Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich heute um den LG Limburg, Beschl. v. 07.05.2021 – 2 Qs 56/21. Es geht um die Anrechnung der Verbüßung on Ungehörsamsarrest auf die Vollstreckung von Jugendstrafe. Das LG sagt: Es muss angerechnet werden:
„c) Weiter ist der vollstreckte zweiwöchige Ungehorsamsarrest auf die Jugendstrafe analog §§ 26 Abs. 3 S. 3, 52a S. 1 JGG anzurechnen.
Nach § 26 Abs. 3 S. 3 JGG wird Jugendarrest, der nach § 16a JGG verhängt wurde, in dem Umfang, in dem er verbüßt wurde, auf die Jugendstrafe angerechnet. In der Literatur ist umstritten, ob hiernach ebenfalls Ungehorsamsarrest i.S.v. §§ 23 Abs. 1 S. 4, 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 S. 2 JGG angerechnet werden kann oder sogar muss. Rechtsprechung zu dieser Frage existiert – soweit ersichtlich – nicht.
Teilweise wird die Möglichkeit einer Anrechnung verneint und dies damit begründet, dass der Ungehorsamsarrest keine Strafe i.S.v. Art. 103 Abs. 3 GG darstelle und seine Vollstreckung auch nicht die zugrunde liegende Weisung oder Auflage ersetze (BeckOK JGG/Nehring, 20. Ed. 1.2.2021, JGG § 26 Rn. 32 f.).
Demgegenüber wird die Anrechnung überwiegend für möglich oder sogar zwingend erachtet (Ostendorf/Ostendorf, JGG, 10. Aufl. 2016, JGG § 26a Rn. 18; Eisenberg/Kölbel, JGG, 22. Aufl. 2021, JGG § 26a Rn. 26; Meier/Rössner/Trüg/Wulf, JGG, 2. Aufl. 2014, JGG § 26 Rn. 13; Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl. 2020, § 26a Rn. 20). Zur Begründung wird u. a. angeführt, dass dies dem Einheitsprinzip entspreche (so Eisenberg/Kölbel, JGG, 22. Aufl. 2021, JGG § 26a Rn. 26) und dass eine Analogie zu § 26 Abs. 3 S. 3 JGG und § 52a JGG angezeigt sei (so Ostendorf/Ostendorf, JGG, 10. Aufl. 2016, JGG § 26a Rn. 18).
Die Kammer schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Zwar ist in § 26 Abs. 3 S. 3 JGG lediglich die Anrechnung des Arrestes i.S.v. § 16a JGG (sog. Warnschussarrest) geregelt, doch rechtfertigt die vergleichbare Interessenlage eine analoge Anwendung auf den Ungehorsamsarrest.
§ 26 Abs. 3 S. 3 JGG ist gemeinsam mit § 16a JGG durch das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten vom 04.09.2012 (BGBl. I S. 1854) eingeführt worden. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte mit der Anrechnung, bei der nur auf den neuen § 16a JGG abgestellt wurde, Bedenken im Hinblick auf eine Doppelbestrafung oder Überschreitung des Schuldmaßes durch den Jugendarrest neben der Jugendstrafe entgegengetreten werden (BT-Drs. 17/9389, S. 14). Zwar stellt der Ungehorsamsarrest keine Strafe für die Tat dar, sondern dient der Durchsetzung der richterlichen Weisung (BVerfG, NJW 1989, 2529), doch geht er mittelbar auf die Tat zurück. Der Vergleich zu § 52a JGG stützt dies. Danach sind Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung, die der Angeklagte aus Anlass einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, erlitten hat, auf die Jugendstrafe anzurechnen, soweit nicht erzieherische Gründe entgegenstehen. Der „Anlass“ wird dabei weit verstanden (vgl. BVerfG, NStZ 2000, 277, 278; Eisenberg/Kölbel, JGG, 22. Aufl. 2021, JGG § 52a Rn. 5, § 52 Rn. 8 f.).
Die Nichtanrechnung des Ungehorsamsarrestes könnte im Einzelfall wie beim ebenso bis zu vierwöchigen Warnschussarrest zu einer übermäßigen Gesamtsanktionierung führen. Vor dem Hintergrund des dem Jugendstrafrecht zugrunde liegenden Erziehungsgedankens (§ 2 Abs. 1 S. 2 JGG) und des darin wurzelnden Einheitsprinzips (dazu Eisenberg/Kölbel, JGG, 22. Aufl. 2021, JGG § 31 Rn. 3), das auch den Ungehorsamsarrest erfasst (BGH, Beschl. v. 26.5.2009 – 3 StR 177/09, BeckRS 2009, 15992 Rn. 2) erscheint die Anrechnung des Ungehorsamsarrestes auf die Jugendstrafe in der Regel geboten. Erzieherische Gründe, die es analog § 52a S. 2 JGG ausnahmsweise rechtfertigen könnten, von der Anrechnung abzusehen, sind vorliegend nicht gegeben.“