Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, geht es um die Frage: Wer trägt die Dolmetscherkosten, die im JGG-Verfahren bei Durchführung jugendrichterlicher Weisungen entstanden sind/entstehen. Ausgangspunkt ist ein Verfahren, in dem das AG Reutlingen den Angeklagten – einen Portugiesen – einer vorsätzlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und aufgrund eines entsprechenden Vorschlags der Jugendgerichtshilfe – angeordnet hat, dass dieser sich einer sechsmonatigen Betreuungsweisung nach Maßgabe der Jugendgerichtsgerichtshilfe zu unterziehen hat.
Mit der Abwicklung der Auflage wurde die Jugendgerichtshilfe (Kreisjugendamt Reutlingen) beauftragt. Der Verein Hilfe zur Selbsthilfe e.V., der ein Projekt Betreuungsweisungen unterhält, wurde wiederum von der Jugendgerichtshilfe mit der Durchführung der Betreuungsweisung beauftragt. Ein Vertreter dieses Vereins beantragte mit Schreiben vom 11.04.2017, dass seitens des AG, die Finanzierung von zwei Dolmetscherstunden für die Sprache Portugiesisch zur Durchführung der Betreuungsauflage genehmigt wird. Hintergrund war, dass die Mutter des Verurteilten kein Deutsch verstand und daher ein Gesprächstermin mit dem Verurteilten und ihr nur unter Hinzuziehung eines Dolmetschers durchgeführt werden konnte.
Das AG gewährte der Bezirksrevisorin bereits vorab Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Antrag und entschied, dass „im Rahmen der Vollstreckung“ des Urteils, insbesondere der dort beinhaltenen Weisung nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 JGG, die Heranziehung eines Dolmetschers (Entschädigung nach dem JVEG) für zwei Stunden für ein Gespräch im Rahmen der Betreuungsweisung mit dem Verurteilten und dessen Mutter für notwendig erachtet und ein Dolmetscher für die portugiesische Sprache „durch das Amtsgericht Reutlingen bestellt“ wird.
Dagegen das Rechtsmittel der Staatskasse, das Erfolg hatte. Das LG Tübingen hat im LG Tübingen, Beschl. v. 28.03.2018 – 3 Qs 14/17 – den Beschluss des AG aufgehoben und der Antrag auf Hinzuziehung eines Dolmetschers zur Durchführung der Weisung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 JGG und dessen Entschädigung nach JVEG abgelehnt.
Begründung u.a.:
„c) Die Vorschrift des § 36a SGB VIII stellt eine wirksame Rechtsgrundlage für die Frage der Kostentragung der durchgeführten Betreuungsweisung und der insoweit mit entstandenen Dolmetscherkosten dar. Die Kammer sieht obschon der teilweise geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken (AG Eilenburg ZJJ 2006, 85) die Vorschrift auch als verfassungsgemäß an:
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Norm missglückt ist, entspricht sie doch angesichts des Fehlens einer durchsetzbaren Verpflichtung zur Durchführung von Weisungen nach § 10 JGG bereits nicht der im Rahmen des JGG geltenden Rechtslage. Würde eine solche durchsetzbare Verpflichtung bestehen, wäre § 10 JGG systematisch der Vollstreckung des jugendrichterlichen Urteils zuzuordnen und die anfallenden Kosten und Auslagen wären solche i.S.d. § 74 JGG – die Frage der Kostentragung würde sich mithin bei Ernstnahme der Formulierung des § 36a SGB VIII nicht stellen, weil diese hiernach nach dem GKG (hier Anlage 1 Nr. 9005) zu beantworten wäre. § 36a SGB VIII führt im Ergebnis zudem dazu, dass eine letztverbindliche Entscheidung über die Kostentragungspflicht auch bei justiziell angeordneten Maßnahmen beim Jugendamt verbleibt. Zugleich weist das JGG den Jugendgerichten einen gesetzlichen Aufgabenbereich zu, den diese zu erfüllen haben, u.a. dadurch, dass sie von der Jugendgerichtshilfe mit dem verurteilten Jugendlichen durchzuführende Auflagen, z. B. gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 JGG, anordnen. Während die Jugendgerichte mithin zur Aufgabenerfüllung in § 38 Abs. 2 §. 5 JGG gesetzlich verpflichtete Behörden zur Durchführung von Aufgaben „mittelbar verpflichten“ können, können diese die Tragung der Kosten hierfür ablehnen, auch wenn das Gericht sie hiermit betraut; ein Risiko, dass die Frage der Kostentragung bei Ablehnung durch das Jugendamt mangels anderweitiger expliziter Rechtsgrundlage offen bleibt, erscheint daher denkbar.
