweit das Amtsgericht ausgeführt hat, der Verteidiger sei nur Wahl- und nicht Pflichtverteidiger, ändert dies an der Tatsache, dass es sich – aus Sicht der Kammer – um eine notwendige Verteidigung handelt, nichts.

Soweit der Verurteilte sich im Anhörungstermin damit einverstanden erklärt hat, angehört zu werden und der Vermerk über die Anhörung seinem Verteidiger zugeleitet wird, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Das Anwesenheitsrecht des Pflichtverteidigers wird durch Erklärungen des Verurteilten nicht berührt. Seine Aufgabe verlangt von ihm, das Verfahren in eigener Verantwortung und unabhängig von dem Verurteilten zu dessen Schutz mitzugestalten (vgl. OLG Hamm a. a. O.; OLG  Köln a. a. O.) Gleiches muss daher für den Wahlverteidiger gelten, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, da der Verurteilte auch dann – wie im Falle der erfolgten Beiordnung — nicht in der Lage ist, sich selber zu verteidigen.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung der Kammer kommt wegen der erneut — unter Beteiligung des Verteidigers durchzuführenden Anhörung nicht in Betracht.“

Damit lässt sich argumentieren, wenn es um die Frage der Beiordnung des Rechtsanwalts im Strafvollstreckungsverfahren geht.