OWi III: Verwerfungsurteil und Verfahrensrüge, oder: Ätsch-Effekt bzw. „Schaut her, wie schlau wir sind.“

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Und dann noch die dritte Entscheidung, der OLG Koblenz, Beschl. v. 27.04.2021 – 3 OWi 6 SsBs 59/21. Gegenstand der Entscheidung ist eine Rechtsbeschwerde gegen ein gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenes Verwerfungsurteil. Das AG hat den Einspruch verworfen, da der nicht entbundene Betroffene in der Hauptverhandlung nicht erschienen war. Das AG hatte aber dabei nicht dazu Stellung genommen, dass der Verteidiger noch am Tag der Hauptverhandlung, die für 13.00 Uhr terminiert war, mit um 10:07 Uhr eingegangenem Schreiben durch eine Büroangestellte des Verteidigers in dessen Auftrag um Aufhebung des Termins ersucht hatte, weil der Verteidiger erkrankt sei. Das Schreiben hatte den zuständigen Richter erst im Nachgang zur Hauptverhandlung erreicht.

Das OLG sieht die Rechtsbeschwerde als unbegründet an, weil die Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet sei. Dazu führt es aus:

„Gleichwohl dringt der Betroffene mit diesem Einwand nicht durch. Denn eine gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhobene Verfahrensrüge setzt voraus, dass der zugrundeliegende Tatsachenvorgang vollständig und lückenlos vorgetragen wird (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. 5 StR 98/94 v. 26.07.1994 – Rn. 103 n. juris).

Hierzu gehört auch, dass keine dem Beschwerdeführer nachteilige Sachen verschwiegen werden dürfen (BGH, Beschl. 4 StR 234/13 v. 27.08.2013 – juris). Ferner ist die Darlegung der Tatsachen erforderlich, aufgrund derer die Beruhensfrage vom Rechtsbeschwerdegericht geprüft werden kann (BGH, Urt. 4 StR 604/05 v. 20.04.2006 – NStZ-RR 2007, 52 <53>).

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt ausgeführt:

„Es fehlen jedoch jegliche Ausführungen dazu, warum der Betroffene trotz der ausdrücklichen Anordnung seines persönlichen Erscheinens dem Termin ferngeblieben ist. Ein Betroffener hat gem. § 228 Abs. 2 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG keinen Anspruch darauf, im Falle der Verhinderung des Verteidigers die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Das Ausbleiben des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin könnte zwar gem. § 74 Abs. 2 StPO dann als entschuldigt anzusehen sein, wenn es auf einer Information des Verteidigers beruhte, dass ein Termin nicht stattfinde (vgl. KG, Beschluss vom 09.05.2012 – 3 Ws (B) 260/12162 Ss 81/12 m.w.N.). Dies ist aber nicht vorgetragen. Insofern ist der konkrete Fall nicht mit der bisherigen Senatsrechtsprechung vergleichbar, in der das Ausbleiben des Betroffenen auf einer Mitteilung seines Verteidigers gründete und daher zu Unrecht der Einspruch als unzulässig verworfen worden war (OLG Koblenz, Beschluss vom 10. September 2009 – 2 SsRs 54/09 –, juris). Es fehlt vielmehr jeglicher Sachvortrag dazu, warum der Betroffene dem Termin unentschuldigt fernblieb und ob es zur Frage der etwaigen Aufhebung des Termins eine irgendwie geartete Kommunikation zwischen dem Betroffenen, dem Verteidiger oder dessen Büro gab. Dies aufzuklären, ist dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt.“

