Heute stelle ich drei StGB-Entscheidungen vor, die vom BGH stammen. Alle drei Entscheidungen haben „sexuellen Einschlag“.
Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 29.07.2020 – 4 StR 49/20. Es geht um die Weitergabe von Selfies des Opfers. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt. In Tateinheit dazu steht nach dem landgerichtlichen Urteil das Sichverschaffen einer jugendpornographischen Schrift in fünf Fällen sowie Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit öffentlichem Zugänglichmachen einer jugendpornographischen Schrift und in einem Fall in Tateinheit mit Drittbesitzverschaffung an einer jugendpornographischen Schrift, unter Einbeziehung vorangegangener Verurteilungen. Dagegen die Sachrüge des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte. Der BGh führt insoweit aus – ohne allerdings den Sachverhalt näher mitzuteilen:
„Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
Zutreffend hat das Landgericht in den Fällen der Weiterverbreitung der von den Geschädigten selbst hergestellten und dem Angeklagten überlassenen Bildaufnahmen eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB gesehen.
1. Nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich strafbar, wer eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in Nummern 1 und 2 dieser Vorschrift bezeichneten Art einem Dritten wissentlich unbefugt zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich des Abgebildeten verletzt.
Da die in Bezug genommenen Nummern 1 und 2 unter anderem voraussetzen, dass die Bildaufnahme „von einer anderen Person“ hergestellt wird, sind Selbstaufnahmen der abgebildeten Person von diesen Tatbestandsvarianten ausgeschlossen. In der Literatur ist umstritten, ob daraus zu folgern ist, dass auch bei einer Tat nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB Selbstaufnahmen der geschädigten Person als Tatobjekt ausgeschlossen sind (vgl. MüKo/Graf, StGB, 3. Aufl., § 201a Rn. 29; AK-Popp, StGB, 3. Aufl., § 201a Rn. 19) oder ob der Tatbestand auch durch die Weitergabe der von dem Aufgenommenen selbst angefertigten Bildaufnahmen erfüllt werden kann (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 201a Rn. 33; LK-Valerius, StGB, 12. Aufl., § 201a Rn. 12 [zu der bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassung der Norm]; zweifelnd SSW-StGB/Bosch, 4. Aufl., § 201a Rn. 5).
2. In der Rechtsprechung ist diese Frage – soweit ersichtlich – bisher nicht geklärt. Der Senat entscheidet sie aus den folgenden Erwägungen dahin, dass auch Selbstaufnahmen des Tatopfers von § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB erfasst sein können.
a) Der Wortlaut der Bezugnahme auf eine „Bildaufnahme der in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Art“ zwingt nicht zu der Annahme, dass sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen der in Bezug genommenen Nummern erfüllt sein müssen (aA SK/Hoyer, StGB, 9. Aufl., § 201a Rn. 37). Die Bezugnahme ist lediglich auf die „Art“ der Bildaufnahme beschränkt und deshalb dahin zu verstehen, dass sich die Tat nur auf eine dort ihrem Inhalt nach näher beschriebene Bildaufnahme als Tatobjekt beziehen muss, ohne dass es auf den Akt der Herstellung durch den Täter ankommt (LK-Valerius, StGB, 12. Aufl., § 201a Rn. 12). Auch das Erfordernis einer „befugt“ hergestellten Bildaufnahme schließt die Möglichkeit der Aufnahme durch die abgebildete Person selbst gerade nicht aus. Vom Wortlaut des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB erfasst sind danach sämtliche befugt aufgenommenen Abbildungen, die eine vom Täter verschiedene Person in einer geschützten Räumlichkeit (Nr. 1) oder in hilfloser Lage (Nr. 2) zeigen und deren höchstpersönlichen Lebensbereich betreffen.
b) Auch die Systematik der Regelungen des § 201a Abs. 1 StGB spricht gegen eine einschränkende Auslegung und legt nahe, dass die Bezugnahme in § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB sich nur auf die Bildaufnahme selbst bezieht. Denn anders als bei Nr. 4 stellt § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB ausdrücklich auf eine „durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme“, also nicht nur auf das Tatobjekt der in Bezug genommenen Nummern ab.
c) Sinn und Zweck des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB sprechen ebenfalls für die Einbeziehung von Selbstaufnahmen der geschädigten Person in den Schutzbereich der Vorschrift. Denn das verwirkte Tatunrecht wird in dieser Tatvariante nicht wie bei Nummern 1 und 2 durch die Herstellung der Bildaufnahme gegen die schutzwürdigen Interessen des Opfers geprägt, sondern durch deren Weitergabe zu einem späteren Zeitpunkt, die einen eigenständigen Eingriff bewirkt (vgl. SK/Hoyer, StGB, 9. Aufl., § 201a Rn. 10; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 201a Rn. 17; SSW-StGB/Bosch, 4. Aufl., § 201a Rn. 24). Der darin liegende Vertrauensmissbrauch beeinträchtigt das geschützte Rechtsgut unabhängig davon, wer die – ggf. lange Zeit zuvor entstandene . Aufnahme gefertigt hat.
d) Eine einschränkende Auslegung widerspräche zudem dem Willen des Gesetzgebers.
Der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 201a StGB lässt sich eine ausdrückliche Herausnahme von Selbstaufnahmen aus dem Anwendungsbereich der Vorgängervorschrift des § 201a Abs. 3 StGB nicht entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/2466, S. 4, 5). Im Zuge der Änderung durch das 49. StrafÄndG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass mit der am 27. Januar 2015 in Kraft getretenen Neufassung eine Erweiterung von § 201a StGB beabsichtigt war (vgl. BT-Drucks. 18/2601, S. 3) und „die Herstellung und nachfolgende Verbreitung von Bildaufnahmen in – zum Teil sogar aktiv von dem Täter herbeigeführten – entwürdigenden, bloßstellenden oder gewalttätigen Situationen“ erfasst werden solle; hinsichtlich Bildaufnahmen des nackten menschlichen Körpers bestehe ein „schützenswertes Interesse daran, dass diese nicht unbefugt hergestellt, weitergegeben oder sogar verbreitet werden“ (vgl. BT-Drucks. 18/2601, S. 36). Eine Beschränkung auf durch andere hergestellte Bildaufnahmen beim Zugänglichmachen einer „befugt hergestellten Bildaufnahme“ findet sich auch hier nicht (vgl. BT-Drucks. 18/2601, S. 36 f., 38). Insbesondere hinsichtlich der als strafwürdig angesehenen Weitergabe von Aktaufnahmen nach Beendigung einer Beziehung (vgl. etwa den Fall des LG Kiel, NJW 2007, 1002) hinge in solchen Fällen bei einschränkender Auslegung der Vorschrift der strafrechtliche Schutz von dem zum Zeitpunkt der Entstehung der Aufnahme eher zufälligen Umstand ab, ob die abgebildete Person oder ihr ehemaliger Partner die Aufnahme angefertigt oder gegebenenfalls den Selbstauslösemechanismus der Kamera in Gang gesetzt hatte.“