Nun, alle den 1. Mai gut überstanden? Hier in Münster war mal wieder die Hölle los. Nein, keine Krawalle, aber HordenGruppen junger/jüngerer Leute, die durch die Stadt ziehen und dabei die mitgeführten Ghettoblaster so laut stellen, dass jeder hören kann – ob er will oder nicht -, welche Musik man mag. Ich mag die Musik allerdings nicht. Aber wahrscheinlich werde ich dann doch alt 🙂 .
Zur Sache und damit zu Jura. Als erstes das AG Coesfeld, Urt. v. 26.02.2018 – 3b OWI-89 Js 2030/17-306/17, das mir der Kollege H. Urbanzyk aus Coesfeld – mein Imker 🙂 – hat zukommen lassen. Das Urteil lässt mich – hoffentlich nicht nur mich – ein wenig ratlos zurück. Abgesehen davon, dass der Amtsrichter wohl keine Korrektur gelesen hat – es sind eine ganze Reihe Tippfehler pp. vorhanden -, was man jedoch schnell vergisst – passiert mir hier auch immer wieder und es bleiben Tippfehler in den Postings, bleibt eine – allerdings wichtige – Frage:
Welches Recht hat das AG denn nun angewendet? Es handelt sich um einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO, also „Mobiltelefon“ im Straßenverkehr. Tatzeit war nach den Feststellungen der 19.06.2017, die Neuregelung des § 23 Abs. 1a StVO (vgl. dazu hier Elektronische Geräte/Mobiltelefon im Straßenverkehr aus ZAP Heft 8/2018, F 9 S. 987) ist aber erst am 19.10.2017 in Kraft getreten. Also hätte noch die alte Regelung angewendet werden müssen. Die hat das AG aber nicht angewendet, denn im Urteil heißt es u.a.: „Auch die hier anzuwendende neue Fassung des § 23 Abs. 1a StVO setzt nicht voraus, …„. Also neue Regelung, wofür dann auch die weiteren Ausführungen sprechen? Oder vielleicht doch nicht? Denn die vom AG ausgeurteilten Rechtsfolgen entsprechen der alten Regelung. Die sah nämlich nur eine Regelgeldbuße von 60 € vor, die das AG auch als Basis bei der Bußgeldbemessung zugrunde gelegt hat. Nach der neuen Regelung hätte es aber von 100 € ausgehen müssen. Also, Wirrwarr.
Und in der Sache: Es handelt sich um einen dieser „Klemmerfälle“, denn das AG stellt fest: „Dabei konnten [sie = die beobachtenden Polizeibeamten] den Betroffenen sehen, der mit seinem Fahrzeug auf dem rechten Fahrstreifen weiterfuhr und dabei ein Mobiltelefon mit der linken Schulter ans linke Ohr presste und in das Mobiltelefon sprach. In der Anhaltesituation befand sich das Mobiltelefon in einer Halterung an der Windschutzscheibe. „
Jetzt lassen wir es mal dahingestellt, ob die Polizeibeamten wirklich alles das haben sehen können, was das AG feststellt. Zumindest haben es wohl nicht „die“ (drei) Polizeibeamten gesehen, denn zwei haben sich nach den Ausführungen des AG nicht konkret erinnern können. Und ob der dritte alles hat sehen können und das Mobiltelefon „wiedererkannt“ hat….. na ja. Aber ist Beweiswürdigung….
Das AG sieht die o.a. Situation als einen Fall des § 23 Abs. 1a StVO an, und zwar wohl sowohl nach altem als auch nach neuem Recht – s.o. „Wirrwarr“. Das begründet es wie folgt:
„Die Benutzung des Mobiltelefons im Sinne dieser Vorschrift durch ein Halten oder Aufnehmen ist nach Auffassung des Gerichts auch durch ein Einklemmen des Mobiltelefons zwischen Schulter und Ohr erfüllt, da auch durch diese Handhabung ebenfalls die verbotene Ablenkung des Verkehrsteilnehmers verbunden mit seiner körperlich eingeschränkten Bewegungssituation eintritt. Auch die hier anzuwendende neue Fassung des § 23 Abs. la StVO setzt nicht voraus, dass das Mobiltelefon mit der Hand aufgenommen oder gehalten wird. Es ist weiterhin nur die Rede von „aufgenommen“ oder „gehalten“, während im Hinblick auf die nun erfassten elektronischen Geräte zahlreiche Neuerungen und Ergänzungen erfolgt sind. Aus diesem Kontext heraus zeigt sich jedoch deutlich die Intention des Gesetzgebers, der weiterhin alle Verhaltensweisen sanktionieren will, die zu einer Ablenkung des Verkehrsteilnehmers durch, elektronische Geräte führt. Bei den zugelassenen elektronischen Geräten nach § 23 Abs. la Nr. 2 a) und b) StVO fällt auf, dass diese nur erlaubt sind, wenn sie mit einer Sprachsteuerung oder Vorlesefunktion ausgestattet sind und mit dieser benutzt werden oder nur eine kurze Blickzuwendung zum Gerät erforderlich ist, Ein längeres Berühren eines elektronischen Gerätes oder gar ein haltekrafterforderndes Tragen am Körper ist auch weiterhin nicht gestattet. Dies wird auch deutlich unter Berücksichtigung von § 23 Abs. la S. 3 StVO, der selbst ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät