Das Schlecker-Verfahren beim LG Stuttgart war inzwischen auch schon beim BVerfG. Es ging allerdings nicht um den Vorwurf gegen die Angeklagten, sondern um eine sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der Strafkammer. Der Vorsitzende hatte im Verfahren eine sitzungspolizeiliche Anordnung erlassen, mit der u.a. die Zulässigkeit der Anfertigung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen am Rande der Hauptverhandlung geregelt wurde. Die Anordnung enthielt eine Beschränkung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal auf jeweils 10 Minuten vor Beginn der Verhandlung am ersten Sitzungstag und vor Beginn der Urteilsverkündung. An anderen Sitzungstagen kann danach auf Antrag die Anfertigung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen gestattet werden. Dementsprechend hat der Vorsitzende für den Verhandlungstag am 18.05.2017 die Anfertigung von Bildaufnahmen genehmigt. Anträge auf Gestattung der Anfertigung von Bildaufnahmen am 20.03., 25.04. und 02.05. wurden demgegenüber abgelehnt.
Nach erfolgloser Beschwerde hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde eingelegt, verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gegen das Film- und Fotografierverbot. Gerügt vornehmlich eine Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Das BVerfG hat mit dem BVerfG, Beschl. v. 17.08.2017 – 1 BvR 1741/17 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
„2. Die vorliegend bereits erhobene Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die danach gebotene Folgenabwägung fällt jedoch zuungunsten der Beschwerdeführerin aus.
a) Anordnungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG, mit denen die Anfertigung von Bildaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung untersagt oder Beschränkungen unterworfen wird, stellen Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGE 91, 125 <134 f.>; 119, 309 <320?f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. September 2016 – 1 BvR 2022/16 -, juris, Rn. 3). Diese umfasst die bildliche Dokumentation des Erscheinens und der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal (vgl. BVerfGK 10, 435 <438>). Beim Erlass solcher Anordnungen hat der Vorsitzende der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 91, 125 <138 f.>; 119, 309 <321>). Bei der Ermessensausübung sind einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung zu beachten (vgl. BVerfGE 103, 44 <64>; 119, 309 <322>).
b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, wären Bildaufnahmen der Verfahrensbeteiligten im Umkreis des Strafverfahrens gefertigt und verbreitet worden, auf die weder die Beschwerdeführerin noch die Öffentlichkeit Anspruch hatten. Erginge die einstweilige Anordnung dagegen nicht, erwiese sich aber die Verfassungsbeschwerde als begründet, so wäre die Pressebildberichterstattung über das Strafverfahren nur in begrenzterem Umfang möglich gewesen als von der Pressefreiheit verbürgt. Die hieraus nach dem bisherigen Sachstand zu erwartenden Nachteile für die Pressefreiheit wiegen indes nicht so schwer, als dass schon im Verfahren des Eilrechtsschutzes weitergehende Möglichkeiten der Bildberichterstattung durch die Beschwerdeführerin angeordnet werden müssten.
Zwar besteht aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit der hier in Rede stehenden Straftaten ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem in Rede stehenden Strafverfahren (vgl. BVerfGE 35, 202 <230 f.>; 119, 309 <321 f.>), und begründen Einschränkungen der Berichterstattung insofern grundsätzlich einen gewichtigen Nachteil für die Pressefreiheit im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG. Bildaufnahmen der Verfahrensbeteiligten werden durch Ziffer 5 Satz 1 in Verbindung mit Ziffer 6 der angegriffenen Anordnung jedoch nicht vollständig verboten. Namentlich an den regelmäßig besondere öffentliche und mediale Aufmerksamkeit genießenden Terminen eines Strafverfahrens, dem Beginn der Hauptverhandlung und der Urteilsverkündung, sind Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal nach der angegriffenen Anordnung gestattet, auf die im Rahmen der weiteren Berichterstattung auch zurückgegriffen werden kann.
Darüber hinaus können nach Ziffer 6 der angegriffenen Anordnung Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal vor anderen Verhandlungstagen oder in Sitzungspausen auf Antrag vom Vorsitzenden genehmigt werden. Von dieser Möglichkeit hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 18. Mai 2017 Gebrauch gemacht und weitere Bildaufnahmen zugelassen. Nach der Begründung der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts beruht die Versagung weitergehender Bildberichterstattung auf der Planung des Verhandlungsverlaufs und deren zunächst im Vordergrund stehenden Fokus, aussageverweigerungsberechtigte Zeugen zu einer Aussage zu bewegen, und hat somit nur vorläufigen Charakter. Dieser soll es ermöglichen, in Abhängigkeit des weiteren Verlaufs der Verhandlung eine Abwägung der widerstreitenden Interessen tagesgenau vorzunehmen. Von daher ist zu erwarten, dass der Vorsitzende über entsprechende Anträge auf Zulassung von Ton-, Bild- und Filmaufnahmen auch zukünftig so zeitnah entscheidet, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Pressefreiheit nicht leerläuft, und die tatsächlichen Umstände, die Beschränkungen der Pressefreiheit im Einzelfall erforderlich machen, konkret darlegt und sie damit rechtlich überprüfbar macht. Um den Eingriff in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu rechtfertigen, muss er seine Entscheidung dabei jeweils auf konkrete, auf Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogene Gründe zum Schutz der Angeklagten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten, eines ungestörten Verlaufs der Sitzung oder der Bedingungen für eine ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung stützen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 31. Juli 2014 – 1 BvR 1858/14 -, NJW 2014, S. 3013 <3014>). Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Rundfunk als solche und damit notwendig verbundene untergeordnete Auswirkungen auf die Flüssigkeit des Verfahrensablaufs rechtfertigen demgegenüber das Verbot der Erstellung von Bildaufnahmen ebenso wenig wie nicht weiter konkretisierte Auswirkungen eines Medienrummels oder das Bedürfnis der Verfahrensbeteiligten an einer stressfreien Teilnahme an den Verhandlungsterminen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. September 2016 – 1 BvR 2022/16 -, juris, Rn. 8).“