Im Jahr 2017 ist die Regelung des § 315d StGB – das verbotene Kraftfahrzeugrennen – in das StGB eingefügt worden. Seitdem haben einige OLG und auch LG sich mit der Neuregelung, die in der Anwendung, vor allem bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, nicht ganz einfach ist, befasst. Bisher gab es aber noch keine Entscheidung des BGH. Nun liegt aber der erste BGH-Beschluss zu der Vorschrift vor. Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 4 StR 225/20 – zu den Fragen/der Auslegung der Regelung Stellung genommen.
Es handelt sich um den sog. Stuttgarter Raser-Fall, der damit seinen Abschluss gefunden hat. Wegen des Sachverhalts verweise ich, da der etwas kompliziert ist, auf den BGH-Beschluss. Zur Auslegung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB führt der BGH aus:
„1. Der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangenen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge gemäß § 315d Abs. 5 StGB ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht und weiter die einen vorsätzlichen konkreten Gefahrenerfolg voraussetzende Qualifikationsnorm des § 315d Abs. 2 StGB sowie die daran anknüpfende Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB erfüllt.
a) Die Tatbestandsalternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist erst im Zuge der Gesetzesberatungen in die zur Pönalisierung verbotener Kraftfahrzeug-rennen neu geschaffene Strafvorschrift des § 315d StGB eingefügt worden. Der Gesetzgeber wollte neben den Rennen mit mehreren Kraftfahrzeugen auch Fälle des schnellen Fahrens mit nur einem einzigen Kraftfahrzeug strafrechtlich erfassen, die über den Kreis alltäglich vorkommender, wenn auch erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitungen hinausragen, weil der Täter mit einem Kraftfahrzeug in objektiver und subjektiver Hinsicht ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt (vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz [6. Ausschuss], BT-Drucks. 18/12964, S. 5 f.). Nach der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Begehungsalternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer im Straßenverkehr sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
aa) Objektive Tathandlung ist das Sich-Fortbewegen als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit. Mit dem Erfordernis der nicht angepassten Geschwindigkeit hat sich der Gesetzgeber begrifflich an die straßenverkehrsrechtliche Regelung in § 3 Abs. 1 StVO angelehnt, ohne indes gesetzestechnisch auf diese Norm zu verweisen. Das Merkmal der unangepassten Geschwindigkeit ist daher ähnlich wie die Begriffe der Vorfahrt und des Überholens in § 315c Abs. 1 Nr. 2a und b StGB (vgl. zum Überholen BGH, Beschluss vom 15. September 2016 ? 4 StR 90/16, BGHSt 61, 249 Rn. 8; zum sogenannten erweiterten Vorfahrtsbegriff BGH, Beschluss vom 5. Februar 1958 ? 4 StR 704/57, BGHSt 11, 219; vgl. Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl., § 315c Rn. 15 f. mwN) maßgeblich durch Auslegung des Regelungsgehalts der Strafnorm zu bestimmen. Ausgehend von der Wortbedeutung meint unangepasste Geschwindigkeit jede der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechende Geschwindigkeit. Tatbestandlich erfasst werden danach im Einklang mit den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 18/12964, S. 5) nicht nur Verstöße gegen die Gebote des § 3 Abs. 1 StVO, sondern auch Überschreitungen der in § 3 Abs. 3 StVO geregelten allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten (vgl. König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315d Rn. 24; Zieschang, NZV 2020, 489, 490).
bb) Der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt weiter ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten des Täters voraus. Damit knüpft die Vorschrift ausweislich des Ausschussberichts (vgl. BT-Drucks. 18/12964, aaO) an die Umschreibung des strafbaren Verhaltens in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB an, so dass für das inhaltliche Verständnis dieser einschränkenden Tatbestandsmerkmale auf die zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ergangene Judikatur zurückgegriffen werden kann (vgl. König, aaO, § 315c Rn. 131 ff. mwN). Ungeachtet der durch die Verwendung des Verbindungswortes „und“ von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB abweichenden Formulierung der Vorschrift beziehen sich die Merkmale grob verkehrswidrig und rücksichtslos ? wie bei der Strafnorm des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ? auf die objektive Tathandlung, mithin auf das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit (vgl. König, aaO, § 315d Rn. 25; Preuß, NZV 2018, 537, 539; Kusche, NZV 2017, 414, 417). Hierfür spricht sowohl der Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch der im Ausschussbericht ausdrücklich enthaltene Hinweis auf die Strafnorm des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Für die Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist daher, dass sich gerade die Fortbewegung des Täters mit nicht angepasster Geschwindigkeit als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt. Dabei kann sich die grobe Verkehrswidrigkeit allein aus der besonderen Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes (vgl. König, aaO, § 315d Rn. 26 und § 315c Rn. 135 mwN) oder aus begleitenden anderweitigen Verkehrsverstößen ergeben, die in einem inneren Zusammenhang mit der nicht angepassten Geschwindigkeit stehen.
