StPO II: Wirksame Beschränkung der Berufung, oder: Unzulässige Beweiserhebung über Schuldfähigkeit

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt auch aus dem Bereich des Berufungsverfahrens. Im KG, Urt. v. 30.06.2021 – 3 Ss 28/21 – nimmt das KG zur Frage der Beweiserhebung im Berufungsverfahren aufgrund eines Beweisantrages zur Schuldfähigkeit nach Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch Stellung.

Der Angeklagte ist vom AG wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Die auf die Rechtsfolgen beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG verworfen. Auf die gleichfalls beschränkte Berufung des Angeklagten hat das LG das Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, mit der er u.a. das Verfahren beanstandet. Die Revision hatte keinen Erfolg:

„1. Keinen Erfolg hat zunächst die Beanstandung, das Landgericht habe einen auf die Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten gerichteten Beweisantrag prozessrechtswidrig abgelehnt. Es kann dahinstehen, ob die Begründung der Strafkammer trägt, der Beweiserhebung bedürfe es wegen ihrer eigenen Sachkunde nicht (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Denn jedenfalls war der Beweisantrag unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), weil die Berufung zuvor auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden war und mithin prozessual bindend festgestellt war, dass der Angeklagte schuldfähig war.

a) Die Revision bringt gegen die Wirksamkeit der von der Verteidigung erklärten Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nichts vor, und es ergeben sich diesbezüglich auch keine durchgreifenden Bedenken. Als Anknüpfungspunkt für eine Unwirksamkeit käme der Umstand in Betracht, dass das Amtsgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des gehandelten Marihuanas getroffen hat.

Beim Fehlen von Angaben zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels ist eine Rechtsmittelbeschränkung unwirksam, wenn tatbestandliche Voraussetzungen – wie das Vorliegen einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – in Frage stehen (vgl. KG NJW-Spezial 2017, 538; Beschluss vom 21. Februar 2012 – [4] 121 Ss 32/12 [45/12] -, juris; Beschluss 12. Januar 2017 – [5] 121 Ss 197/16 [56/16] –, juris). Dies war hier angesichts der offensichtlich geringen Mengen aber nicht der Fall.

Daneben ist durch das Kammergericht bereits entschieden worden, dass die Feststellungen unabhängig von der möglichen Würdigung als nicht geringe Menge keine ausreichende Grundlage für den Schuld- und Strafausspruch bilden, wenn Angaben zum gehandelten Gewicht der Betäubungsmittel und zum Wirkstoffgehalt fehlen (KG, Beschluss vom 21. Februar 2012, a. a. O.). Dies ist hier aber gleichfalls nicht der Fall, weil das amtsgerichtliche Urteil das Gewicht der gehandelten Blütenstände bis auf die dritte Kommastelle genau ausweist und zudem die erzielten Preise mitteilt.

b) Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung führte dazu, dass das Landgericht die beantragte Beweiserhebung ablehnen musste.

aa) Das Landgericht war durch die wirksam erklärte Beschränkung der Berufung – jedenfalls im Grundsatz – an die Feststellung gebunden, dass der Angeklagte bei der Begehung der Taten schuldfähig war. Denn die Frage der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) ist eine solche des Schuldspruchs und jene nach erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) eine solche des Strafausspruchs (OLG Köln NStZ 1984, 379; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Februar 2021 – III – 4 RVs 11/21 – juris). Der Bundesgerichtshof ist in einer ähnlichen Konstellation so weit gegangen, dass im Falle einer Aufhebung des Urteils nur im Strafausspruch der neu befasste Tatrichter an den rechtskräftigen Schuldspruch selbst dann gebunden sei, wenn die erneute Ver-handlung zum Strafausspruch ergibt, dass der Angeklagte schuldunfähig war (vgl. BGHSt 7, 283).

Die durch die Verteidigung begehrte Beweiserhebung zielte damit darauf, die rechts-kräftig feststehende Schuldfähigkeit unter Verstoß gegen die innerprozessuale Bindungswirkung zu erschüttern. Das Beweisthema unterlag mithin einem Beweisverbot (vgl. Hamm/Pauly in: Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen 8. Aufl., Rn. 870), weshalb die Beweiserhebung im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO unzulässig war (vgl. zum Ganzen Alsberg/Güntge, Beweisantrag im Strafprozess 7. Aufl., Rn. 801 a. E.). Zulässige Beweisanträge konnte der Angeklagte bei dieser Prozesssituation nur in Bezug auf Beweistatsachen stellen, die ausschließlich für die Rechtsfolgenbemessung von Bedeutung sein konnten (vgl. Alsberg/Güntge, a.a.O., Rn. 802).

bb) Im Ergebnis ohne Bedeutung bleibt, dass das Landgericht den Beweisantrag nicht als unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), sondern wegen Besitzes eigener Sachkunde (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) abgelehnt hat. Ob das Landgericht die Ablehnung insoweit tragfähig begründet hat – die Generalstaatsanwaltschaft zweifelt dies in ihrer Zuschrift mit bedenkenswerten Überlegungen an –, kann dahinstehen. Denn jedenfalls kommt nach dem zuvor Ausgeführten der Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit der Beweiserhebung (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) zum Tragen.

Zwar ist als Grundsatz anerkannt, dass weder das Tat- noch das Revisionsgericht die in § 244 StPO bezeichneten Ablehnungsgründe austauschen darf. Denn der Angeklagte muss sich auf den ihm bekannt gemachten Ablehnungsgrund ggf. einstellen und seine Verteidigung darauf ausrichten können (vgl. BGHSt 48, 268; Senat StV 2019, 834 [Volltext bei juris], hierzu auch Krenberger, jurisPR-VerkR 1/2019 Anm. 5). Dies hat z. B. Bedeutung bei der Wahrunterstellung (§ 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 6 StPO), auf deren Einhaltung der Angeklagte ein schutzwürdiges Vertrauen haben kann (BGHSt 32, 44; Hamm/Pauly in: Hamm/Pauly a.a.O., Rn. 927).

Etwas anderes muss allerdings beim Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit gelten, weil er objektiv besteht und sich mit ihm keinerlei prozessuale Weiterungen verbinden. Dem Angeklagten können hier keine Nachteile dadurch entstanden sein, dass er von einer auf § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützten Ablehnung ausging, der Senat die Ablehnung aber (bereits) als nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO gerechtfertigt und geboten bewertet. Wegen der objektiv bestehenden Bindungswirkung hätte sich der Angeklagte auch dann nicht anders verteidigen können, wenn bereits die Strafkammer den Beweisantrag als unzulässig abgelehnt hätte.

Selbst wenn die Ablehnung nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO (eigene Sachkunde) verfahrensrechtswidrig gewesen wäre, könnte das Urteil mithin nicht hierauf beruhen…..“

Ein Gedanke zu „StPO II: Wirksame Beschränkung der Berufung, oder: Unzulässige Beweiserhebung über Schuldfähigkeit

  1. Lob

    Ich hatte noch nie persönlich mit dem 3. Strafsenat des Kammergerichts zu tun. Trotzdem muss es mal erwähnt werden: Dieser Senat ist derzeit in Deutschland der mit großem Abstand stärkste Revisionssenat. Jeder veröffentlichte Beschluss in den letzten 2-3 Jahren war ein Volltreffer.

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