Im Mittagsposting dann heute keine Entscheidung, sondern ein Blick in die Zukunft oder auch in die Glaskugel. Es geht nämlich um Änderungen im RVG, die sich – nun ja, noch nicht ankündigen, aber immerhin – abzeichnen. Ist ja schon mal schön, das zu hören bzw. zu lesen.
Ausgangspunkt der Berichterstattung ist ein sog. Eckpunktepapier mit dem Titel: Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung in der 20. Legislaturperiode – Eckpunktepapier von DAV und BRAK – Mai 2023. Ja, richtig gelesen. „Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung“. Es ist mal wieder so weit. Die letzten linearen und/oder strukturellen Änderungen im RVG datieren aus der 19. Legislaturperiode. Diese Änderungen durch das 2. KostRÄG 2021 sind am 1.1.2021 in Kraft getreten. Um weitere/neue Änderungen „anzustoßen“, haben nun also DAV und BRAK im Mai 2023 gemeinsam dieses. Eckpunktepapier vorgelegt, in dem sie ihre Änderungswünsche/ – vorschläge formuliert haben. Ich stelle diese hier heute vor. In dem Papier heißt es:
„Die Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege gewährleistet den effektiven Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger und sichert dadurch die Errungenschaften des Rechtsstaats. Damit die Anwaltschaft ihrem Auftrag nachkommen kann, müssen die Rahmenbedingungen gewährleistet werden. Dazu gehört auch die zureichende Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit.
Deshalb setzt sich die Anwaltschaft für eine zeitnahe lineare Erhöhung der anwaltlichen Vergütung ein. Zudem bedarf es struktureller Änderungen und Ergänzungen im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
Vor diesem Hintergrund fordern BRAK und DAV:
I. Lineare Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung
Die Anwaltschaft ist auf eine zeitnahe lineare Erhöhung ihrer Vergütung dringend angewiesen. Die hohen und stetig wachsenden Kosten, eine Kanzlei zu unterhalten, sowie die nach wie vor steigende Inflation, die sich insbesondere auch in der hohen bestehenden Kerninflation bestätigt, machen eine rasche Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung unumgänglich. Denn nur eine ausreichende Vergütung versetzt Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dauerhaft in die Lage, den Zugang zum Recht in angemessener Weise zu garantieren. Darüber hinaus erfolgte durch die Erhöhung im Rahmen des KostRÄG 2021 keine vollständige Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung seit dem 2. KostRMoG 2013. Auch diese Differenz gilt es aufzuholen.
II. Strukturelle Änderungen und Klarstellungen
1. Anpassung der Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG
Die Terminsgebühr nach Nr. 1010 VV RVG soll dahingehend geändert werden, dass diese unabhängig von der Durchführung einer Beweisaufnahme bei der Teilnahme an mehr als zwei gerichtlichen Terminen (sowohl gerichtliche einschließlich der vor einem Güterichter als auch von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumte Termine) mit einer Gesamtdauer von insgesamt mehr als 120 Minuten entsteht. Denn die im Jahr 2013 eingeführte Gebühr kommt in der Praxis aufgrund der hohen Hürde (Kombination aus besonders umfangreicher Beweisaufnahme und drei gerichtlichen Terminen) fast nie zur Anwendung. Rechtsanwälten entsteht allerdings bei mehreren Terminen ein erheblicher zusätzlicher Aufwand.
2. Inkassodienstleistungen –Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG
Zum Schutz von Verbrauchern vor zu hohen Inkassokosten wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei Inkassodienstleistungen zum 01.10.2021 bei der Geschäftsgebühr ein neuer Abs. 2 in Nr. 2300 VV RVG eingeführt. Bei unbestrittenen Forderungen gilt für Inkassodienstleistungen ein reduzierter Gebührenrahmen der Geschäftsgebühr. Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass im Hinblick auf die Erweiterung zulässiger Inkassodienstleistungen auch bei der klassischen anwaltlichen Geltendmachung von Forderungen sowohl aus unerlaubter Handlung als auch gegenüber Unternehmern die Gebühren vom Erstattungspflichtigen gekürzt werden, z. B. in Verkehrsunfallsachen durch den Haftpflichtversicherer.
Entsprechend Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung soll daher durch eine Ergänzung von Nr. 2300 Anm. Abs. 2 VV RVG klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand nur bei Inkassodienstleistungen wegen vertraglicher Forderungen gegenüber Verbrauchern Anwendung findet.
