Zivilrechtliche Halterhaftung, oder: Bloßes Bestreiten der Fahrereigenschaft reicht nicht (mehr)

In der ablaufenden Woche ist dann auf der Homepage des BGH die „Knöllchen-Entscheidung“ des XII. Zivilsenats vom18.12.2019, also der BGH, Beschl. v. 18.12.2019 – XII 13/19. Das ist die Revisionsentscheidung zum das LG Arnsberg, Urt. v. 16.01.2019 – 3 S 110/18 (vgl. dazu Keine zivilrechtliche Halterhaftung, oder: Erhöhtes Parkentgelt zahlt derjenige, der parkt).

Die Entscheidung des BGH ist ja schon an vielen Stellen veröffentlicht. Jetzt kann man den Volltext nachlesen.

Der BGH hat ihr folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Zwischen dem Betreiber eines privaten Parkplatzes und dem Fahrzeugführerkommt ein Vertrag über die Nutzung eines Fahrzeugabstellplatzes zustande, indem der Fahrzeugführer das als Realofferte in der Bereitstellungdes Parkplatzes liegende Angebot durch das Abstellen des Fahrzeugs annimmt (Fortführung von BGH Urteil vom 18.Dezember 2015 -VZR160/14- NJW 2016, 863).

2. Verstößt der Fahrzeugführer gegen die Parkbedingungen und verwirkt er dadurch eine Vertragsstrafe („erhöhtes Parkentgelt“), haftet der Halter des Fahrzeugs hierfür nicht.

Anders als das LG Arnsberg hat der BGH das (bloße) Bestreiten der Fahrereigenschaft aber nicht genügen lassen. Zum Ganzen  aus der PM 164/2019 des BGH:

„Zwischen dem Betreiber eines privaten Parkplatzes und dem Fahrzeugführer kommt ein Nutzungsvertrag zustande, indem der Fahrzeugführer das in der Bereitstellung des Parkplatzes liegende Angebot durch das Abstellen des Fahrzeugs annimmt. Wird der Parkplatz – wie hier – unentgeltlich zur Verfügung gestellt, handelt es sich nicht um einen Miet-, sondern um einen Leihvertrag. Durch die Hinweisschilder wird das „erhöhte Parkentgelt“ als Vertragsstrafe in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen wirksam in den Vertrag einbezogen. Die Festlegung mit mindestens 30 € ist hinreichend bestimmt und der Höhe nach nicht unangemessen.

Zu Recht hat es das Landgericht zwar abgelehnt, eine Haftung der Klägerin für diese Vertragsstrafe allein aus ihrer Haltereigenschaft abzuleiten. Insbesondere schuldet der Halter keinen Schadensersatz wegen der Weigerung, die Person des Fahrzeugführers zu benennen, weil ihn gegenüber dem Parkplatzbetreiber keine entsprechende Auskunftspflicht trifft.

Anders als das Landgericht meint, hat die Beklagte aber ihre Fahrereigenschaft nicht wirksam bestritten. Ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Halter eines Kfz auch dessen Fahrer war, besteht allerdings nicht, weil Halter- und Fahrereigenschaft in der Lebenswirklichkeit häufig auseinanderfallen. Jedenfalls wenn die Einräumung der Parkmöglichkeit, wie im vorliegenden Fall, unentgeltlich in Form einer Leihe erfolgt, kann sich der Halter jedoch nicht auf ein einfaches Bestreiten seiner Fahrereigenschaft beschränken. Vielmehr muss er im Rahmen seiner sog. sekundären Darlegungslast dazu vortragen, wer als Nutzer des Pkws im fraglichen Zeitpunkt in Betracht kam.

Die grundsätzlich dem Kläger obliegende Darlegungs- und Beweislast, hier für die Fahrereigenschaft, kann nach den von der Rechtsprechung zum Beweis negativer Tatsachen entwickelten Grundsätzen eine Erleichterung erfahren. Danach trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungspflichtige Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, hierzu näher vorzutragen. Diese Voraussetzungen hat der XII. Zivilsenat für den vorliegenden Fall bejaht.

