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Pflichtverteidiger und Verbindung von Verfahren, oder: Immer wieder Erstreckung?

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Heute ist Gebührenfreitag und den eröffne ich mit dem AG Norderstedt, Beschl. v. 24.07.2020  2020 – 74 Ls 500 Js 60323/15, der noch einmal/mal wieder eine Porblematik aus 3 48 RVG zum Gegenstand hat.

Es war über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

„Gegen den Angeklagten war unter dem Aktenzeichen 74 Ls 500 Js 60323/15 bei der Staatsanwaltschaft Kiel ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betrugs anhängig. Ferner wurde gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft Kiel unter dem Aktenzeichen 500 Js 29869/17 wegen ähnlicher Tatvorwürfe ebenfalls ein Ermittlungsverfahren geführt.

Bereits mit Schreiben vom 7.9.2017 hatte sich der Verteidiger pp. unter dem Az: 74 Ls 500 Js 60323/15 als Wahlverteidiger gemeldet und Akteneinsicht beantragt(BI. 78 d.A. Bd. I). Des Weiteren beantragte er hier ebenfalls die Beiordnung zum Pflichtverteidiger. Selbiges tat er mit dem Schreiben vom 01.11.2017 für das Verfahren 74 Ls 500 Js 29869/17 (BI. 52f. d.A. Bd. II). Am 02.05.2018 wurde ergänzende Akteneinsicht beantragt (BI. 96 d.A. Bd. I).

Die Anklage zum Verfahren 74 Ls 500 Js 60323/15 erging am 07.03.2018 (BI. 55 d.A. Bd. II). Die Anklage zum Verfahren 74 Ls 500 Js 29869/17 erging am 02.05.2018 (BI. 107 d.A. Bd. II).

Mit Beschluss vom 26.11.2018 wurden die beiden genannten Verfahren zur gemeinsamen Ver-handlung und Entscheidung miteinander verbunden. Das Verfahren 74 Ls 500 Js 60323/15 führt (BI. 145 d.A. Bd. I).

Rechtsanwalt  Pp. wurde  mit Beschluss vom 28.11.2018 als Pflichtverteidiger für die Verfahren 74 Ls 500 Js 29869/17 und 74 Ls 500 Js 60323/15 beigeordnet (BI. 129, 135 d.A. Bd. II).“

Und dann ging es um folgende Gebühren:

„Im Urteil vom 25.07.2019 des Amtsgerichts Norderstedt wurde die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 10.000,00 Euro angeordnet. Der Angeklagte trägt die Kosten des selbstständigen Einziehungsverfahren und seine diesbezüglichen notwendigen außergerichtlichen Aus-lagen (BI. 388 d.A. Bd. III).

Mit Schriftsatz vom 30.07.2019 zum führenden Verfahren 74 Ls 500 Js 60323/15 und zum hinzu-verbundenen Verfahren 74 Ls 500 Js 29869/17 beantragte Rechtsanwalt Pp. die Festsetzung seiner entstandenen Gebühren und Auslagen gegen die Staatskasse (BI. 401ff. d.A. Bd. III). Hier beantragte er unter anderem für das Verfahren 74 Ls 500 Js 29869/17 eine Einziehungsgebühr nach dem Streitwert in Höhe von 11.000,00 Euro sowie eine Einziehungsgebühr für das Verfahren 74 Ls 500 Js 60323/15 nach einem Streitwert in Höhe von 14.170,00 Euro.

Der Gegenstandswert für die Einziehung wurde mit Beschluss vom 11.10.2019 auf 25.170,00 Euro (BI. 416 d.A. Bd. III) festgesetzt. Zuvor hatte die Vertretung der Landeskasse am 08.10.2019 darauf hingewiesen, dass gemäß § 22 Abs. 1 RVG die Werte zusammen zu rechnen sind, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit mehrere Gegenstände betrifft. Davon wäre bei einer Verbindung auszugehen. Die Gebühr sei nach dem zusammengerechneten Wert zu berechnen. Der Zeitpunkt der beantragten Beiordnung sei für die Festsetzung aus der Landeskasse grundsätzlich nicht relevant (BI. 415 d.A. Bd. III).

Über die Beschwerde wurde mit Beschluss vorn 03.01.2020 des Landgerichts Kiel AZ: 10 QS 60/19 entschieden (BI. 446 d.A. Bd. III). Unter anderem wurde der Streitwertbeschluss insoweit abgeändert, dass sich der Wert des Einziehungsverfahrens für die Zeit ab dem 26.11.2018 (Verbindung der beiden Verfahren) auf einen Gesamtwert in Höhe 25.170,00 Euro beläuft. Zuvor seien jeweils ein Betrag von 11.000,00 Euro und 14.170,00 Euro maßgeblich.