cc) Das grob verkehrswidrige und rücksichtslose Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit muss, um den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu erfüllen, ferner im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht getragen sein, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Neben den einschränkenden Merkmalen der groben Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit kommt nach den im Ausschussbericht verlautbarten Intentionen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 18/12964, S. 6) gerade dem Absichtselement die Aufgabe zu, den für das Nachstellen eines Rennens mit einem Fahrzeug kennzeichnenden Renncharakter tatbestandlich umzusetzen und das nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbare Verhalten von den alltäglich vorkommenden, auch erheblichen Geschwindigkeitsverletzungen abzugrenzen. Wie die verschiedenen in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Parameter zur Bestimmung der höchstmöglichen Geschwindigkeit erkennen lassen (vgl. BT-Drucks. 18/12964, S. 5 f.), muss die nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbarkeitsbegründende Absicht darauf gerichtet sein, die nach den Vorstellungen des Täters unter den konkreten situativen Gegebenheiten ? wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. ? maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2020, 224, 226; KG, DAR 2020, 149, 151; OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787; Zieschang, NZV 2020, 489, 491 f.; Zopfs, DAR 2020, 9, 11; Jansen, NZV 2019, 285, 286). Da der Gesetzgeber mit dem Absichtserfordernis dem für das Nachstellen eines Rennens kennzeichnenden Renncharakter Ausdruck verleihen wollte, ist für das Absichtsmerkmal weiterhin zu verlangen, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke bezieht. Während die abstrakte Gefährlichkeit für das Rechtsgut der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs (vgl. König, aaO, § 315d Rn. 3) bei Rennen mit mehreren Kraftfahrzeugen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB maßgeblich aus dem Wettbewerb unter den Teilnehmern resultiert, ergibt sie sich in den Fällen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aus dem unbedingten Willen des Täters, sein Fahrzeug bis zur relativen Grenzgeschwindigkeit zu beschleunigen.
dd) Die Absicht des Täters, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die nach den situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns sein. Es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen (vgl. OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787, 2788; König, aaO, § 315d Rn. 29; Ernemann, aaO, § 315d Rn. 15; Zieschang, NZV 2020, 489, 493; Zopfs, DAR 2020, 9, 11; Jansen, NZV 2019, 285, 287 f.). Dieses Verständnis steht im Einklang mit dem Wortlaut der Norm, der für eine einschränkende Auslegung des Absichtserfordernisses keinen Anhalt bietet, und entspricht der herkömmlichen Interpretation der Vorsatzform des dolus directus 1. Grades (vgl. Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 66 mwN; Momsen in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl., § 15 Rn. 41), wie etwa bei § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB (vgl. Ernemann, aaO, § 315 Rn. 16 mwN). Da die erforderliche Abgrenzung des als Nachstellen eines Kraftfahrzeugrennens mit einem Fahrzeug tatbestandlich erfassten Verhaltens von alltäglichen, wenn auch erheblichen Geschwindigkeitsverstößen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere durch das in die Strafvorschrift aufgenommene Absichtserfordernis gewährleistet wird, ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm keine Rechtfertigung für eine einschränkende Auslegung des subjektiven Tatbestandsmerkmals.
Dieses Verständnis des Absichtsmerkmals in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hat zur Folge, dass beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2020, 224; OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787) von der Strafvorschrift erfasst werden, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei wird allerdings zu beachten sein, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern (vgl. Jansen, NZV 2019, 285, 288).
b) Die Bedenken, die in der Rechtsprechung vereinzelt unter Hinweis auf das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erhoben worden sind (vgl. AG Villingen-Schwenningen, DAR 2020, 218), teilt der Senat nicht. Die obigen Ausführungen zeigen vielmehr, dass die Norm mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden in einer dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht werdenden Weise ausgelegt werden kann.
c) Von dem dargelegten Auslegungsergebnis ausgehend hat der Angeklagte nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht. Indem er die innerorts gelegene R. straße mit einer Geschwindigkeit von bis zu 163 km/h entlangfuhr, bewegte er sich als Kraftfahrzeugführer mit unangepasster Geschwindigkeit fort. Sein Tun stellte sich schon angesichts der massiven Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h als grob verkehrswidrig dar. Nach den Urteilsausführungen handelte der Angeklagte aus eigensüchtigen Motiven unter bewusster Hinwegsetzung über die berechtigten Belange anderer Verkehrsteilnehmer, mithin rücksichtslos. Schließlich hat das Landgericht festgestellt, dass die unter maximaler Beschleunigung unternommene Fahrt des Angeklagten von der Absicht getragen war, nach seinen Vorstellungen über eine längere Fahrtstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Die dieser Feststellung zugrundeliegende Schlussfolgerung des Tatrichters, die maßgeblich auf eine Auswertung der im Crashdatenspeicher des Tatfahrzeugs aufgezeichneten Daten insbesondere zur Geschwindigkeit und zur Benutzung des Gaspedals gestützt ist, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Dass der Angeklagte unmittelbar vor der Kollision bremste, um seine Geschwindigkeit etwas zu verringern, ist entgegen der Ansicht des Verteidigers in der Gegenerklärung angesichts der zuvor bereits eingetretenen vollständigen Erfüllung des Tatbestands des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung.
d) Der Angeklagte hat zudem den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB und die daran anknüpfende Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB erfüllt. Mit seiner Tathandlung nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB schuf der Angeklagte eine nach den Feststellungen der Strafkammer von seinem Vorsatz umfasste konkrete Gefahrenlage für die Tatopfer, die sich für den Angeklagten vorhersehbar in deren Tod verwirklichte. Der jeweils erforderliche Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen Tathandlung gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, Gefahrenerfolg nach § 315d Abs. 2 StGB und qualifizierender Folge nach § 315d Abs. 5 StGB (vgl. König, aaO, § 315d Rn. 36 und 40; BT-Drucks. 18/12964, S. 6) wird durch die wenige Sekunden vor der Kollision vom Angeklagten eingeleitete Bremsung des Tatfahrzeugs nicht in Frage gestellt.“
Der BGH hat das Rad nicht neu erfunden, sondern die vorliegende Rechtsprechung der OLG, über die ich hier ja auch jeweils berichtet habe, „schön“ zusammengefasst. Und die Frage der Polizeiflucht hat er auch gleich in einem obiter dictum „entschieden“. Kommt natürlich in BGHSt 🙂 .