Dem tritt die Einzelrichterin des Senats nach eigener Prüfung im Ergebnis bei, wobei ergänzend wie folgt ausgeführt wird: Die Verwerfung erfolgte wegen der Abwesenheit des Betroffenen, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war. Die Beschwerdebegründung geht indes nur auf die Verhinderung des Verteidigers ein (mag diese auch nach dem Vorgesagten einen Grund für ein entschuldigtes Ausbleiben des Betroffenen bilden können), unterschlägt jedoch den Grund für das Ausbleiben des Betroffenen selbst, dem vielfache Ursachen wie beispielsweise ein Versäumnis, Unlust oder auch Zweifel an den Erfolgsaussichten und der Sinnhaftigkeit des Verfahrens zugrunde liegen können. Das Vorbringen verhält sich insofern auch nicht zur Ursächlichkeit der Verhinderung des Verteidigers für das Ausbleiben des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin. Es ist danach nicht einmal ersichtlich, ob dem Betroffenen die Verhinderung des Verteidigers überhaupt bekannt war. Der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, dass der Betroffene tatsächlich aufgrund der Verhinderung des Verteidigers der Hauptverhandlung fernblieb. Hierzu hätte aber vorgetragen werden müssen, andernfalls ist dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Beruhensfrage nicht ermöglicht. Es hätte vorgetragen werden müssen, dass sich die zur Entschuldigung des Verteidigers vorgetragenen Gesichtspunkte auf das Nichterscheinen des Betroffenen ausgewirkt haben (vgl. KG Berlin, Beschl. 3 Ws (B) 324/11 2 Ss 171/11 v. 27.06.2011). Allein auf Grundlage des Beschwerdevorbringens verbleiben vorliegend Fallkonstellationen als denkbar, in denen das Ausbleiben des Betroffenen (selbst)verschuldet war, ihm billigerweise deshalb ein Vorwurf zu machen ist, seine Verteidigungsinteressen nicht überwiegen und ein Beruhen denklogisch ausgeschlossen ist. Die Rüge ist daher nicht zulässig erhoben.

Davon zu trennen ist die Frage, ob der Betroffene bei kurzfristiger Verhinderung des Verteidigers eine eigene Entschuldigung vorbringen muss, bevor er im Termin der Hauptverhandlung ausbleibt. Soweit dies vom Brandenburgischen Oberlandesgericht verneint und daraus gefolgert wurde, dass das Verwerfungsurteil (zwingend) aufzuheben sei (Beschl. 1 Ss (OWi) 82 B/05 v. 30.05.2005 – Rn. 16 n. juris m.w.N.), lag indes der Fall zugrunde, dass der Betroffene um die kurzfristige Verhinderung des Verteidigers wusste und hierzu in der Rechtsbeschwerde ausreichend vorgetragen hat. Fehlt es dagegen, wie in der hiesigen Rechtsbeschwerde, an Informationen zur Kenntnis des Betroffenen von den Umständen, die sein Ausbleiben entschuldigen (können), bleibt im Raum stehen, dass er (subjektiv) nicht entschuldigt war. Dass in letzterem Fall trotz der Verhinderung des Verteidigers ein Verwerfungsurteil ergehen kann und der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt ist, liegt auf der Hand. Der Umfang des erforderlichen – vollständigen – Vorbringens in der Rechtsbeschwerde ist insofern gegenüber den Tatsachen, die bereits genügen, um dem Tatrichter im Bußgeldverfahren zu einer weitergehenden Prüfung im Rahmen des Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG zu veranlassen, erhöht, was bereits daraus folgt, dass im Rahmen der Prüfung einer genügenden Entschuldigung i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG ein bloßer „Anhalt“ genügt, in der Rechtsbeschwerde aber vollständig vorzutragen ist.“

In meinen Augen eine dieser „Herr Lehrer, „Ich weiß was“-Entscheidungen“ oder: Schaut her, wie schlau wir sind. Denn warum muss man im Einzelnen darlegen und ausführen, was das AG alles bei der Begründung seiner Verwerfung falsch oder nicht gemacht hat, wenn es darauf nicht ankommt? Das erweckt bei mir immer auch den Eindruck eines Ätsch-Effekts. Muss m.E. nicht sein. Denn die Fragen kann man ja getrost dahinstehen lassen. Es sei denn …..

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