Pflichtverteidiger im Widerrufsverfahren? Ja, aber endlich gesetzlich regeln

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Manche Beschlüsse/Verfügungen verdienen m.E. das Prädikat „nachahmenswert“. Um eine solche Verfügung handelt es sich bei der AG Backnang, Verf. v. 04.07.2013 – 2 BWL 117/12. In der Sache geht es um einen Bewährungswiderruf wegen eines Weisungsverstoßes. Und das AG Backnang macht etwas, was ich so bislang in der veröffentlichten Rechtsprechung noch nicht gefunden habe:

Es ordnet im Strafvollstreckungsverfahren einen Pflichtverteidiger bei – insoweit noch nicht so ganz besonders, aber immerhin – und das bereits in einem Verfahrensstadium, in dem ein Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft noch gar nicht vorliegt, sondern der bloß angekündigt ist.

„Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, sie erwäge einen Widerrufsantrag für den Fall, dass sich der Verurteilte weiterhin nicht an die ihm auferlegten Weisungen hält. Auf die in der Verfügung des Gerichts vom 30.April 2013 erteilten Hinweise, wonach ein etwaiger Weisungsverstoß wohl nicht zum Bewährungswiderruf führen würde, hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht erwidert. Dies legt für das Gericht den Eindruck nahe, dass seitens der Staatsanwaltschaft der mögliche Widerrufsgrund bereits in dem Weisungsverstoß erblickt wird, jedenfalls ist zu den weiteren Voraussetzungen des § 56f Abs.1 Nr.2 StGB bislang nichts ausgeführt worden. Eine solche Auffassung ist nach Ansicht des Gerichts unzutreffend, sodass sich der Verurteilte hiergegen im Falle der Antragsstellung zur Wehr setzen muss. Allein der beharrliche und gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen ihm erteilte Weisungen oder das beharrliche Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers rechtfertigt nämlich schon nach dem Gesetzeswortlaut den Widerruf der Strafaussetzung nicht (BVerfG NStZ-RR 2007, 338; OLG Hamm Jurion Rs 2013, 35820), der Bewährungswiderruf ist keine Strafe für den Weisungsverstoß. Maßgeblich ist vielmehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten besteht. Dies setzt eine erneute Prognosestellung voraus, welche auf konkreten und objektivierbaren Anhaltspunkten zu beruhen hat.“

Und: Die „Schwierigkeit der Verfahrens“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO wird auch bejaht.

„Die – in der Praxis häufig Probleme bereitende (Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 56f StGB, Rn. 11a) –  Prüfung, ob diese Voraussetzungen für einen Bewährungswiderruf vorliegen oder ob trotz der Verstöße eine Korrektur der ursprünglichen Prognose nicht angezeigt ist, ist dem Verurteilten alleine nicht möglich, er wird die einschlägige Rechtsprechung kaum kennen. Es war ihm daher in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Dies gebietet im Übrigen auch der Umstand, dass hinsichtlich der Weisung, „seine Lehrstelle nicht von sich aus aufzugeben“, im Verfahren geprüft werden muss, ob dem Verurteilten die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses tatsächlich angelastet werden kann oder ob die arbeitgeberseitige Kündigung womöglich zu Unrecht erfolgt ist.“

In beiden Punkten m.E. nachahmenswert. Und der Beschluss führt für mich mal wieder zu der Frage: Warum ändert der Gesetzgeber an der Stelle eigentlich nicht die StPO und führt ausdrücklich die Beiordnung des Pflichtverteidigers auch im Strafvollstreckungsverfahren ein. Wenn man schon durch Schaffung neuer Gebührentatbestände im RVG mit den Gebühren in Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG für eine bessere Verteidigung auch im Strafvollstreckungsverfahren sorgen will, dann muss dafür m.E. auch die Grundlagen schaffen. Und dazu gehört auch die Pflichtverteidigung.

Jedenfalls: Nachahmenswert. Ich bin mal gespannt, ob die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die wohl zuständig ist, das mitmacht oder ob sie ins Rechtsmittel geht.

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