Heute dann – es ist Freitag – wieder gebührenrechtliche Entscheidungen; so lange es geht, soll es normal weiter laufen. Wenn ich keine Entscheidungen mehr habe, muss ich rationieren, im schlimmsten Fall, wovon ich nicht ausgehe, gibt es dann eben ein „coronafrei“.
Und ich eröffne dann mit einer schon etwas älteren Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Erstreckung (§ 48 Abs. 6 RVG). Das OLG meint im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.05.2018 – III-1 Ws 274/17: Die in § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG fingierte vergütungsrechtliche Rückwirkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Strafverfahren greift dann nicht, wenn in dem gerichtlichen Beiordnungsbeschluss ausdrücklich eine abweichende Bestimmung der zeitlichen Geltung der Beiordnung getroffen worden ist. Begründung:
„Gegenstand des beim Landgericht Düsseldorf verhandelten sehr umfangreichen Strafverfahrens gegen den Hauptangeklagten und weitere Angeklagte war – neben zahlreichen weiteren Vorwürfen – der Anklagevorwurf der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten L. Dieser war an dem Verfahren als Nebenkläger beteiligt und bediente sich spätestens seit Beginn der Hauptverhandlung am 1. Juli 2013 des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt T, als Beistand. Nach etwa 170 Hauptverhandlungstagen beantragte Rechtsanwalt T mit Schriftsatz vom 24. September 2015 seine Bestellung zum Beistand des Nebenklägers gemäß § 397a Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 StPO unter Hinweis darauf, dass aufgrund der Dauer des Verfahrens „eine weitere Nebenklagevertretung ab sofort nur noch mit einer Absicherung durch eine gerichtliche Beiordnung möglich“ sei. Nachdem der Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung mündlich Bedenken gegen die begehrte Beiordnung geäußert hatte, begründete der Nebenklägervertreter den Beiordnungsantrag mit Schriftsatz vom 27. September 2015 weiter und stellte ausdrücklich klar, dass eine Beiordnung „rückwirkend zum 24. September 2015 (Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht)“ begehrt werde. Mit Vorsitzendenbeschluss vom 20. Oktober 2015 bestellte das Landgericht Rechtsanwalt T antragsgemäß mit Wirkung vom 24. September 2015 zum Beistand des Nebenklägers L.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 29. Dezember 2016 – die Hauptverhandlung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen – beantragte der Rechtsanwalt T die Festsetzung eines Vorschusses auf die ihm als Beistand des Nebenklägers zustehenden Gebühren in Höhe der bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Gebühren, die er auf 71.480,71 € bezifferte. In dieser Summe enthalten waren in erheblichem Umfang auch vor dem 24. September 2015 angefallene Gebühren, insbesondere Terminsgebühren nach Nr. 4114 ff. VV-RVG für seine Teilnahme an einer Vielzahl von Hauptverhandlungsterminen vom Beginn der Hauptverhandlung am 1. Juli 2013 bis zum 22. September 2015.
Mit Beschluss vom 9. März 2017 hat der Rechtspfleger des Landgerichts die Höhe der dem Beschwerdeführer zustehenden Gebühren auf 36.406,65 € festgesetzt. Von den in dem Kostenfestsetzungsantrag bezeichneten Gebühren abgesetzt waren dabei die vor dem 24. September 2015 angefallenen Gebühren sowie die Terminsgebühr für einen Termin am 23. November 2016, der nicht stattgefunden hatte. Der dagegen eingelegten Erinnerung des Nebenklägervertreters hat der Rechtspfleger nicht abgeholfen. Die Strafkammer hat die Erinnerung durch Einzelrichterbeschluss vom 23. Oktober 2017 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beistand des Nebenklägers mit seiner Beschwerde, mit der er ausschließlich die unterbliebene Festsetzung der vor dem 24. September 2015 angefallenen Gebühren beanstandet. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
1. Der Einzelrichter des Senats ist zur Entscheidung berufen, weil der angegriffene landgerichtliche Beschluss in entsprechender Besetzung ergangen ist (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).
2. Die Beschwerde gegen den Beschluss der Strafkammer ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 und 4 RVG statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der Zweiwochenfrist nach § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
3. In der Sache ist die Beschwerde jedoch unbegründet.
Zu Recht haben der Rechtspfleger und die Strafkammer bei der Festsetzung der Vergütung des Beistands des Nebenklägers nur nach dem 24. September 2015 entstandene Gebühren berücksichtigt. Der Festsetzung einer Vergütung für vor diesem Zeitpunkt entfaltete Tätigkeiten steht entgegen, dass in dem landgerichtlichen Beiordnungsbeschluss vom 20. Oktober 2015 die Wirkung der Beiordnung ausdrücklich auf die Zeit ab dem 24. September 2015 beschränkt ist.
Zwar fingiert die Ausnahmevorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG, mit der unter anderem von Streit und Unklarheiten vermieden werden sollen (vgl. OLG Hamburg, NStZ-RR 2012, 390), im Grundsatz die vergütungsrechtliche Rückwirkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Strafverfahren. Diese Regelung greift indes dann nicht, wenn – wie hier – in dem gerichtlichen Beiordnungsxbeschluss ausdrücklich eine abweichende Bestimmung der zeitlichen Geltung der Beiordnung getroffen worden ist. Denn nach § 45 Abs. 3, § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch nach dem Beschluss, durch den der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Für den Umfang des Vergütungsanspruchs des beigeordneten Rechtsanwalts ist mithin der in dem Beiordnungsbeschluss bestimmte Umfang seiner Beiordnung maßgeblich (OLG Hamburg, JurBüro 2018, 17; Ahlmann in Riedel/Süßbauer, RVG, 10. Auflage, § 45 Rn. 60; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Auflage, § 48 Rn. 3; Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Auflage, § 48 Rn. 11; Hartung in Hartung/Schons, RVG, 3. Auflage, § 48 Rn. 6). Die Staatskasse schuldet dem beigeordneten Rechtsanwalt nur insoweit eine Entschädigung, als er im Rahmen der Beiordnung tätig geworden ist; außerhalb der Beiordnung vorgenommene Tätigkeiten begründen keinen Anspruch gegen den Staat (Ahlmann a.a.O. § 48 Rn. 6). Der Beiordnungsbeschluss ist praktisch die Anspruchsgrundlage des gegen die Staatskassse gerichteten Vergütungsanspruchs und für das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG bindend (Hartung a.a.O.).“
Ob das in der vom OLG verkündeten Allgemeinheit so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Hier wird man es als (noch) richtig ansehen können, weil der Nebenklägerbeistand selbst letztlich beschränkt beantragt hat. Das führt zunächst mal zu der Warnung, das lieber zu lassen. In anderen Fällen ist die Entscheidung m.E. nicht anwendbar. Ich halte sie im Übrigen auch für „gefährlich“, weil es im Hinblick auf die Gebühren ggf. vermehrt zur beschränkten Bestellungen kommen kann, um nämlich den § 48 Abs. 6 RVG auszuhebeln. Das würde aber gerade Sinn und Zweck der Regelung widersprechen.