Weiter wurde durch das Landgericht darauf hingewiesen, dass es wesentlich darauf ankommen dürfte, ob der Beschwerdeführer in beiden Ursprungsverfahren jeweils schon vor der Verbindung als Pflichtverteidiger eine Tätigkeit entfaltet hat, die sich auf die beiden Einziehungsverfahren bezog (BI. 446 ff. d.A. Bd. III). Nach. Ansicht des Landgerichts dürfte dies soweit nicht der Fall sein, da der Rechtsanwalt Pp. erst am 28.11.2018 und damit zwei Tage nach der Verbindung zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist. Vor dem 28.11.2018 sei der Rechtsanwalt Pp. ausschließlich als Wahlverteidiger tätig gewesen und kann diesbezügliche Vergütungsansprüche wegen der Auslagenentscheidung aus dem Urteil des Amtsgericht Norderstedt vom 25.07.2019 nur gegen den Mandanten erheben.

Mit Beschluss vom 23.04.2020 wurde die Pflichtverteidigervergütung auf einen Betrag in Höhe von 3.187,43 Euro festgesetzt.

Dagegen legte der Pflichtverteidiger Pp. mit Schreiben vom 11.05.2020 Erinnerung ein, da die Vergütung zu niedrig festgesetzt wurde. Weiter beantragte er gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG festzustellen, dass sich die Beiordnung auch auf das hinzu verbundene Verfahren 74 Ls 500 29869/17 erstreckt (BI. 494 d.A. Bd. IV).“

Das AG hat dann wie folgt entschieden:

„Inwieweit ein Pflichtverteidiger gegen die Staatskasse Gebühren geltend machen kann, die vor seiner Beiordnung entstanden sind, richtet sich nach § 48 Abs.6 RVG. Hierbei ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten, welche Gebühren zu erstatten sind, wenn eine Beiordnung erst erfolgt, nachdem mehrere Verfahren, in denen der Pflichtverteidiger bereits als Wahlverteidiger tätig war, i.S.d. § 4 StPO verbunden worden sind (zitiert nach OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 2017 – 2 Ws 95/17, juris, Rn. 17).

Nach Auffassung der zuständigen Richterin besteht für eine Feststellung nach § 48 RVG keine Notwendigkeit (Vermerk vom 02.06.2020 ‚- BI. 505 d.A. Bd. IV). Die Pflichtverteidigerbestellung vom 28.11.2018 erfolgte zwar nach der Verbindung beider Verfahren, aus der Bestellung ginge jedoch durch die Bezeichnung beider Aktenzeichen eindeutig hervor, das die Beiordnung auch für das Ermittlungsverfahren 74 Ls 500 Js 29869/17 gelten soll.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts (AZ: 10 QS 60/19), wird nunmehr der Ansicht gefolgt, dass dem Rechtsanwalt Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse für alle vorher hinzuverbundenen Verfahren zustehen.

Die herrschende Meinung ist der Ansicht, dass dem Rechtsanwalt über § 48 Abs. 6 S. 1 RVG Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse für alle vorher hinzuverbundenen Verfahren er-wachsen, soweit er in diesen vor der Verbindung als Wahlverteidiger tätig geworden ist (OLG Bremen, Beschluss vom 07.08.2012; Ws 137/11, juris, Rn. 14 mwN). Dies ist vorliegend der Fall (Verweis auf den Vermerk der Richterin vom 02.06.2020). Dem Rechtsanwalt stehen sowohl Grund-, Ermittlungs-, Verfahrens- als auch Einziehungsgebühr für beide Verfahren zu, da er in beiden Verfahren vor der Verbindung tätig war. Wie auch durch den Rechtsanwalt aufgeführt (BI. 456 d.A. Bd. III), hat er in beiden Verfahren den Beschuldigten und Angeschuldigten auf die Folgen der §§ 73 StGB ff. hingewiesen. Erst nach den jeweiligen einzelnen Beiordnungen in den beiden Verfahren im Haftbefehlstermin, sind die Verfahren verbunden worden.

Die Erinnerung ist zulässig.“

Eine elegante Lösung des AG, das die Frage der Erstreckung „umschifft“. M.E. hätte man die aber entscheiden müssen. Denn nach Verbindung lag ja nur noch ein Verfahren vor, in dem der Kollege beigeordnet worden ist.

Demnächst werden wir, wenn das KostRÄndG 2021 kommt mit der Problematik nichts mehr zu tun haben. Die Frage der Erstreckung in diesen Fällen stellt sich dann nicht mehr.