Verfahrensrüge II: I.d.R. gibt es keine Nachholung von Verfahrensrügen, oder: Verteidigungskünstler?

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Die zweite Entscheidung behandelt auch einen revisionsrechtlichen Dauerbrenner, nämlich die Frage der Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrüge.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf u.a. Verfahrensrügen gestützten Revision. Nach Zustellung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hat der Angeklagte zur Heilung der Mängel einer Verfahrensrüge die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt. Der Antrag hatte im BGH, Beschl. v. 04.03.2021 – 4 StR 209/20 – keinen Erfolg.

„Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.

a) Der Angeklagte hat die Revision fristgerecht mit der Sachrüge und drei Verfahrensrügen begründet. Mit der Verfahrensrüge B.I der Revisionsbegründung hat er die rechtsfehlerhafte Behandlung eines Beweisantrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zur Glaubhaftigkeit der Aussage einer Opferzeugin beanstandet. Nachdem der Angeklagte in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts darauf hingewiesen worden war, dass der Beweisantrag nicht vollständig vorgetragen wurde, hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und den Beweisantrag nachgereicht.

Eine Wiedereinsetzung zur Ergänzung der Verfahrensrüge kommt nicht in Betracht.

Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln hinsichtlich fristgemäß erhobener Verfahrensrügen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2019 – 1 StR 91/18 und vom 13. Oktober 2020 – 5 StR 344/20). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Ergänzung einer Verfahrensrüge kommt deshalb nur in besonderen Prozesssituationen in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2016 – 4 StR 63/16 und vom 11. April 2019 ? 1 StR 91/18 mwN). Das kann der Fall sein, wenn die entsprechende Verfahrensrüge ohne Kenntnis der Akten nicht begründet werden kann und dem Verteidiger des Beschwerdeführers bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist trotz mehrfacher Mahnung Akteneinsicht nicht gewährt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 1985 – 4 StR 214/85).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es sich bei dem in der Revisionsbegründung unzutreffend vorgetragenen Aktenbestandteil um einen vom Angeklagten selbst in der Hauptverhandlung vom 11. Oktober 2019 gestellten Beweisantrag handelt.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist darüber hinaus deshalb unzulässig, weil die Wochenfrist gemäß 45 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht eingehalten ist. Mit Zustellung der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft am 27. Februar 2020 war der Verteidigerin der Zulässigkeitsmangel der Rüge bekannt. Gleichwohl hat sie erst am 10. März 2020 an das Akteneinsichtsgesuch erinnert und am 30. April 2020 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zudem verhält sich der Wiedereinsetzungsantrag nicht dazu, wann der Angeklagte Kenntnis von der unzureichenden Begründung der Verfahrensrüge erlangt hat (§ 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO).“

Wie oft muss der BGH es eigentlich noch schreiben, dass die Wiedereinsetzung kein Mittel ist, um Fehler einer Verfahrensrüge nach Ablauf der Begründungsfrist zu beheben. Die Wiedereinsetzung zur Nachholung einer Verfahrensrüge gibt es nur in Ausnahmefällen und das ist keiner. Manchmal habe ich den Eindruck, dass solche Anträge nach dem Mottel gestellt werden: „Man kann es ja mal versuchen.“

Wenn man es dann aber versucht, dann sollte man zumindest einen im Übrigen zulässigen Wiedereinsetzungsantrag auf die Reihe bekommen. Auch das ist hier nicht gelungen. Scheint ein „Verteidigungskünstler“ gewesen zu sein.

 

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