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Erstattung von Aktenkopien, oder: rund 18.000 Seiten oder Akten in 7 Umzugskartons…..

Am „Gebührenfreitag“ starte ich mit dem LG Braunschweig, Beschl v. 21.12.2017 – 16 KLs 411 Js 22675/10 (16/14) -, den mir der Kollege Siebers übersandt hat. Ergangen ist der Beschluss zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Aktenkopien, einem gebührenrechtlichen Dauerbrenner. Da geht es häufig um eine Menge Geld, dementsprechend sperrig ist die Staatskasse. Hier aber mal nicht. Das LG hat die Erinnerung des Bezirksrevisors gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen:

 

In der Sache hat die Erinnerung keinen Erfolg. Die Festsetzung der Auslagen im Beschluss vom 01.12.2017 ist begründet.

Dem Grunde nach steht dem Verteidiger eine Erstattung der Dokumentenpauschale im Zusammenhang mit seiner Beiordnung nach Ziffer 7000 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG zu. Die Pauschale für die Herstellung von Kopien beträgt demnach für die ersten 50 abzurechnen Seiten 0,50 €, für jede weitere Seite 0,15 €.

Der Verteidiger hat die Erstattung der Pauschale für 17.497 Seiten beantragt. Die Kopien wurden im Büro des Verteidigers aus den für eine Woche zur Verfügung gestellten Verfahrensakten. die zu jener Zeit sieben Umzugskartons füllten, angefertigt.

Eine Dokumentenpauschale nach Nummer 7000 Ziff. 1 a VV RVG entsteht, soweit die Herstellung der Kopien zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Ob die Anfertigung zur sachgerechten Bearbeitung erforderlich ist, beurteilt sich im Einzelfall nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten (OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.5.2017. 2 Ws 98/17, zitiert nach juris). Maßgeblich ist die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers. wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (BGH, Beschluss vom 26.04.2005, X ZB 17/04, zitiert nach juris). Dem Verteidiger ist ein gewisser Ermessensspielraum unter Beachtung des Grundsatzes der kostenschonenden Prozessführung zuzubilligen (OLG Celle, Beschluss vom 28.11 2011, 1 Ws 415/11, zitiert nach juris).

Die Herstellung der Kopien war im vorliegenden Fall geboten. Dem von dem Verteidiger vertretenen Angeklagten werden zum Teil täterschaftlich, zum Teil mittäterschaftlich mit weiteren Angeklagten begangene Taten zur Last gelegt. Es ist daher aus Sicht des Verteidigers nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch andere Taten als die dem von ihm vertretenen Angeklagten allein zur Last gelegten sich für seine Verteidigung als bedeutsam erweisen. Hinzu kommt, dass es dem Verteidiger bei Überlassung der Akten in sieben Umzugskartons für eine Woche nicht zugemutet werden konnte, jeden Aktenband im Einzelnen auf relevante Einzelurkunden durchzusehen. Die in den seitens der Bezirksrevisorin aufgeführten Entscheidungen genannten Fälle betrafen Sachverhalte, in denen der Aktenumfang deutlich geringer als im vorliegenden Wirtschaftsstrafverfahren war, zum Teil nur einige 100 oder einige 1000 Seiten. Auf einer Akte mit damals über 17.000 Seiten sind die genannten Entscheidungen aus diesem Grund nicht pauschal übertragbar, es kommt auf die Besonderheiten des Einzelfalls an.

Soweit sich in den Akten tatsächlich Unterlagen befinden, die sich ex ante für die konkrete Verteidigung als nicht geboten erweisen, so kann dem mit einem pauschalen Abschlag von 10 % – wie geschehen – Rechnung getragen werden.

Die Entscheidung des OLG Köln (Beschluss vom 16.7.2012, III – 2 Ws 499/12, 2 W 499/12, zitiert nach juris) steht dem nicht entgegen. Demnach stellt das ungeprüfte vorsorgliche Ablichten der gesamten Akte, die regelmäßig für die Verteidigung irrelevante Dokumente wie Verfügungen oder Empfangsbekenntnisse enthält, keine ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens mehr dar. Kopien sind demnach nur in dem Rahmen abrechnungsfähig, indem sie aus der ex-ante Sicht des Verteidigers zu fertigen gewesen wären. Ein solcher Fall „vorsorglichen Ablichtens“ liegt nicht vor, da dem unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls der Umfang der Sache entgegensteht.