wie eine Videobrille verbietet, obwohl das Tragen dieses elektronischen Gerätes die Bewegungsfreiheit des Fahrzeugführers in körperlicher Hinsicht nicht einschränkt. Umso mehr muss deshalb ein Halten eines elektronischen Gerätes zwischen Schulter und Ohr von diesem Verbot erfasst sein, da diese verkrampfte Körperhaltung das Sichtfeld des dadurch schräg und leicht gebückt sitzenden Fahrzeugführers einengt und zugleich seine Reaktionsmöglichkeiten bei der Benutzung des Lenkrades einschränkt, da eine Schulter mitsamt des Armes dauerhaft mit Muskelkraft dafür sorgen muss, dass das Mobiltelefon an das Ohr des Fahrzeugführers gepresst wird. Auch wenn die Rechtsprechung bisher nicht explizit auf diese Positionierung eines Mobiltelefones Bezug genommen hat, so steht diese Auslegung doch im Einklang mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm, welches noch zum alten Wortlaut des Tatbestandes ausgeführt hat, dass die Vorschrift nach der gesetzgeberischen Intention gewährleisten soll, ist der Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobiltelefons beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgaben frei hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.12.2012, 5 RBs 4/12). Beim Einklemmen des Mobiltelefons zwischen Schulter und Ohr hat der Fahrzeugführer gerade nicht beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgaben frei, da eine Hand lediglich kraftlos auf das Lenkrad gelegt werden kann, während die gesamte Muskelkraft der Schulter und Armpartie auf die Fixierung des Mobiltelefons verwandt werden muss und gerade nicht für die Bewältigung der Fahraufgaben verwendet werden kann.“
Nun ja, ob das in der Argumentation so richtig ist? Ich habe das zwar auch mal so vertreten, bin davon aber abgerückt. Denn m.E. braucht man diese Klimmzüge – oder besser: Klemmzüge 🙂 – auch gar nicht. Denn legt man die obergerichtliche Rechtsprechung zugrunde, wonach Benutzung – in der Vergangenheit des Mobiltelefons, jetzt: des elektronischen Geräts – nicht nur der eigentliche Nutzungsvorgang ist – hier also das Telefonieren, sondern auch alle damit zusammenhängenden Vor- und Nachbereitungsarbeiten/-handlungen, dann reicht auch das Telefonieren mit dem „eingeklemmten“ Gerät. Das wird zwar nicht (mehr) gehalten/aufgenommen, aber es hat gehalten/aufgenommen werden müssen, um zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt zu werden – Vorbereitung – und dann, um in die „Halterung an der Windschutzscheibe“ – Nachbereitung – gesteckt zu werden. Und für beides wird – neues Recht – mehr als eine „nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich“ gewesen sein. Allerdings haben wir ggf. das Problem, wann denn nun der Betroffene das Gerät eingeklemmt hat. Vielleicht ja schon vor Anlassen des Motors? Aber das dürfte dann ein wenig (?) der Lebenserfahrung widersprechen.
Das Urteil ist übrigens rechtskräftig geworden. Nein, nicht der Kollege Urbanzyk hat es rechtskräftig werden lassen, der war nämlich nur Unterbevollmächtigter. Sondern die Kollegen, die den Betroffenen als Hauptbevollmächtigte vertreten/verteidigt haben. Allerdings: Selbst wenn das OLG Hamm im Rechtsbeschwerdeverfahren einen Rechtsfehler angenommen hätte, der, da nicht klar ist, welches Recht denn nun angewendet worden ist, m.E. vorliegt, hätte sich immer noch die Frage des Beruhens (§ 337 StPO gestellt. Und da kann man sagen – wenn man mal alle anderen Fragen außen vorlässt: Auf dem Fehler beruht das Urteil nicht, denn es sind ja nur 80 € Geldbuße – auf der Basis 60 € Regelgeldbuße – festgesetzt worden. Nach neuem Recht hätten es aber mindestens 100 € sein müssen.
Man sieht an dem Urteil übrigens sehr schön, welche Mühe/Arbeit es macht, wenn Amtsgerichte nicht sorgfältig arbeiten.
Warum man Zweifel haben soll, dass der Polizeibeamte das so beobachten konnte, weiß ich nicht. Ich sehe so etwas auch täglich, und zwar sowohl wenn ich mit dem Auto fahre als auch vom Fahrrad aus oder zu Fuß. Sei es an Ampeln (….mit laufendem Motor natürlich, ohne Stop-Motion…) oder bei entgegenkommenden oder vorbeifahrenden Fahrzeugen. Schulterklemmen ist da noch das harmloseste, gerade heute morgen habe ich gesehen, wie ein verhinderter Zirkuskünstler freihändig in der Straßenmitte fahrend mit zwei Händen sein „Endgerät“ bediente. Und nein, es war sicher kein Schokoriegel, kein Rasierer und kein Stück Holz, oder womit man sich sonst so nebenbei beim Autofahren beschäftigt.
