In die 50 KW. starte ich heute mit zwei AG-Entscheidungen zur Zustellungsfragen.
Den Opener mache ich mit dem AG Neuruppin, Beschl. v. 24.11.2020 – 82.1 E OWI 178/20 -, den mir der Kollege Uschkureit aus Berlin geschickt hatte. Das AG Neuruppin äußert sich zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung.
Das AG geht von folgendem Sachverhalt aus:
Die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg erließ am 03.09.2020 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid, mit welchem sie wegen einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf der Bundsautobahn 24, Höhe AD Wittstock/Dosse in Fahrtrichtung Hamburg ein Bußgeld i. H. v. 220,00 Euro verhängte. Der Bußgeldbescheid wurde in einen zur Adresse pp. 15806 Zossen“ gehörenden Briefkasten eingeworfen. Die Zustellungsurkunde datiert auf den 07.09.2020.
Mit Schreiben vorn 06.10.2020 legte der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und teilte der Bußgeldstelle den verantwortlichen Fahrer mit. Zur Begründung seiner verspäteten Rückmeldung führte er aus, dass an ihn gerichtete Post trotz der Einrichtung eines Postfachs in Zossen wiederholt unter der Anschrift pp. zugestellt würde, wenngleich ein Briefkasten mit seinem Namen dort nicht existiere. Der Verteidiger des Betroffenen legte mit Schriftsatz vom 07.10.2020 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darin führte er aus, dass der Betroffene unter der Anschrift pp. einen KFZ-Zulassungsdienst betreibe, allerdings keinen Briefkasten unterhalte, sondern ein Postfach eingerichtet habe, um die in der Vergangenheit bereits mehrfach fehlgeschlagene Zustellung der für den Betrieb bestimmten Post zu gewährleisten. Kenntnis vom Bußgeldbescheid habe sein Mandant durch die telefonische Benachrichtigung eines dort ansässigen Reifenhändlers, Herrn pp., erhalten, der unter seiner Post auch den an den Betroffenen gerichteten Bußgeldbescheid gefunden habe. Zur Glaubhaftmachung seines Vorbringens überreichte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 13.10.2020 eine Kopie des Schreibens des Kundenservice der Deutschen Post, mit welchem dieser die Einrichtung des Postfachs bestätigte, sowie eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen pp, der in Kenntnis der Strafbarkeit der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung bestätigte, am 06.10.2020 in seiner Post zwei, in gelben Briefumschlägen befindliche Schreiben der Zentralen Bußgeldstelle des Landes Brandenburg gefunden zu haben, unter denen sich auch der hier gegenständliche Bußgeldbescheid befand.
Mit Bescheid vorn 15.10.2020 hat die Bußgeldstelle den Einspruch des Betroffenen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig, weil verfristet verworfen. Laut Auskunft des Postzustellers sei der Briefkasten am Tag der Zustellung mit dem Namen des Betroffenen beschriftet gewesen. Der Verwerfungsbescheid wurde dem Betroffenen am 17.10.2020 zugestellt.
Hiergegen hat der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 20.10.2020, eingegangen bei der Behörde am selben Tag, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt mit dem Inhalt, dass das Gericht die Rechtzeitigkeit des Einspruchs feststellen, hilfsweise dem Betroffenen hinsichtlich der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren möge. Zur Begründung führt der Verteidiger aus, der Einspruch habe dem Betroffenen unter der in der Zustellungsurkunde angegebenen Anschrift nicht wirksam zugestellt werden können, da er dort lediglich seinen Geschäfts-, nicht hingegen seinen Wohnsitz unterhalten habe. Gemeldet sei er ausweislich der Meldeauskunft seit dem 01.08.2019 unter der Anschrift pp. 12529 Schönefeld“. Eine Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten sei von vornherein unter der Geschäftsanschrift nicht möglich gewesen, weil sich jedenfalls ein (vorrangiger) Versuch der persönlichen Zustellung aus der Zustellungsurkunde nicht ergebe. Zudem sei diese auch deshalb nicht möglich gewesen, da sich bereits zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs der Name des vom Betroffenen unterhaltenen Zulassungsbetriebs nicht mehr am Briefkasten befunden habe.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg:
„….. Eine wirksame Ersatzzustellung des Bußgeldbescheids am 07.09.2020, die die Einspruchsfrist hätte in Gang setzen können, ist nicht erfolgt.
Die Zustellungsurkunde, deren Beweiskraft sich gemäß § 182 Abs. 2 Nr. 4 ZPO im Falle der Ersatzzustellung durch Einlegung i.S.v. § 180 ZPO auch und gerade darauf erstreckt, dass die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 (oder Nr. 2) ZPO nicht ausführbar gewesen ist, der Zusteller also unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer (vorrangigen) Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen und daher das Schriftstück in einen zu der Wohnung (oder dem Geschäftsraum) gehörenden Briefkasten (oder in eine ähnliche Vorrichtung) eingelegt hat (Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 182 Rn. 8, 14), wurde durch das Vorbringen des Betroffenen entkräftet. Es kann dabei offenbleiben, ob der Zustellungsurkunde aufgrund der Lückenhaftigkeit überhaupt die im Normalfall von ihr ausgehende volle Beweiskraft zukommt. Denn der Betroffene hat zur Überzeugung des Gerichts den Gegenbeweis über die Unrichtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen erbracht und die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet.
Zum einen handelt es sich gerade nicht — wie in der Postzustellungsurkunde angekreuzt — um die Wohnung des Betroffenen. Die beurkundete Tatsache ist objektiv falsch. Dass sich unter der Anschrift pp. kein Wohnhaus, sondern ein Gelände mit Gewerbebetrieben befindet, ist offensichtlich und hätte auch dem Zusteller nicht verborgen bleiben können. Zudem war der Betroffene nachweislich unter einer anderen Anschrift gemeldet, so dass es für die Behörde mit zumutbarem Aufwand möglich gewesen wäre, die Zustellung bzw. die Ersatzzustellung unter der tatsächlichen Wohnanschrift zu bewirken. Die ersatzweise Zustellung eines Bußgeldbescheides in den zur Wohnung eines Betroffenen gehörenden Briefkasten ist nur wirksam, wenn der Adressat unter der Zustellungsadresse auch tatsächlich wohnt, d.h. dort seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat. Dies war hier gerade nicht der Fall.
Zum anderen hat der Betroffene glaubhaft und plausibel dargestellt, dass eine Ersatzzustellung schon deshalb nicht möglich gewesen ist, weil sein Name sich zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs nicht mehr am Briefkasten befunden habe. Deshalb geht das Gericht davon aus, dass ein vorheriger Versuch der persönlichen Übergabe — der auch erst auf Nachfrage bestätigt und zunächst in der Urkunde nicht angekreuzt wurde — nicht stattgefunden hat, sondern der Bußgeldbescheid vielmehr in einen anderen Briefkasten, nämlich den des Herrn Abe geworfen wurde. Die in seiner eidesstattlichen Versicherung dargelegten Umstände sind plausibel und glaubhaft, insbesondere die Ausführungen dahingehend, dass es sich um zwei verschiedene Bußgelbescheide gehandelt habe.
Da der Bußgeldbescheid dem Betroffenen erst am 06.10.2020 tatsächlich zur Kenntnis gelangt ist, ist der mit selben Tag erfolgte, am 08.10.2020 bei der Zentralen Bußgeldstelle eingegangene Einspruch noch rechtzeitig erfolgt. Der vom Verteidiger gestellte Hauptantrag ist begründet, einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag bedurfte es daher nicht.“