3. Abschaffung des Schriftformerfordernisses bei Anwaltsrechnungen in § 10 RVG
In § 10 RVG soll das Schriftformerfordernis bei Rechtsanwaltsrechnungen durch die Textform ersetzt werden und zwar unabhängig von der Zustimmung des Mandanten. Das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift passt nicht mehr in die digitalisierte Lebenswirklichkeit. Die Textform entspricht sehr viel stärker den Bedürfnissen der Praxis nach einer einfachen Möglichkeit einer elektronischen Übermittlung. Von entscheidender Bedeutung sind die Richtigkeit, Angemessenheit und Kenntnisnahme der Rechnung durch die Rechtsanwälte. Diesen Voraussetzungen tragen die berufsrechtlichen Grundpflichten nach §§ 43, 43a BRAO Rechnung. Ferner verlangt bereits jetzt § 3a RVG für Vergütungsvereinbarungen nur die Textform.
4. Einführung von Gebühren für das strafrechtliche Zwischenverfahren
Das Strafverfahren ist in drei Abschnitte (Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren) geteilt, in denen Rechtsanwälte tätig sind. Eine Vergütung ist jedoch nur für das Ermittlungs- und das Hauptverfahren vorgesehen. Die vergütungsrechtliche Regelung widerspricht damit der prozessrechtlichen Struktur des Strafverfahrens. Darüber hinaus besteht im Zwischenverfahren ein erheblicher Arbeitsaufwand für Rechtsanwälte. Dabei erhalten Beschuldigte und ihre Vertreter erstmalig Gelegenheit festzustellen und zu prüfen, welche konkreten Vorwürfe erhoben werden und welche Beweismittel zur Verfügung stehen. Erst in diesem Stadium besteht die Möglichkeit, zur Sach- und Rechtslage umfassend Stellung zu nehmen. Dem ist durch die Schaffung einer gesonderten Gebühr für das Zwischenverfahren Rechnung zu tragen.
5. Vergütung des beigeordneten Zeugenbeistands
In § 48 RVG soll eine Vergütungsregelung für die Zeugenbeistandsleistung von Rechtsanwälten, die nach § 68b StPO beigeordnet sind, dahingehend normiert werden, dass sich die Beiordnung auf alle vorbereitenden und nachsorgenden Tätigkeiten erstreckt.
Der Zeugenbeistand wird durch den Zeugen für eine Vielzahl von Tätigkeiten beauftragt (u. a. Erstberatung, ggf. Akteneinsicht beim Opferzeugen, Vorbereitung des Termins, Begleitung im Termin, ggf. Vertretung bei Anträgen des Zeugen auf Schutzeinrichtungen). Die Beiordnung kann nach § 68b StPO durch Wortlautauslegung als Beistand nur für die Dauer der Vernehmung erfolgen. Danach hat der Zeugenbeistand gegenüber der Landeskasse nur einen Anspruch auf Vergütung nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, also nur auf einen geringen Bruchteil dessen, was der Auftraggeber schuldet. Dies ist unangemessen und benachteiligt insbesondere den Zeugen.
6. Anpassung der Grenze in § 49 RVG bei PKH/VKH und Anhebung der Kappungsgrenze
Die Grenze reduzierter PKH-Gebühren soll auf 5.000 Euro Gegenstandswert angehoben werden. In allen Kostengesetzen sowie im RVG wurden die Auffangwerte auf 5.000 Euro vereinheitlicht. Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Bewertung besteht nicht.
Zudem soll die Kappungsgrenze in § 49 RVG zur Anpassung an die Inflationsentwicklung auf 100.000 Euro angehoben werden.
7. Anhebung der Gegenstandswerte in Kindschafts- sowie Gewaltschutz- und Abstammungssachen
Die Verfahrenswerte in isolierten Kindschaftssachen nach § 45 FamGKG (Höchstgrenze § 44 Abs. 2 FamGKG) sollen auf 5.000 Euro angehoben werden. Sachliche Gründe, die eine vom üblichen Auffangwert abweichende Bestimmung des Verfahrenswertes rechtfertigen, gibt es nicht. Darüber hinaus soll jedes Kind bei der Wertberechnung gesondert berücksichtigt werden. Jedes Kind ist ein Individuum und hat ein Recht auf eigenständige Berücksichtigung seiner subjektiven Interessen im gerichtlichen Verfahren. Diese können auch bei Geschwisterkindern erheblich voneinander abweichen. Für eine angemessene Wertbestimmung ist es daher erforderlich, dass jedes Kind isoliert als Subjekt angesehen und der Wert pro Kind in Ansatz gebracht wird.