Auch aus der Entscheidung des OLG Koblenz (Beschluss vom 16.11.2009 – 2 Ws 526/09, zitiert nach juris) ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts anderes. in jenem Fall war ein vollständiges Aktendoppel für den Angeklagten gefertigt und die Erstattung dieser Auslagen beantragt worden.“

Zur wirksamen Verteidigung gehört ein „komplettes Aktendoppel“…..

© Gerhard Seybert - Fotolia.com

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Machen wir heute mal einen Gebührentag 🙂 . Nach dem nicht so fröhlichen Auftakt mit dem  KG, Beschl. v. 02.102.105 – 1 ARs 26/13 (vgl. dazu:Burhoff argumentiert nicht „systemkonform“, sondern „systemwidrig“) und vor der Auflösung des Gebührenrätsels vom vergangenen Freitag zwischendurch der (erfreuliche) LG Kleve, Beschl. v. 04.09.2015 – 120 Qs 65/15 -, in dem es um die Erstattungsfähigkeit von vom Verteidiger gefertigter Fotokopien geht. Das LG Kleve setzt in ihm seine „verteidigerfreundliche“ Rechtsprechung fort, wonach der Verteidiger in der Regel über ein komplettes Aktendoppel verfügen muss. Das hatte es schon 2011 in der von ihm im Beschluss angeführten Entscheidung entschieden und das bestätigt es hier noch einmal:

„Die begehrten Fotokopiekosten sind vollständig zu erstatten. In der Regel ist es zur wirksamen Verteidigung erforderlich, dass der Verteidiger über ein komplettes Aktendoppel verfügt (so bereits LG Kleve, Beschluss vom 11.08.2011 – 120 Qs 68/11). Selbst bei bereits zugestellten Beschlüssen und eigenen Schriftsätzen kann es beispielsweise von Bedeutung sein, ob sie nachträglich mit Vermerken versehen wurden (z. B. der Eingangsvermerk auf dem Urteil gemäß § 275 Abs. 1 StPO oder die Eingangsstempel bei fristgebundenen Rechtsmitteln). Es erleichtert auch die Kommunikation in der Hauptverhandlung, wenn die Verfahrensbeteiligten lediglich auf Blattzahlen hinweisen müssen oder bei Vorhalten dies alle in ihren Aktendoppeln mitverfolgen können. Bei manchen Aktenbestandteilen wird die Bedeutung erst später offenbar (z. B. die Bedeutung einer Zustellungsurkunde, wenn bei Nichterscheinen eines Zeugen die Frage der Unerreichbarkeit im Sinne der §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 244 Abs. 3 StPO zu entscheiden ist.

Es dient zudem zumeist der Verfahrensbeschleunigung (Art. 6 MRK) und der Kostenersparnis, wenn Hilfskräfte schnell die gesamte Akte kopieren, statt abzuwarten, bis der zuständige Verteidiger Zeit hat, sich einzuarbeiten und zu überlegen, welche Aktenbestandteile von Bedeutung sind. Die angefochtene Berechnung verkennt auch, dass bereits vor Blatt 1 wichtige Aktenbestandteile abgeheftet sind (BZR-Auszug, Führerschein, VZR-Auszug, Aktendeckel) und ggf. (im eingeschränkten Umfang) zusätzliche Ablichtungen für den Mandanten erforderlich sind.

Ob bei äußerst umfangreichen Akten oder bei identischen Parallelverfahren etwas anderes gilt, muss hier nicht entschieden werden.“

Aber Vorsicht: Es sind nicht alle Gerichte so „großzügig“.

Und der Verteidiger darf doch die ganze Akte kopieren

Der LG Kleve, Beschl. v. 11.08.2011 – 120 Qs 68/11 – über den ich gerade wegen der Grundgebühr berichtet habe, ist auch noch aus einem anderen Grund interessant; und zwar wegen der Frage nach der Erstattungsfähigkeit der vom Verteidiger angefertigten Kopien. Das LG sagt: Grundsätzlich darf der Verteidiger die ganze Akte kopieren:

………….Entgegen der Festsetzung im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts darf der Verteidiger grundsätzlich die gesamte Gerichtsakte vollständig kopieren und dafür Erstattung verlangen. Denn er weiß bei Erhalt der Akteneinsicht noch nicht, welche zunächst nebensächlich erscheinenden Akteninhalte für später auftretende Fragen relevant werden können………………„.

Zutreffend.