NSU: Die ggf. nicht existierende Nebenklägerin – Sieben Fragen und sieben Antworten

© bluedesign - Fotolia.com

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Gestern ist ja schon bei dem Kollegen Schmidt vom „Terrorismusblog“ ein Beitrag zu den Folgen aus der NSU-Nebenklägerschichte – die ggf. nicht existierende Nebenklägerin – gelaufen. Der Kollege Schmidt hatte dazu am Samstag und Sonntag mit mir ein Email-Interview geführt, das dann in seinen Beitrag: Gebührenexperte Burhoff zu NSU-Nebenklägerskandal: „für mich einzigartig“ Eingang gefunden hat (vielen Dank für den „Gebührenexperten“). Nach Absprache mit dem Kollegen darf ich hier „nachkarten – wenn ich schon am Wochenende eine Interview gebe 🙂 , dann muss dabei zumindest ein Blogbeitrag abfallen. Das Interview bzw. die Fragen des Kollegen habe ich dann um die Frage 6 ergänzt, die hatte der Kollege nicht gestellt

Also, ich zitiere:

Frage 1: Herr Burhoff, ein als Nebenklagevertreter beigeordneter Rechtsanwalt räumt während des Prozesses ein, dass es seine Mandantin offenbar gar nicht gibt. Haben Sie schon jemals von einem ähnlichen Fall gehört?

Antwort: Nein, das ist eine Verfahrenssituation, die für mich auch neu ist. Ich kann jetzt nicht behaupten, dass es das noch nie gegeben hat. Aber ich habe bisher in meiner mehr als 35-jährigen Tätigkeit als Richter oder Rechtsanwalt von einem solchen Fall noch nicht gehört. Für mich ist es also erstmalig und bisher einzigartig.

Frage 2: Die Nebenklagevertreter werden vom Staat bezahlt. Kann das Gericht bereits gezahltes Geld nun zurückfordern?

Antwort: Nun, die Frage ist nicht so ganz einfach zu beantworten und hängt sicherlich auch davon ab, ob der Nebenklagervertreter gewusst hat, dass es die Mandantin nicht gibt. Bisher sind, wenn Zahlungen erfolgt sind, wovon man ausgehen können dürfte, das nur Vorschüsse nach § 47 RVG auf demnächst nach Abschluss des Verfahrens dann fällige gesetzliche Gebühren. In der Regel werden die Vorschüsse dann – wie jeder Vorschuss – abgerechnet. Wenn der Kollege jetzt aus dem Verfahren ausscheidet, was ja wohl der Fall ist, muss jetzt abgerechnet werden.

Es kommt dann darauf an, ob es die Nebenklägerin gibt oder nicht und was der Kollege gewusst hat.

Gibt es die Nebenklägerin nicht, dann ist meines Erachtens die Bestellung des Kollegen durch das OLG München ins Leere gegangen. Es kann keine Nebenklagebeiordnung für einen nicht existierenden Nebenkläger geben. Dann kann meiner Einschätzung nach die Staatskasse zurückfordern. Das dürfte auch gelten, wenn der Kollege gutgläubig war, aber da bin ich mir nicht so ganz sicher. Das habe ich in der Kürze der Zeit nicht prüfen können. Rechtsprechung dazu kenne ich bislang nicht. War der Kollege bösgläubig, hat also gewusst, dass es die Nebenklägerin nicht gegeben hat, bzw. hat grob fahrlässig gehandelt, dann wird er auf jeden Fall zurückzahlen müssen. Ich denke da etwa an eine „Anfechtung“ der Beiordnung nach den Grundsätzen der arglistigen Täuschung. Abgewickelt wird das dann u.a. nach Bereicherungsgrundsätzen. Der Kollege kann sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen (§ 818 BGB).

Frage 3: Macht es dabei einen Unterschied, ob es das angebliche Opfer Meral K. gar nicht gibt oder ob es das Opfer gibt, es aber gar nicht weiß, dass sich für sie ein Nebenklageanwalt bestellt hat?

Antwort: Ich verweise zunächst mal auf die vorstehende Antwort. Wenn es das Opfer gibt, dann ist die Beiordnung durch das OLG nicht ins Leere gegangen und die gesetzlichen Gebühren für den Kollegen entstanden. Wenn er jetzt entpflichtet wird, muss der Vorschuss, den er erhalten hat, abgerechnet werden. Auch an dieser Stelle wird der Kollege, wenn er wusste, dass das Opfer keine Kenntnis von seiner Nebenklagestellung hatte, mit dem Einwand rechnen müssen, dass alles zurückgefordert wird.

Frage 4: Der „NSU-Prozess“ läuft inzwischen seit 233 Tagen, der betroffene Rechtsanwalt ist seit dem ersten Tag der Hauptverhandlung beigeordnet. Um wieviel Geld geht es also ungefähr?