Wenn Sie bei dem Urteil keine anderen Sorgen haben 🙁
Habe ich schon, aber Sie haben die Frage, ob die Wahrnehmung zutreffend sei, in Ihrem Beitrag ja explizit thematisiert,ganz so off-topic ist mein Kommentar mE daher nicht…
Und die kann man doch auch wohl haben. Der eine hat alles gesehen, die anderen nicht. Und das bei einer ganz gewöhnlichen Vorbeifahrt auf der BAB. Da erkenne ich dann ein „schwarz-silbernes Mobiltelefon.“….
Kann dem Kollegen Burhoff nur beipflichten: Es ist immer wieder zu beobachten, wie aus einem kurzen Blick eine (der flüchtigen Verkehrssiuation geschuldete) oberflächliche Beobachtung, dann eine (durchaus naheliegende) Schlussfolgerung, eine Anzeige mit Verschriftlichung des vermuteten (aber eben oft nicht abschließend aufgeklärten) Sachverhalts wird, der dann (mangels konkreter Erinnerung) kurz vor dem Termin gelesen und im MV-Termin abgespult wird. Manchmal wird dem Anzeigeerstatter (im Falle eines ausdrücklichen Eingestehens der mangelnden konkreten Erinnerung an den Einzelfall) auch im MV-Termin der in der Anzeige notierte Text vorgehalten und es erfolgt refexartig die Vermutung: „wenn ich’s damals so aufgeschrieben habe, ist das auch so gewesen“. Eine ernsthafte Reflexion, ob damals im vorbeifahrenden Kfz konkret sicher ein Mobiltelefon gesichtet wurde, das zur Bedienung aufgenommen oder gehalten wurde, oder ob damals ein Gegenstand gesehen wurde, der damals (aus welchen un-/zutreffenden Gründen auch immer) für ein Mobiltelefon gehalten worden ist, geschieht gerade bei jüngeren, besonders motivierten Anzeigeerstattern oft nicht. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt aus der Anzeige geschieht umso weniger, je größer der Anzeigeerstatter die „Gefahr“ sieht, dass der vermeintliche Delinquent trotz „klarer“ (mit bester Intention und besten Gewissens selbst geschaffener) Aktenlage davonkommen könnte, weil ein vernünftiger Zweifel an der Tatbestandsverwirklichung verbleibt. Denn dann wird dem Anzeigeerstatter klar, dass er den Sachverhalt hätte erschöpfender aufklären müssen und dass alles Mühen (des von Unterbesetzung, Überbelastung und Schichtdient Zermürbten) „für die Katz‘“ war. „Was wird wohl der Vorgesetzte dazu sagen…?“ In dieser Not wird dann (verständlicher-) aber unzulässigerweise leider auch schon einmal der Graubereich am Rande der Wahrheitspflicht gestreift/geschleift…und (zu) selten bekommt die Akte einen neuen roten Aktendeckel… Dabei kann sich ein Rechtsstaat eher einen ungesühnten Verkehrs-Rowdy leisten als einen übereifrigen Berufszeugen, der (gar nicht einmal in verwerflicher Absicht) in Überdehnung seiner Wahrheitspflicht einen echten Delinquenten zur Strecke bringt.
„Der Zeuge pp1 gab an hinten rechts gesessen zu haben, so dass er nachvollziehbarerweise einen direkten unverdeckten Blick auf den Betroffenen hatte, als der Streifenwagen diesen langsam überholte. Zudem war der Zeuge pp1 nicht mit anderen Aktivitäten oder dem Steuern des Streifenwagens beschäftigt, sondern konnte sich vollständig auf seine Beobachtungen des Verkehrs konzentrieren. So ist es auch sehr gut nachvollziehbar, dass er für 5 — 7 Sekunden den Betroffenen im Blick hatte, der nach seinen Angaben ein schwarz-silbernes Mobiltelefon mit einer typischen Geste zwischen linker Schulter und linkem Ohr eingeklemmt hatte und sprach, Dabei konnte der Zeuge pp1 nicht nur die Farbe des Handy erkennen, sondern konnte dieses in der Anhaltesituation auch in einer Halterung an der Windschutzscheibe wiedererkennen.“
Halte ich jetzt durchaus für plausibel, dass der Fahrer des VW Bus vielleicht nicht gerade nach rechts unten am Beifahrer vorbei etwas sieht, und dass bei einer Vorbeifahrt (die ja nicht ein Vorbeirasen sein muss) das Handy erkennbar ist.Mehr als Form und ungefähre Farbe kann man bei der Situation wohl eher nicht sehen, zumal wenn es eingeklemmt ist. Pink mit Straßsteinen wäre natürlich besonders individuell gewesen.
Es war doch nicht der Fahrer, der meint, etwas gesehen zu haben….