Und die dritte und letzte Entscheidung kommt dann nicht von ganz oben = BGH, sondern von ganz unten = einem AG. Es handelt sich um den AG Düsseldorf, Beschl. v. 16.11.2020 – 150 Gs 2091/20, den mir der Kollege Schroeder aus Verlbert geschickt hatte.
Die Staatsanwaltschaft hatte die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis der Mandantin beantragt: Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) wegen Einschlafens der Beschuldigten am Steuer. Also Problematik Sekundenschlaf.
Das AG hat den Antrag mit einer interessanten Begründung zurückgewiesen:
„Es sind keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§§ 111a StPO, 69 StGB). Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Beschuldigte in zumindest fahrlässiger Verkennung eines körperlichen Mangels gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB gefahren ist. Allein die Tatsache, dass sie eingeschlafen ist, genügt dafür nicht. Vielmehr bedarf es der Feststellung, dass die Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit derart übermüdet war, dass sie jederzeit mit dem Eintritt eines Sekundenschlafs rechnen musste, was ohne ein rechtsmedizinisches Gutachten nicht wird festgestellt werden können (LG Traunstein NZV 2011, 514). Die gegenteilige Auffassung überzeugt nicht. Sie beruht auf einer Rechtsprechung des Bundesgerichtshof aus dem Jahr 1969, in der dieser entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts annahm, es gebe eine medizinische Erfahrung dahingehend, dass einem Einschlafen am Steuer stets Warnsignale vorausgehen würden, die ein aufmerksamer nicht-fahrlässig handelnder Kraftfahrer bemerken müsse und seine Fahrt dann unterbrechen müsse (BGH NJW 1970, 520). Vorläufige Entziehungen der Fahrerlaubnis im Jahr 2020 können aber nicht auf Basis einer — zudem auch noch seinerzeit umstrittenen — medizinischen Einschätzung aus dem Jahr 1969 ergehen. Gegen eine von der Beschuldigten erkennbar eintretende Müdigkeit spricht insbesondere auch die Kürze der Fahrstrecke, die Beschuldigte ist lediglich von Düsseldorf nach Ratingen gefahren. Es besteht ohne nähere medizinische Untersuchung der Beschuldigten keine hinreichende Tatsachenbasis für eine Vermutung dahingehend, dass die Beschuldigte Warnzeichen des drohenden Einschlafens auf der kurzen Strecke hätte bemerken müssen.“
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Die Kürze der Fahrstrecke als isoliertes Argument ist schon eher schwach, denn bei kurzer Dauer kommt auf den Zustand an, in dem man die Fahrt angetreten hat ( 20 Stunden wach….?.)
Und ganz so falsch scheinen die medizinischen Erkenntnisse aus der laut AG „BGH-Steinzeit“ wohl nicht zu sein, sondern durchaus einigermaßen dem Stand der Schlafforschung zu entsprechen:
https://www.adac.de/verkehr/verkehrssicherheit/verkehrsmedizin/muedigkeit-sekundenschlaf-auto/