StGB I: Gebrauch des „Judensterns“, oder: „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“, „Islamophob“

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Heute dann mal StGB-Entscheidungen, und dabei zumindest eine, die nicht die „üblichen verdächtigen“ StGB-Vorschriften zum Gegenstand hat.

Ich starte mit dem OLG Saarbrücken, Urt. v. 08.03.2021 – Ss 72/2020 (2/21) – zur Frage der Strafbarkeit der Verwendung des sog. „Judensterns“ unter Ersetzung des Worts „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil als Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB.

Das AG hatte die Angeklagte frei geprochen. Zu den persönlichen Verhältnissen hatte das AG festegestellt;

„Die pp. Jahre alte Angeklagte ist in Teheran geboren. Im jugendlichen Alter floh sie mit ihrer Mutter aus dem Iran. Sie besitzt neben der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Etwa seit dem Jahr 2015 betätigt sie sich politisch in Deutschland und arbeitet in der Stadtratsfraktion der AfD in pp.“.

Zur Last gelegt worden war ihr folgenden Sachverhalt:

Im Oktober 2019 veröffentlichte die Angeklagte von ihrem Wohnort aus auf ihrem Facebook-Profil einen für jedermann sichtbaren, aus einem Text und einem Bild bestehen Beitrag.

Der Text lautete:

„Während einer schlaflosen Nacht sah ich eine Reportage über das grosse Feuer von London.
Hilflos und am Ende ihrer Kräfte zog der wütende Mob durch die Gassen und suchte DEN Schuldigen.
Eine Frau, so wurde erzählt, trug ihre gelben Kücken in ihrer zusammen gefalteten Schürze, oder Rock und versuchte das Wenige was sie hatte, vor dem Feuer zu retten.
In der festen Überzeugung den Verursacher gefunden zu haben, sollen sie ihr die Brüste abgeschnitten und sie bestialisch ermordet haben, hielt man doch die gelben Küken in der Dunkelheit der Nacht für Feuerbälle.“
Unter diesem Text postete die Angeklagte ein Bild, auf dem vier Mal der von Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu tragende „Judenstern“ abgebildet war, wobei allerdings die damals eingefügte Inschrift „Jude“ jeweils durch die folgenden, in gleicher Schriftart dargestellten Wörter ersetzt war: „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“.

Die Angeklagte wollte hierdurch darauf aufmerksam machen, dass die Genannten heute genauso ausgegrenzt würden wie die Juden im „Dritten Reich“.

Dieser Beitrag wurde entweder bei Facebook oder auf der Webseite der Gruppe „#dieinsider“ von Nutzern kritisch kommentiert.“

Das OLG hat die Sprungrevision der StA verworfen:

„3. Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat die Angeklagte den ihr zur Last gelegten Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB bereits in objektiver Hinsicht nicht begangen. Auf die von der Generalstaatsanwaltschaft gegen die Verneinung auch der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erhobenen Einwendungen kommt es daher nicht an.

Das Amtsgericht hat jedenfalls die Eignung der festgestellten Äußerung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens, die in der hier allenfalls vorliegenden Tatbestandsvariante des Verharmlosens – anders als in den Fällen der Billigung und der Leugnung, in denen die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist – eigens festzustellen ist (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861 ff. – juris Rn. 23; OLG Celle, Beschl. v. 16.08.2019 – 2 Ss 55/19, juris Rn. 39), entgegen der Auffassung der Revision mit Recht verneint.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat in dem vom Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil in Bezug genommenen Kammerbeschluss vom 22.06.2018 (1 BvR 2083/15, NJW 2018, 2861 ff. und juris) im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) einschränkende Anforderungen für das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens aufgestellt. Danach ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt, nicht tragfähig (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 26). Ebenso wenig ist der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ oder der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte ein Eingriffsgrund (vgl. BVerfG, a. a. O.). Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 27). Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, a. a. O.; ebenso OLG Celle, a. a. O., juris Rn. 40; LK-StGB/Krauß, 13. Aufl., § 130 Rn. 138). Ob dies der Fall ist, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen (vgl. LK-StGB/Krauß, a. a. O., § 130 Rn 77), bei der insbesondere die Art, der Inhalt, die Form und das Umfeld der Äußerung zu berücksichtigen sind, aber auch – je nach den Umständen des Einzelfalls – die Stimmungslage in der Bevölkerung und die politische Situation eine Rolle spielen können (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 130 Rn. 13a, 32; LK-StGB/Krauß, a. a. O., § 130 Rn. 77, 138).

