BVerfG II: Acht Monate Untätigkeit sind zu viel, oder: Klatsche für das AG Tiergarten

entnommen openclipart.org

In der zweiten Entscheidung aus Karlsruhe hat es eine Klatsche für das AG Tiergarten gegeben. Das hatte über einen bei ihm eingegangenen Eilantrag acht Monate nicht entschieden. Es ging um die Frage, ob ein bei einer Durchsuchung in angeblichen Redaktionsräumen gefundener USB-Stick versiegelt wird. Durchsucht worden waren im Rahmen von zwei Ermittlungsverfahren wegen strafbewehrter Verstöße gegen das Parteiengesetz am 28.09.2022 mehrere Objekte u.a. in Berlin. Hintergrund war der Vorwurf, dass für die Jahre 2016 bis 2018 falsche Rechenschaftsberichte für eine Partei eingereicht worden seien.

Bei der Durchsuchung wurde in einem Panzerschrank ein Umschlag mit einem USB-Stick sichergestellt. Gestützt darauf, dass die Redaktionsräume nicht hätten durchsucht werden dürfen, und die Daten dem journalistischen Quellenschutz unterlägen, beantragte das Nachrichtenportal, das von der Partei betrieben wurde, am 01.11.2022 die Rückgabe. Außerdem beantragte sie, den Umschlag sofort bis zur Entscheidung über die Herausgabe zu versiegeln. Telefonische Rückfragen nach gut einer Woche blieben eben so unbeantwortet wie eine schriftliche Sachstandsanfragen im Januar 2023. Aufgrund einer Dienstaufsichtsbeschwerde bewegte sich dann endlich etwas.

Das hat dem BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 26.06.2023 – 1 BvR 491/23  – aber nicht gereicht:

„2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die fortbestehende ermittlungsrichterliche Untätigkeit betreffend den Eilantrag in dem Verfahren 237 Js 536/22 verletzt die Beschwerdeführerin in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgt effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Verletzungen der Individualsphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 51, 176 <185>; 67, 43 <58>; 101, 106 <122 f.>). Dieser Rechtsschutz darf sich dabei nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit zureichender Entscheidungsmacht ausgestattetes Gericht führen (vgl. BVerfGE 101, 106 <123>). Hierbei bedeutet wirksamer Rechtsschutz auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass Eilrechtsschutz soweit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfGE 37, 150 <151 ff.>; 65, 1 <70>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Februar und 25. Mai 2022 – 2 BvR 167/22 -, Rn. 2 bzw. Rn. 20, m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen wird der Ermittlungsrichter im Ermittlungsverfahren 237 Js 536/22 nicht gerecht. Sein Umgang mit dem Eilantrag der Beschwerdeführerin verletzt deren Anspruch auf effektiven Rechtschutz.

In ihrem Schriftsatz vom 1. November 2022 hat sie ausdrücklich folgenden Antrag gestellt:

„Ich beantrage ferner die sofortige Versiegelung des „Kuverts […]“ inkl. des darin enthaltenen USB-Sticks (1 TB) bis zur Herausgabe an meine Mandantin, jedenfalls bis zur richterlichen Entscheidung.“

In der Antragsbegründung kritisierte die Beschwerdeführerin, dass die Durchsuchungsbeamten „noch nicht einmal“ den sichergestellten Datenträger versiegelt hätten, was nunmehr – so ausdrücklich – umgehend nachgeholt werden müsse.

Unbeschadet dieser unmissverständlichen Formulierungen musste sich dem Ermittlungsrichter auch deshalb die Eilbedürftigkeit dieses Antrags aufdrängen, weil dieser erkennbar darauf ausgerichtet war, vollendete Zustände zu verhindern. Mit ihrem Hauptantrag auf ermittlungsrichterliche Entscheidung bezweckte die Beschwerdeführerin – wie ebenfalls von ihr ausdrücklich benannt – die Aufhebung der Sicherstellung und Herausgabe des Kuverts inklusive des darin befindlichen USB-Sticks. Sie berief sich im Weiteren auf ihre besondere Stellung als Presseorgan, weshalb jede Einsichtnahme der Ermittlungsbehörden in die auf dem USB-Stick gespeicherten Daten verhindert werden soll.

Vor diesem Hintergrund war klar, dass der Entscheidung über den Hauptantrag und damit dem durch das Fachrecht vorgesehenen Rechtsbehelf nach § 110 Abs. 4, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO praktisch keine Bedeutung mehr zukommt, sobald die Ermittlungsbehörden den USB-Stick ausgewertet haben. Um daher einem solchen irreversiblen Zustand zuvorzukommen, hat die Beschwerdeführerin einen Eilantrag formuliert. Damit hatte sie einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf dessen seiner Dringlichkeit entsprechenden Bescheidung.

Ein Zurückstellen der Entscheidung über den Eilantrag seit nunmehr über acht Monaten ist hiermit unvereinbar. Ein dies rechtfertigender Grund folgt auch – worauf das Land Berlin in seiner Stellungnahme gedrungen hat – nicht daraus, dass der Ermittlungsrichter zunächst vor Entscheidung über die Anträge der Beschwerdeführerin vom 1. November 2022 abwarten durfte, wie über eine durch den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin im eigenen Namen angebrachte Beschwerde entschieden wird. Ein solches am Gedanken der Prozessökonomie ausgerichtetes Vorgehen kann allenfalls rechtfertigen, dass die Entscheidung über den Hauptantrag vom 1. November 2022 zurückgestellt wird, um divergierende Sachentscheidungen zu vermeiden. Dies gilt für den Eilantrag vom 1. November 2022 hingegen nicht, weil die Beschwerdeführerin mit diesem keine Entscheidung in der Sache, sondern nur eine vorläufige Sicherung ihrer geltend gemachten Rechtsposition begehrt.“

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