Die Widerspruchslösung lebt, oder: Totgesagte-/geglaubte leben länger

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Heute bringe ich dann zunächst den BGH, Beschl. v. 09.05.2018 – 5 StR 17/18. Zu dem passt der Satz: Totgesagte/-geglaubte leben länger. Es geht um die sog. Widerspruchslösung des BGH, deren Abgesang m.E. der 2. Strafsenat im vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 2 StR 46/15, BGHSt 61, 266 (vgl. dazu Durchsuchung: Neues Wichtiges vom 2. Strafsenat, aber: Warum braucht man dafür mehr als 2 Jahre?) eingeläutet hat. Der 5. Strafsenat sieht das anders.

Ausgangspunkt seiner Entscheidung ist folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagte wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Hiergegen richtet sich die u.a. mit einer Verfahrensrüge begründete Revision des Angeklagten. Der Angeklagte hatte die Verwertung von in seiner Wohnung bei einer Durchsuchung gefundenen Betäubungsmitteln vor folgendem Hintergrund gerügt: Die Wohnungsdurchsuchung erfolgte zunächst aufgrund eines gegen den gemeldeten Wohnungsinhaber F. wegen Betrugsvorwürfen richterlich angeordneten Durchsuchungsbeschlusses. Nachdem die Polizei durch eine offenstehende Tür die Wohnung betreten, niemanden angetroffen, aber zufällig Rauschgift gefunden und teilweise sichergestellt hatte, wechselte sie das Schloss aus und wartete. Als der Angeklagte die Wohnung betreten wollte, wurde er festgenommen. Am nächsten Tag setzten die Polizeibeamten die Durchsuchung fort und stellten weitere Betäubungsmittel sicher. Der Verwertung der an diesem Tag sichergestellten Beweismittel hatte der Verteidiger in der Hauptverhandlung widersprochen; nur insoweit rügt die Revision einen Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot. Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg:

„bb) Der Vortrag zum Widerspruch ist unvollständig. Hängt die Beachtung eines Beweisverwertungsverbots in der Revisionsinstanz von der Erhebung eines Widerspruchs in der Hauptverhandlung ab, muss der Revisionsführer hierzu vollständig vortragen (vgl. Cirener/Herb, aaO, S. 99 mwN).

(1) Die Erhebung eines Widerspruchs ist auch bei Beweisverwertungsverboten, die aus Fehlern bei einer Wohnungsdurchsuchung resultieren sollen, Voraussetzung einer entsprechenden Revisionsrüge. Soweit der 2. Strafsenat – in diesem Punkt nicht tragend – die gegenteilige Auffassung vertreten hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 2 StR 46/15, BGHSt 61, 266 = NStZ 2017, 367 m. Anm. Basdorf; offen gelassen von BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 296 f.), vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Beweisverwertungsverbote, die aus einem Verstoß gegen Verfahrensvorschriften bei der Beweisgewinnung abgeleitet werden, werden durch den jeweiligen Gesetzesverstoß begründet und sind in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 230/16, NJW 2017, 1828, 1829 mwN, und vom 22. Februar 2018 – StB 29/17, Rn. 24). Unterlässt es der verteidigte Angeklagte, in der Hauptverhandlung der Beweisverwertung zu widersprechen, führt dies für die Revision zur Rügepräklusion (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14, BGHSt 60, 38, 43 f. mwN; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 27. September 2016 – 4 StR 263/16, und vom 9. November 2005 – 1 StR 447/05, BGHSt 50, 272). Das Recht, sich auf das Verwertungsverbot zu berufen, geht verloren, wenn der verteidigte (oder entsprechend belehrte) Angeklagte in der tatrichterlichen Verhandlung der Verwertung und der ihr vorangehenden Beweiserhebung nicht widersprochen hat (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 226 mwN).

Sinn und Zweck der Widerspruchsobliegenheit ist es, auf den Einwand des Betroffenen hin dem Tatgericht in der Hauptverhandlung die Möglichkeit und Veranlassung zu geben, dem gerügten Verfahrensfehler freibeweislich im Einzelnen nachzugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 42 f.). Dem verteidigten Angeklagten (und den sonst von einem Beweisverwertungsverbot Betroffenen) wird im Interesse der Schonung von Justizressourcen – orientiert am Subsidiaritätsgedanken – die frühestmögliche zumutbare Geltendmachung einer Rechtsverletzung abverlangt, um in der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht die Frage des Verwertungsverbots eingehend prüfen und gegebenenfalls Abhilfe schaffen zu können (vgl. ausführlich dazu Basdorf, StV 2010, 414, 416; Mosbacher, FS Rissing-van Saan, 2011, S. 357 ff. mwN). Dementsprechend folgt die Begründung des Widerspruchserfordernisses nicht aus der Dispositionsbefugnis des Angeklagten, sondern aus dem Gedanken subsidiären Rechtsschutzes. Eine Differenzierung des Widerspruchserfordernisses innerhalb unselbständiger Beweisverwertungsverbote überzeugt deshalb nicht (Basdorf, NStZ 2017, 370, 371).“

Wer sich also über die Entscheidung der 2. Strafsenats gefreut und gemeint hatte, die Widerspruchslösung sei – zumindest teilweise – tot, der wird nun auch vom 5. Strafsenat eines Besseren belehrt, getreu dem Spruch: Totgesagte leben länger. Und ich wage die Voraussage: Die anderen Strafsenate werden die bzw. „ihre“ Widerspruchslösung mit Zähnen und Klauen verteidigen. Das ist dem Beschluss des 5. Strafsenats mehr als deutlich anzumerken. Und: Die Argumentation/Begründung für die Widerspruchslösung ändert sich. War es früher die „Dispositionsbefugnis des Angeklagten“, die im Vordergrund stand (vgl. u. BGHSt 38, 214), sind es jetzt das „Interesse der Schonung von Justizressourcen – orientiert am Subsidiaritätsgedanken“ und der „Gedanken subsidiären Rechtsschutzes“. Die knappen Justizressourcen erlauben inzwischen also alles, wohl auch selbst die Verwertung kontaminierter Beweismittel.

3 Gedanken zu „Die Widerspruchslösung lebt, oder: Totgesagte-/geglaubte leben länger

  1. Ein Leser

    Zum Glück überwiegt in unseren Rechtssystem immer noch die Wahrheitsfindung.
    Denn, mal ehrlich: Wären das nicht seine Drogen gewesen, die da sichergestellt worden sind, warum hat er dann dann nicht sofort gesagt? Wenigstens seinem Anwalt?
    Wenn der Angeklagte nicht die Wahrheit sagen möchte, dann soll er halt die Klappe halten. Aber dann muss er auch mal ein Urteil akzeptieren, dass auf wahren Tatsachen beruht, und nicht noch versuchen, diese in weiteren Instanzen zu verschleiern.
    Dieses „erstmal das Urteil abwarten und später weiter taktieren“ mag ja für Anwälte toll sein, aber es belastet unser Rechtssystem über die Maße und sollte unterbunden werden.

  2. H.Miek

    Ja ja, lieber “ Leser „, die hehre Wahrheitsfindung ist doch das wichtigste. Wie man da hingelangt, scheint nicht mehr wichtig zu sein. Leser , mir graut vor dir und deinen Ansichten

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