Auch die Verfahrenswerte in Gewaltschutzsachen nach dem GewSchG sind mit nur 2.000 Euro bzw. 3.000 Euro bei Wohnungsüberlassung nach § 49 FamGKG sowie in Abstammungssachen mit 2.000 Euro nach § 47 FamGKG deutlich zu niedrig bemessen. Diese Werte wurden seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angehoben und sind entsprechend anzupassen.
8. Auslagentatbestände:
a) Änderung der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG
Nach der jetzigen Regelung werden nur Kopien, keine Scans vergütet. Eine Ungleichbehandlung von Kopien und Scans ist sachlich nicht gerechtfertigt, da der Personalaufwand identisch ist und höhere Kosten für leistungsfähige Geräte zur Erstellung von Scans anfallen. Ebenso besteht eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit den Steuerberatern, die nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 StBVV die Dokumentenpauschale nach wie vor für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten, also auch Scans, und nicht nur für Kopien erhalten.
Daher soll Nr. 1 der Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG klarstellend dahingehend ergänzt werden, dass auch das Einscannen von in Papierform vorliegenden Akten zur weiteren Bearbeitung als elektronische Akte von der Pauschale erfasst wird.
b) Erhöhung der Fahrtkostenpauschale nach Nr. 7003 VV RVG
Die Kilometerpauschale von 0,42 Euro ist aufgrund der enorm gestiegenen Kraftstoffpreise nicht mehr kostendeckend und soll auf mindestens 0,50 Euro angehoben werden. Im Jahr 2021 lag der durchschnittliche Kraftstoffpreis bei 152,2 Cent/Liter und im Jahr 2022 sogar bei 186,0 Cent/Liter; aktuell (April 2023) liegt er bei 180,5 Cent/Liter. Hinzukommen die gestiegenen tatsächlichen Autokosten.
9. Angelegenheitsbegriff, § 17 RVG
Der Wegfall von § 15 Abs. 2 S. 2 RVG a. F. durch das 2. KostRMoG im Jahr 2013 führte dazu, dass die Rechtsprechung teilweise verschiedene Verfahren als nur eine einheitliche gebührenrechtliche Angelegenheit annimmt. Eine Änderung der vorher geltenden Rechtslage war durch den Wegfall jedoch nicht beabsichtigt.
Durch eine entsprechende Ergänzung des § 17 Abs. 1 Nr. 1 RVG soll klargestellt werden, dass jedes einzelne behördliche, verwaltungsrechtliche und gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind.
10. Fiktive Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG auch bei vorgeschriebener Erörterung
Durch eine Ergänzung der Nr. 3104 Anm. Abs. 1 Nr. 1 VV RVG um Erörterungstermine soll klargestellt werden, dass der Gebührentatbestand auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen ein Erörterungstermin vorgeschrieben ist, Anwendung findet. Aufgrund des derzeitigen Wortlauts, der nur mündliche Verhandlungen umfasst, verneint die Rechtsprechung teilweise die Möglichkeit des Anfalls einer fiktiven Terminsgebühr in Angelegenheiten, in denen eine Erörterung vom Gesetz vorgeschrieben ist. Eine unterschiedliche gebührenrechtliche Bewertung bei der Vermeidung von vorgeschriebener mündlicher Verhandlung und Erörterung ist jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen.2
Eine bunte Mischung. Insgesamt kann man die Vorschläge nur unterstützen. Dahin stehen soll an dieser Stelle auch, ob sich nicht weitere Änderungen/Ergänzungen empfehlen würden. Die würden aber sicherlich den Rahmen eines KostRÄG sprengen und eher für ein 3. KostRMoG sprechen. Aber auch die Umsetzung der vorgeschlagenen Änderungen würde dem anwaltlichen Gebührenrecht gut tun. Man kann nur hoffen, dass sie kommen Und man kann nur hoffen, dass sie bald in Angriff genommen werden. Denn die laufende 20. Legislaturperiode endet im Herbst 2025. Viel Zeit für Änderungen im RVG ist also nicht mehr. Allerdings: Ich habe Zweifel, ob das alles kommt. Ich höre schon die Länderfinanzminster rufen: Wir haben kein Geld. Andererseits: In 2025 sind Wahlen. Da wird man sicherlich vorher auch die Rechtsanwälte „positiv stimmen wollen“.
Und: Einen Beitrag zu den Änderungen von mir gibt es inzwischen auch. Der ist in StRR 8/2023, 13 ff. veröffentlicht. Titel: Änderung im RVG in der 20. Legislaturperiode, oder:
Eckpunktepapier von DAV/BRAK aus Mai 2023. Er enthält eine erste, etwas konkrete Einschätzung der Vorschläge.