Denn beim Parken auf einem privaten Parkplatz handelt es sich um ein anonymes Massengeschäft, bei dem der Parkplatz nicht einem bestimmten Vertragspartner, sondern der Allgemeinheit zur – regelmäßig kurzzeitigen – Nutzung angeboten wird. Zu einem persönlichen Kontakt zwischen Betreiber und Fahrer als den beiden Vertragsparteien kommt es regelmäßig nicht. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass dem Verleiher die Person des Fahrzeugführers als des Entleihers nicht bekannt ist. Dass der Parkplatzbetreiber das Abstellen des Fahrzeugs nicht von einer vorherigen Identifizierung des Fahrzeugführers abhängig macht, ist Bestandteil dieses Massengeschäfts und liegt im Interesse der auf den einfachen Zugang auch zu privaten Parkplätzen angewiesenen Verkehrsöffentlichkeit. Er hat keine zumutbare Möglichkeit, die Identität seines Vertragspartners bei Vorliegen eines unberechtigten Abstellvorgangs und damit einer Verletzung seiner letztlich aus dem Eigentum folgenden Rechte im Nachhinein in Erfahrung zu bringen. Selbst wenn er – mittels gesteigerten Personalaufwands – den Fahrer bei dessen Rückkehr zum Fahrzeug anhalten würde, könnte er dessen Personalien ebenso wenig ohne weiteres feststellen wie auf der Grundlage etwa von Videoaufnahmen. Jedenfalls von demjenigen, der Privatparkplätze unentgeltlich zur Verfügung stellt, kann auch nicht die Errichtung technischer Anlagen (etwa eines Schrankensystems) gefordert werden, die letztlich allein der Verhütung des Missbrauchs dieses Angebots dienen.

Im Gegensatz dazu ist es dem Halter, der unter Beachtung seiner prozessualen Wahrheitspflicht bestreitet, selbst gefahren zu sein, regelmäßig selbst mit einem gewissen zeitlichen Abstand ohne weiteres möglich und zumutbar, jedenfalls die Personen zu benennen, die im fraglichen Zeitraum die Möglichkeit hatten, das Fahrzeug als Fahrer zu nutzen. Denn er hat es regelmäßig in der Hand, wem er das Fahrzeug überlässt.

Das Landgericht wird der Beklagten daher nun Gelegenheit zu einem wirksamen Bestreiten ihrer Fahrereigenschaft unter Angabe der als Fahrer im Zeitpunkt des jeweiligen Parkverstoßes in Betracht kommenden Person einzuräumen und dann neu zu entscheiden haben.“

Interessant ist die Frage, wie es nun weitergeht, wenn die Beklagte nach fünf Jahren nicht mehr weiß, wer gefahren ist? Und: Was ist mit Ansprüchen gegen den potenziellen Fahrer? Sind die nicht inzwischen verjährt? Alles Fragen, die die „Zivilisten“ beantworten müssen 🙂 .

5 Gedanken zu „Zivilrechtliche Halterhaftung, oder: Bloßes Bestreiten der Fahrereigenschaft reicht nicht (mehr)

  1. Jochen Bauer

    Es muß also geklärt werden, ob die Halterin zumutbar nach 5 Jahren (was die erste Parküberschreitung angeht) ihrer sekundären Darlegungslast überhaupt noch nachkommen kann. Verjährt dürfte der Anspruch des Gläubigers allerdings dann nach 5 Jahren auch noch nicht sein, da die regelmäßige Verjährung (3 Jahre nach § 195 BGB) erst ab Kenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste; § 197 I Nr. 2 BGB.

  2. Daniel C. Caspary

    „Vielmehr muss er im Rahmen seiner sog. sekundären Darlegungslast dazu vortragen, wer als Nutzer des Pkws im fraglichen Zeitpunkt in Betracht kam.“
    Es stellt sich hierbei die grundsätzliche Frage, welche Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast zu stellen sind. Streitgegenständlich ist in dem Fall die Fahrereigenschaft der Beklagten. Das Gericht hat daher nicht darüber zu befinden, wer der tatsächliche Fahrer war oder gewesen sein könnte (dies dürfte gar einen Fall des Ausforschungsbeweises darstellen). Ein substantiiertes Bestreiten der eigenen Fahrereigenschaft muss daher auch dadurch möglich sein, dass Tatsachen vorgetragen werden, die die Fahrereigenschaft ausschließen (z.B. längere Urlaubsreise zum gegenständlichen Zeitpunkt o.ä.).

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