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben hat das Amtsgericht die Eignung der Äußerung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei verneint.

aaa) Das Amtsgericht hat unter Berücksichtigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der Äußerung mit einer nicht zu beanstandenden Begründung angenommen, dass die Äußerung ausgehend von dem Inhalt des veröffentlichten Textes unter Einbeziehung der verwendeten „Judensterne“, des Mediums, über das die Veröffentlichung erfolgte, sowie der vor allem auch kritischen Reaktion des von der Angeklagten angesprochenen Publikums gerade nicht darauf gerichtet gewesen sei, zu etwaigen Gewalttaten anzustacheln, zu sonstigem Rechtsbruch aufzufordern oder die Hemmschwelle zur Begehung von Handlungen mit rechtsgutgefährdenden Folgen herabzusetzen.

bbb) Die Schwelle einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne der Infragestellung der Friedlichkeit der Auseinandersetzung – etwa durch die Verherrlichung von Gewalt, die Hetze auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder eine aggressiv emotionalisierende Präsentation – wird daher nicht erreicht. Dass die Angeklagte den „Judenstern“, also eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (vgl. https: //de.wikipedia.org/wiki/Judenstern) und somit ein Symbol für diesen, für ihre Kritik an der Art und Weise des gesellschaftskritischen Umgangs mit Impfgegnern, AfD-Wählern, SUV-Fahrern und Islamkritikern instrumentalisiert hat, begründet für sich allein noch keine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens.

ccc) Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind nämlich nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr selbst offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861 ff., juris Rn. 29). Das besagt nicht, dass derartige Äußerungen als inhaltlich akzeptabel mit Gleichgültigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 30), wie dies im vorliegenden Fall nach den in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen auch geschehen ist. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen (vgl. BVerfG, a. a. O.). Das ist hier nach den getroffenen Feststellungen nicht der Fall.

ddd) Soweit die Staatsanwaltschaft und – ihr folgend – die Generalstaatsanwaltschaft bei der Prüfung der Eignung der Äußerung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens durch das Amtsgericht eine Würdigung der Stimmungslage der Bevölkerung und der politischen Situation – angeführt werden insoweit eine spätestens seit Ende des Jahres 2015 in hohem Maße durch das Schüren von rassistischen und antisemitischen Ressentiments, die insbesondere auch durch die AfD verbreitet würden, geprägte gesamtgesellschaftliche Stimmungslage sowie die in den vergangenen Jahren zu beobachtende Entwicklung der Internetplattform Facebook zu einem Hort der verbalisierten Hasskriminalität – vermissen, verhilft dies der Revision schon deshalb nicht zum Erfolg, weil die Berücksichtigung dieser Umstände lediglich – wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft auszugehen scheint – dazu führen könnte, in der Äußerung der Angeklagten einen weiteren Beitrag zur Vergiftung des politischen Klimas zu sehen, nicht aber dazu, ihr einen unfriedlichen Charakter zu verleihen. Soweit darüber hinaus die Staatsanwaltschaft mit näheren Ausführungen auf „eine gewisse kommunalpolitische Relevanz“ der Angeklagten und die Generalstaatsanwaltschaft darauf abstellt, dass die Angeklagte „Mitglied und Mandatsträgerin“ der AfD sei, verkennen sie, dass Grundlagen der revisionsrechtlichen Nachprüfung auf die Sachrüge hin allein die Urteilsurkunde und die Abbildungen, auf die in dieser nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen worden ist, sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 337 Rn. 22 m. w. N.). Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich insoweit indes lediglich, dass die Angeklagte „in der Stadtratsfraktion der AfD in S.“ arbeitet.

b) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft unterliegt das angefochtene Urteil auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Amtsgericht dadurch, dass es nicht geprüft hat, ob – was erstmals von der Generalstaatsanwaltschaft mit deren Zuschrift vom 7. Januar 2021 geltend gemacht wird – sich „die Angeklagte durch ihre Veröffentlichung auf Facebook eines Vergehens der Beleidigung gemäß § 185 StGB zum Nachteil der jüdischen Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland strafbar gemacht hat“, seiner Kognitionspflicht nicht nachgekommen sei.

…..“

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