Der „vorerst schweigende“ Betroffene, oder Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG?

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Am heutigen Gebührentag zwei AG-Entscheidung, die ich von der Gebührenabteilung der ARAG übersandt bekommen habe. M.E. sind beide Entscheidungen falsch; bei der ARAG wird man das mit Sicherheit anders sehen 🙂 .

Beide Entscheidungen kommen von Berliner Amtsgerichten. Die erste stammt vom AG Schöneberg. Das hat im AG Schöneberg, Urt. v. 06.02.2019 – 6 C 326/18 – den Anfall der Nr. 5115 VV RVG im Bußgeldverfahren verneint. Begründung:

Die Beklagte beanstandet zu Recht, dass der für den Kläger im Ermittlungsverfahren tätigeRechtsanwalt unter anderem die Verfahrensgebühr für die Mitwirkung am Verfahren zur Vermeidung der Hauptverhandlung nach Nr. 5115, 5101 VV RVG in Höhe von 65,00 € am 13. August 2018 in Rechnung gestellt hat. Die Mtwirkungsgebühr ist nicht angefallen.

Nach erteilter Deckungszusage vertrat die Rechtsanwaltskanzlei S.  den Kläger in einem Ermittlungsverfahren, in dem ihm vorgeworfen wurde, in der Folge eines Fahrstreifenwechsels einen Unfall verursacht zu haben. Nach anwaltlicher Beratung entschloss sich der Kläger, zunächst zu schweigen. Der in der Kanzlei tätige Rechtsanwalt pp. zeigte mit Schreiben vom 11. Juli 2018 die Verteidigung des Klägers gegenüber dem Polizeipräsidenten in Berlin an, bat um Akteneinsicht und teilte mit, dass sein Mandat vorerst von seinem Schweigerecht Gebrauch mache und sich eine Einlassung zur Sache nach Akteneinsicht vorbehalte. Etwa zwei Wochen später übermittelte der Polizeipräsident die Ermittlungsakte. Gleichzeitig wurde das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO mit der Begründung eingestellt, dass ein Tatbeweis nicht möglich sei.

Das Scheiben vom· 11. Juli 2018 stellt keine für das Entstehen der Zusatzgebühr erforderliche Mitwirkung des Verteidigers an der Verfahrenseinstellung dar.

Die Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV RVG entsteht nach Abs. 1 Nr. 1 der zugehörigen Anmerkung, wenn das Ordnungswidrigkeitenverfahren vor der Verwaltungsbehörde durch die anwaltliche Mtwirkung endgültig eingestellt wird. Nach Absatz 2 der Anmerkung entsteht sie nicht, wenn eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Zwar ist die für den Anfall der Erledigungsgebühr erforderliche Mitwirkung des Anwalts an der Einstellung des Verfahrens in einem weiten Sinn zu verstehen. Mitwirkung im Sinne der Nr. 5115 VV RVG bedeutet aber, wie Absatz 2 der Anmerkung zeigt, dass der Verteidiger durch seine Tätigkeit die endgültige Einstellung des Verfahrens zumindest gefördert haben muss.

Nach diesen Maßstäben kann die nach Nr. 5115 VV RVG erforderliche Mitwirkung gegeben sein, wenn der Verteidiger seinem Mandanten im Bußgeldverfahren rät, zu dem erhobenen Vorwurf zu schweigen, und er die entsprechende Entschließung seines Mandanten der Verwaltungsbehörde mitteilt. Die Behörde weiß nach einer solchen Mitteilung, dass sie einen Bußgeldbescheid nicht auf die Einlassung des Betroffenen stützen kann, sondern sich darüber klar werden muss, ob die übrigen Beweismittel für eine Ahndung ausreichen. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass die übrigen Beweismittel nicht ausreichen und stellt sie deshalb das Verfahren ein, hat die Tätigkeit des Verteidigers diese Art der Verfahrenserledigung objektiv gefördert (BGH, Urteil vom 20. Januar 2011-IXZR 123/10-, Rn. 9,juris m.w.N.).

Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Das Schreiben vom 11. Juli 2018 hat die Einstellung in keiner Weise befördert. Bei der Einstellung des Verfahrens wusste die Behörde nicht, ob sie einen Bußgeldbescheid auf eine Einlassung des Klägers würde stützen können oder nicht. Das Schreiben vom 11. Juli 2018 enthält gerade keine endgültige Aussageverweigerung des Klägers; sondern nur die Mitteilung, dass er vorerst von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, sich aber nach erfolgter Akteneinsicht eine Einlassung zur Sache vorbehalte. Die Behörde konnte dem Schreiben damit nicht entnehmen, dass sich der Kläger auch künftig zu dem Tatvorwurf nicht äußern würde. Dennoch hat die Behörde zeitgleich mit der Übersendung der Akten das Verfahren eingestellt. Sie hat weder die Akteneinsicht des klägerischen Verteidigers noch seine Erklärung abgewartet, ob sich der Kläger nun zur Sache einlässt oder nicht. Wenn die Verwaltungsbehörde das Verfahren aber unabhängig von einer Erklärung des Rechtsanwalts einstellt und das „Schweigen“ nicht abwartet, lässt die Tätigkeit des Rechtsanwalts keine Erledigungsgebühr entstehen (BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 – IX ZR 123/10 -, Rn. 10, juris; AG Schöneberg, Urteil vom 27.08.2015, 106 C 124/15).2

Wie gesagt: Ist falsch. Man fragt sich nämlich: Warum hat die Verwaltungsberhörde denn dass Verfahren eingestellt? Nun, sicherlich auch, weil der Verteidiger mitgeteilt hatte, dass sich der Betroffene vorerst nicht einlässt. Das hat man abgewogen und ins Kalkül gezogen, dass es dabei bleibt. Dann hat man aber keine Chance für eine erfolgreiche Verfolgung gesehen und (auch) deshalb eingestellt. Das reicht auf jeden Fall für den Anfall der Nr. 5115 VV RVG. Etwas anderes folgt auch nicht aus der BGH-Entscheidung. Das war nämlich ein anderer Fall.

Und kleiner Tipp: Die hier aufgetretenen gebührenrechtlichen Schwierigkeiten vermeidet man, wenn man als Verteidiger nicht mitteilt, dass der Mandant „vorerst“ schweigt. Er „schweigt“. Und gut ist es. Dass er sich ggf. doch einlässt, geht die Verwaltungsbehörde ja zunächst auch mal gar nichts an.

 

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