Antwort: Nun, das kann man wirklich nur „ungefähr“ beantworten. Denn man weiß nicht, an wie vielen der Hauptverhandlungsterminen der Nebenklägervertreter teilgenommen hat. Man kann also nur eine überschlägige Berechnung anstellen. Geht man davon aus, dass der Kollege an allen 233 Hauptverhandlungstagen teilgenommen hat, dann dürfte es sich um einen Betrag von mindestens rund 100.000 € handeln. Entstanden sind dann nämlich die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV RVG, die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren Nr. 4118 VV RVG, die aber mit zusammen rund 500,00 € nicht ins Gewicht fallen. Es gilt altes Recht.

Den Hauptposten machen die Terminsgebühren für die Hauptverhandlungen aus. Das wären ggf. 233 mal die Terminsgebühr für einen Hauptverhandlungstermin nach Nr. 4120 VV RVG von je 356,00 €. Dazu kommen dann noch Auslagen, wie Fahrtkosten, Übernachtungsgelder usw., deren genaue Höhe man nicht beziffern kann, weil die individuell sind, aber zumindest wird man 233 mal ein Abwesenheitsgeld in Höhe von 60,00 € nach der Nr. 7005 VV RVG in Ansatz bringen können.

Der Betrag von rund 100.000 € kann sich zudem auch noch dadurch erhöhen, dass ggf. auch noch sog. Längenzuschläge anfallen, wenn einzelne Termine mehr als 5 bis zu 8 Stunden oder sogar mehr als 8 Stunden gedauert haben. Aber auch das weiß man nicht. Aber: Er kann auch (sehr viel) niedriger sein, wenn der Kollege nicht an allen Terminen teilgenommen hat.

Frage 5: In den Akten des „NSU-Prozesses“ finden sich nur vage Angaben zum angeblichen Opfer Meral K – aber keine polizeiliche Vernehmung und nicht einmal Angaben zu Geburtsdatum und Geburtsort. Hätte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl also bei der Beiordnung misstrauischer sein müssen?

Was verstehen Sie unter „misstrauischer“? Ich will jetzt gar nicht eine Lanze für den Vorsitzenden brechen oder nach dem Motto antworten: „Eine (ehemalige) Krähe hackt der anderen kein Auge aus“. aber: Normalerweise gibt es doch für ein Gericht keinen Grund, einem Rechtsanwalt, der ja Organ der Rechtspflege ist, zu misstrauen, wenn der erklärt, er sei Vertreter/Beistand einer Mandantin, die als Nebenklägerin zugelassen werden möchte. Die Rechtsanwälte werden immer mit dem Argument: Organ der Rechtspflege“ in die Pflicht genommen, hier würde ich die Bezeichnung zunächst mal als „Gütesiegel“ ansehen und dem Gericht zubilligen, dass es sich auf eine solche Erklärung verlässt. Sicherlich fällt auf, dass es keine polizeiliche Vernehmung gibt und auch Geburtsdatum und Geburtsort fehlen. Aber so ganz viele Möglichkeiten der Überprüfung hatte das OLG doch gar nicht. Vielleicht den Arzt vorab befragen, der das wohl auch vorgelegte Attest ausgestellt haben soll. Und: Man kann sicherlich auch an die Vorlage einer Meldebescheinigung denken. Aber ich stelle mir das Gezeter und Geschrei in der Presse vor, wenn der Senat so etwas – dann von jedem – potentiellen Nebenkläger verlangt hätte.

Zudem darf ich dann noch auf die Eingangsfrage hinweisen: Bisher hat es so etwas wohl noch nicht gegeben. Es bestand also auch gar kein Anlass, misstrauischer zu sein.

Frage 6: Was muss der Rechtsanwalt denn sonst noch befürchten? Hat er sich strafbar gemacht? Durfte er eine Provision für die Vermittlung bezahlen?

Antwort: Auch die Antwort hängt davon ab, was der Kollege gewusst hat und/oder hätte wissen können. Und man muss, wie es die Fragestellung tut, zwischen strafrechtlichen und standesrechtlichen Konsequenzen unterscheiden:

Ist der Kollege selbst getäuscht worden, dann sind strafrechtliche Konsequenzen nicht ganz einfach einzuleiten. Man denkt natürlich sofort an Betrug (§ 263 StGB), aber der kann dann allenfalls im Laufe des Mandats zu bejahen sein. Nämlich dann, wenn es m.E. auch dem Kollegen gedämmert haben müsste, dass es die Mandantin offenbar gar nicht gibt. Denn es müssten in der langen Zeit seit Verfahrensbeginn doch Besprechungen stattgefunden haben, Mitteilungen an die Mandantin gegangen sein usw. Also: Normales Geschäft, bei dem dann irgendwann aufgefallen sein müsste, dass die Person, die man vertritt, überhaupt nicht existiert. Wie weit das dann vorsätzlich ist bzw. das weitere Verhalten des Kollegen – nur dann ist es ein Betrug nach § 263 StGB – und ggf. ab da dann auch eine Gebührenüberhebung nach § 352 StGB – kommt auf die Umstände an. Nur grobe Fahrlässigkeit würde nicht ausreichen.

