Und dann noch die dritte Entscheidung, und zwar der BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 1 StR 321/18. Auch „Betäbungsmittel“, in diesem Fall aber ein „erlaubtes“, nämlich Alkohol.
Das LG hatte den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagen gerichtete Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg. Denn:
„2. Der Strafausspruch hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Schwurgerichtskammer eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
a) Nach den Urteilsfeststellungen trank der Angeklagte in seiner Wohnung zusammen mit einer Bekannten, dem späteren Tatopfer, seit dem Vormittag des 23. Mai 2017 erhebliche Mengen Alkohol. Nachdem die Geschädigte den Angeklagten vor dessen Mitbewohner bloßgestellt hatte, indem sie ihn des Diebstahls einer geringen Menge Marihuanas bezichtigte und ihn veranlasste, dies einzuräumen, kam es zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten im Wohnzimmer zu einer kurzen verbalen Auseinandersetzung. Der Angeklagte saß anschließend mehrere Minuten ruhig auf der Couch. Als die Geschädigte ihn fragte, ob alles in Ordnung sei, bejahte er dies und stand auf. Er begab sich zur angrenzenden Küchenzeile, entnahm aus einer Schublade ein Fleischermesser mit 15 cm Klingenlänge und fügte seiner Bekannten unvermittelt eine fünf Zentimeter lange und eineinhalb Zentimeter tiefe Schnittverletzung an der rechten seitlichen Halspartie zu. Als die Geschädigte zu schreien begann, versuchte der Angeklagte diese mit einer Hand an ihren Haaren zu fixieren. Bevor er weitere Verletzungshandlungen vornehmen konnte, eilte sein Mitbewohner, der vor dem Streit in sein Zimmer gegangen war, hinzu und stieß den Angeklagten weg. Anschließend brachte der Mitbewohner sich und die Geschädigte in Sicherheit.
b) Das sachverständig beratene Landgericht hat die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund einer ihm um 19.40 Uhr entnommenen Blutprobe (1,31 Promille) zutreffend mit maximal 2,4 Promille berechnet und angenommen, dass er „durchaus erheblich alkoholisiert“ gewesen sei. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich eingeschränkt gewesen sei, hat es maßgeblich auf die konkrete Vorgehensweise des Angeklagten abgestellt und eine verminderte Schuldfähigkeit verneint. Hierbei hat die Strafkammer berücksichtigt, dass er die Geschädigte nicht im unmittelbaren Anschluss an seine durch sie erfolgte Bloßstellung angegriffen habe, sondern es zunächst nur zu einem verbalen Streit gekommen sei, ohne dass er Angriffshandlungen vorgenommen habe. Als er „mehrere Minuten ganz ruhig auf der Couch“ gesessen habe, sei er sodann aufgestanden, habe sich „zielgerichtet zu der Küchenzeile“ begeben und habe mit der Tatwaffe die Geschädigte angegriffen. Dieses Vorgehen stelle sich „als durchaus planvoll bzw. durchdacht dar“ und spreche dafür, dass die Hemmungsfähigkeit allenfalls leicht vermindert gewesen sei. Darüber hinaus habe keiner der Zeugen, insbesondere die den Angeklagten festnehmenden Polizeibeamten „auch nur die geringsten alkohol- und/oder drogenbedingten Ausfallerscheinungen“ geschildert. Solche ergäben sich auch nicht aufgrund des ärztlichen Untersuchungsberichts anlässlich der Blutentnahme.
c) Diese Begründung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht konnte zu den Alkoholkonsumgewohnheiten des Angeklagten von diesem selbst keine „konkreten belastbaren Hinweise“ bekommen, da der Angeklagte sich teilweise mehrfach widersprochen hat (UA 34). Es hat daher zu Recht auf die errechnete maximale Blutalkoholkonzentration und auf eine Würdigung psychodiagnostischer Beweisanzeichen abgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247, 252 Rn. 22 f. mwN), die grundsätzlich einen Rückschluss auf das Vorliegen einer alkoholbedingten Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ermöglichen. Die vom Landgericht vorgenommene Wertung erweist sich aber als nicht tragfähig.
a) Das vom Angeklagten vor und bei der Tatbegehung gezeigte Leistungsverhalten eröffnet angesichts des einfach gelagerten Geschehens kaum eine Beurteilungsmöglichkeit, dass ausreichend aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen vorliegen, die für eine voll erhaltene Steuerungsfähigkeit sprechen. Allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte nach dem verbalen Streit mit der Geschädigten mehrere Minuten auf der Couch saß, bevor er zur Küchenzeile ging, das Messer aus einer Schublade ergriff und die Geschädigte damit unvermittelt angriff und verletzte, lässt auf ein zielgerichtetes und planvoll durchdachtes Handeln, bei der sich die Alkoholisierung des Angeklagten nicht auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat, keine Rückschlüsse zu. Hierbei hat das Landgericht zudem nicht erörtert, inwieweit die kurz zuvor erfolgte Interaktion zwischen ihm und der Geschädigten für das Handeln des Angeklagten von Bedeutung war.
bb) Soweit das Landgericht bei der Würdigung psychodiagnostischer Kriterien auf das Fehlen von Ausfallerscheinungen abstellt, hat es verkannt, dass dieser Umstand nicht unbedingt einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit entgegensteht. Gerade bei alkoholgewöhnten Tätern – wofür beim Angeklagten angesichts seiner Vorstrafen vieles spricht – können äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit weit auseinander fallen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696 mwN). Zudem ist das von der Strafkammer bewertete Ergebnis des ärztlichen Untersuchungsberichts anlässlich der Blutentnahme vorliegend für die Beurteilung des Leistungsverhaltens des Angeklagten zur Tatzeit allenfalls von geringer Bedeutung, weil die Blutentnahme erst viereinhalb Stunden nach Tatbegehung erfolgte. Unklar ist auch, zu welchem Zeitpunkt die vom Krankenhaus verständigten Polizeibeamten den Angeklagten festgenommen haben, um beurteilen zu können, ob ihre Wahrnehmungen zu dessen Leistungsverhalten eine hinreichende Grundlage für die Schuldfähigkeitsprüfung bieten.“
Es folgen dann noch Ausführungen des BGH zur Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) durch das LG.Der Angeklagte bzw. sein Verteidiger hatte die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das LG mal wieder nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.