Heute dann noch einmal OWi-Entscheidungen. Grund ist der BVerfG, Beschl. v. 17.05.2024 – 2 BvR 1457/23 -, der seit gestern ja über die Ticker läuft und heute dann auch in der Tagespresse angekommen ist.
Folgender, alltäglicher, Sachverhalt: Gegen den Betroffenen wird wegen eines Parkverstoßes eine Geldbuße in Höhe von 30 EUR festgesetzt. Der Betroffene legt Einspruch ein. In der darauf stattfindenden Hauptverhandlung schweigt der Betroffene. Das AG verurteilt ihn. Im Urteil wird ausgeführt, der Betroffene habe geschwiegen. Die Feststellungen zur Person basierten auf den Angaben im Bußgeldbescheid, die der Betroffene bestätigt habe, und auf der verlesenen Auskunft des Fahreignungsregisters. Die Feststellungen zur Sache beruhten auf den verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, den Lichtbildern sowie dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei.
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der damit begründet worden ist, dass der Rückschluss auf den Betroffenen als Nutzer des Fahrzeugs allein aus der Haltereigenschaft fehlerhaft sei, hat das OLG Köln mit Beschl. v. 12.9.2023 – III-1 ORbs 292/23 – als unbegründet verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die Erfolg hatte:
„1. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den konkreten Fall sind zwar Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt jedoch unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Von einer willkürlichen Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 74, 102 <127>; 83, 82 <84>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; stRspr). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfGE 4, 294 <297>; 96, 189 <203>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. März 2023 – 1 BvR 1620/22 -, Rn. 10 m.w.N.).
b) Gemessen daran verstößt das Amtsgericht mit der angegriffenen Entscheidung gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Willkürverbot. Das angegriffene Urteil enthält keinerlei Ansätze sachgerechter Feststellungen und Erwägungen zur Täterschaft des Beschwerdeführers, auf die bei einer Verurteilung nicht verzichtet werden kann.
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 13 Variante 3 StVO handelt ordnungswidrig im Sinne des § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über Parkscheiben nach § 13 Abs. 1 oder Abs. 2 StVO verstößt. Das Amtsgericht hat seine Feststellungen zur Sache allein auf die verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, auf Lichtbilder des Fahrzeugs sowie auf den Umstand gestützt, dass der Beschwerdeführer der Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei. Damit hat das Amtsgericht zu dem Verkehrsverstoß, der dem Beschwerdeführer angelastet wird, in seiner Person weder ein aktives Tun noch ein Begehen durch Unterlassen festgestellt. Die Angaben im Bußgeldbescheid – wie auch die Lichtbilder, die allein das Fahrzeug des Beschwerdeführers zeigen – haben bezüglich der Frage, ob der Beschwerdeführer das Fahrzeug bei der bestimmten Fahrt auch tatsächlich geführt hat, keinerlei Aussagekraft. Der Beschwerdeführer hat zu dem ihn betreffenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwurf geschwiegen. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Pkws ist, darf bei Fehlen jedes weiteren Beweisanzeichens nicht auf dessen Täterschaft geschlossen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1993 – 2 BvR 843/93 -, juris, Rn. 12; BGHSt 25, 365 <367 ff.>; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 20. November 1973 – 2 Ss OWi 1374/73 -, NJW 1974, S. 249; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Februar 2020 – IV-2 RBs 1/20 -, juris, Rn. 5 ff.; Fromm, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 61 OWiG Rn. 1; Tiemann, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 261 StPO Rn. 57).“
Angesichts der dargestellten zwischenzeitlich einhelligen Auffassung in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung zum unzureichenden Beweiswert der Haltereigenschaft als solcher ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei sachgerechter Verfahrensweise und bei Zugrundelegung sachgerechter Erwägungen zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre.“
Ich kann die Aufregung nicht so ganz verstehen. Die „Bild“ meinte gestern, titeln zu müssen: „Neuer-Richter-Beschluss: Knöllchen-Revolution für alle Autorfahrer“. Geht es noch oder: Kann man mal bitte einen Gang zurückschalten. Denn was ist an dem Beschluss bzw. der Aussage des BVerfG „neu“ und was ist bitte die „Revolution“? „Revolution“ ist „ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt.“ Das sehe ich nun wirklich nicht. Das BVerfG rügt einen Verstoß gegen das Willkürverbot, nämlich das Abweichen von einer h.M., wonach allein die Haltereigenschaft nicht ausreicht, um die Täterschaft zu begründen. Das ist, wie die zitierte Rechtsprechung zeigt, nun wirklich nicht, neu. Also warum die Welle?
Ich kenne genügend andere Stellen, an denen das BVerfG eine „Revolution“ hätte beginnen können. Ich sage nur „Messverfahren“.