Ist der Kollege nicht getäuscht worden, sondern hat von Anfang an gewusst, dass die Mandantin nicht existiert – was auch von den Umständen der Mandatsübertragung usw. abhängt – dann dürfte es sich um einen Betrug handeln (§ 263 StGB), und zwar wohl in einem besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 3 StGB). Lassen wir dafür mal die Frage der „Gewerbsmäßigkeit“ außen vor. Da dürfte schon die Höhe des Schadens (s.o.) reichen. Und dann wird auch die Gebührenüberhebung eine Rolle spielen (§ 352 StGB).

Standesrechtlich dürfte das Verhalten m.E. auf jeden Fall für den Kollegen Folgen haben. Das spielen natürlich auch die strafrechtlichen Fragen eine Rolle. Aber unabhängig davon: In § 49b Abs. 3 BRAO heißt es, dass „die Abgabe……..sonstiger Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen, gleichviel ob im Verhältnis zu einem Rechtsanwalt oder Dritten gleich welcher Art, …..unzulässig“ ist. Gegen diese standesrechtliche Pflicht dürfte der Kollege durch die Zahlung der „Provision“ verstoßen haben.

Zum Thema Vorschuss nach § 47 RVG gibt es übrigens einen Aufsatz von mir aus RVGreport 2011, 327.

Und ich möchte das Interview dann noch um eine Frage ergänzen, die der Kollege nicht gestellt hatte:

Frage 7: Hat die nicht existierende Nebenklägerin ggf. auch revisionsrechtliche Konsequenzen/Auswirkungen?

Antwort: Dazu haben sich einige Blogs bereits geäußert und halten das nicht für ausgeschlossen. Grds. ist das sicherlich richtig, hängt aber auch hier entscheidend davon ab, welche Verfahrensrolle die „nicht existierende Nebenklägerin“ im Verfahren bisher gespielt hat. Denn nur, wenn Verfahrensvorgänge, die auf sie bzw. auf die von ihrem Beistand gestellte Anträge zurückgehen, wird man dazu kommen können, dass das spätere Urteil – wenn es denn eins gibt – darauf beruht (§ 337 StPO). Das kann man im Moment – ohne genaue Kenntnis des Verfahrens – nicht abschätzen. Allein der Umstand, dass es eine nicht existierende Nebenklägerin gegeben hat, wird m.E. keine revisionsrechtlichen Auswirkungen zugunsten der Angeklagten haben.

9 Gedanken zu „NSU: Die ggf. nicht existierende Nebenklägerin – Sieben Fragen und sieben Antworten

  1. Gast

    Chapeau! Beseitigung der Beiordnung durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, Annahme arglistiger Täuschung und verschärfte Bereicherungshaftung bei grober Fahrlässigkeit – hier hat jemand Mut zu sagen wir mal „unkonventionellen“ Vorschlägen!

    Auch das mit dem „Gütesiegel“ ist sicher ein weiterführender Gedanke – warum sollten Leute, die sich zB für ihre Mandanten irgendwelche Märchen über „Kühlhandys“ ausdenken ( https://blog.burhoff.de/2015/10/das-kuehlhandy-ist-teurer-geworden/#comments ), eigentlich ein „Gütesiegel“ haben? Der Skandal hätte sein Gutes gehabt, wenn es in dieser Hinsicht bei den Obergerichten endlich zu einem Umdenken käme.

  2. RA

    [KLUGSCHEISSMODUS AN] Ein Verfahren einzuleiten ist alles andere als schwer, quasi nur ein Federstrich. Es zu etwas anderem als zu einer Einstellung zu bringen, ist dann ein anderes Kapitel. Aber das meinten Sie sicherlich. 😉 [KLUGSCHEISSMODUS AUS]

    @Gast
    Dann bitte aber auch ein Umdenken im Bezug auf die „Unfehlbarkeit“ von Polizeizeugen etc. In diesem Sektor liegt m.E. mehr im Argen, als bei fehlgehenden Kollegen.

  3. RA

    „Ist der Kollege selbst getäuscht worden, dann sind strafrechtliche Konsequenzen nicht ganz einfach einzuleiten.“

    😉

  4. Det Mert

    Also ehrlich gesagt: Das Interview hätte so auch ein Student geben können. Materielles Zivilrecht und StPO durcheinander und dazu noch eine Prise: eigentlich weiß ich gar nicht, was man da machen kann..

  5. WPR_bei_WBS

    Zu Frage / Antwort #5:

    Ich habe mir die gleiche Frage gestellt. Allerdings anders, als SIe sie verstanden haben. Also weniger die Frage, ob der Anwalt da jemanden vertritt den es gibt und er dies beweisen muß (da bin ich bei Ihnen), sondern vielmehr: Kann einfach jeder Mandant behaupten, dass er zur Nebenklage berechtigt sei und das Gericht „winkt“ das dann so durch?

    Denn es ist ja hier auch die „abgeschwächte“ Variante denkbar, dass es die Frau K. tatsächlich gibt, sie aber gar kein Opfer ist und sich denkt „gehe ich mal zu Gericht und Spiel Nebenklägerin“. Also, daher meine Frage: Wird als Nebenkläger jeder zugelassen, der von sich behauoptet dazu berechtigt zu sein?

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