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d) Aus § 36a Abs. 1 SGB VIII ergibt sich vorliegend eine Pflicht der Jugendgerichtshilfe, die Kosten der Durchführung der Betreuungsweisung und auch die Kosten eines in diesem Rahmen hinzugezogenen Dolmetschers zu tragen. § 36a Abs. 1 Hs. 1 SGB VIII sieht eine solche dem Wortlaut nach vor, wenn eine Hilfsmaßnahme „auf Grundlage der Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht“ wird.
Vorliegend hat eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe an der Hauptverhandlung teilgenommen. In ihrem bereits vorab schriftlich eingereichten Bericht hat die Jugendgerichtshilfe auf Grundlage einer umfangreichen Stellungnahme einen Sanktionsvorschlag unterbreitet – nämlich, dass es „zu begrüßen wäre, den Jugendlichen im Rahmen einer Betreuungsweisung auf seinem weiteren Weg eine zeitlang zu begleiten und zu unterstützen“. Diesen Vorschlag hat der Jugendrichter im Urteil tenoriert. Auch der Wunsch nach der Hinzuziehung eines Dolmetschers wurde seitens der bei der Durchführung der Maßnahme behördlicherseits beauftragten Personen des Vereins Hilfe zur Selbsthilfe e.V. geäußert (so im Schreiben vom 11.04.2017), welche insoweit für die Jugendgerichtshilfe tätig wurden.
Im Rahmen der Durchführung der Maßnahme ist das Jugendamt zur Überzeugung der Kammer an das Votum ihres Vertreters im Vorfeld des Urteils gebunden und hat deshalb nach § 36a SGB VIII die Kosten für die Durchführung der ausgeurteilten Maßnahme zu tragen, auch soweit gerade das Jugendamt dahin votiert, dass zur adäquaten Durchführung der Maßnahmen bestimmte wei tere Aufwände (wie hier der eines Dolmetschers) ergriffen werden müssen (wie hier: Brand NStZ 2007, 190; Münder SGB VIII § 52 Rn. 22; auch das Bundesverfassungsgericht zieht diese Möglichkeit im genannten Beschluss in Erwägung, a.a.O., Rn. 27). Die Jugendgerichtshilfe (und das Jugendamt als Träger) würde sich widersprüchlich verhalten, wenn sie zunächst nach Prüfung durch die Jugendgerichtshilfe eine Betreuungsweisung unter Einbeziehung der Jugendgerichtshilfe vorschlagen würde und eine langfristige Arbeit in diesem Rahmen mit dem Jugendlichen empfiehlt, andererseits aber die Kostentragung auf Grundlage des § 36a Abs. 1 SGB VIII später ablehnen könnte und würde.
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e) Die vom Amtsgericht angenommenen Voraussetzungen, um im Wege der Analogiebildung bzw. „Annexkompetenz“ über die explizit geregelte Rechtslage hinaus eine Rechtsgrundlage für die Hinzuziehung des Dolmetschers im Rahmen der Durchführung der Betreuungweisung und dessen Vergütung nach dem JVEG zu finden, lagen mithin aufgrund fehlender Regelungslücke nicht vor. Aus den seitens des Amtsgerichts wie der Bezirksrevisorin angeführten Entscheidungen des OLG Stuttgart wie auch des OLG Celle ergibt sich nichts anderes, nachdem die Entscheidung des OLG Stuttgart Urintests als Bewährungsweisung (gemäß § 56c StGB) und die Entscheidung des OLG Celle Dolmetscherkosten im Ermittlungsverfahren betrifft. In beiden Fällen ist die Annahme einer Regelungslücke hinsichtlich der Kostentragung Ausgangspunkt für die Entscheidung über das Vorliegen einer „Annexkompetenz“ (im Fall des OLG Stuttgart z. B. zu § 56c StGB). In keinem der genannten Fälle besteht auf öffentlich-rechtlicher Grundlage eine Vorschrift, welche – wie hier – die Frage der Kostentragung auf erster Ebene regelt, weshalb aus der insoweit zitierten Rechtsprechung für den hiesigen Fall nichts gewonnen werden kann.
Mal was anderes, aber für den Verurteilten im Hinblick auf § 74 JGG interessant.