Wer gedacht hatte, das Münchener NSU-Verfahren würde nun nach vier Jahren ruhig auf die Zielgerade einbiegen, der hat sich getäuscht. Denn – wie nicht anders zu erwarten – es hat auch um die Plädoyers der Bundesanwälte, die mit 22 Stunden Dauer angekündigt worden sind, Diskussionen gegeben. Und wie nicht anders zu erwarten, haben die Verteidiger beantragt, diese (auf Toband) aufzunehmen und wie – nochmals nicht anders zu erwarten – haben die Vertreter des GBA das abgelehnt. Und der Senat beim OLG München ist ihnen – wenn ich die Berichterstattung über den gestrigen Hauptverhandlungstag richtig verstehe – (zunächst) gefolgt (vgl. hier die SZ).
Daran hat sich dann eine Diskussion entwickelt, über die die SZ auch berichtet. Da heißt es dann:
„Bundesanwalt Herbert Diemer wehrte sich heftig. Die Staatsanwälte seien „keine rechtlosen Gesellen“, die kein Persönlichkeitsrecht hätten. Sie seien auch nicht verpflichtet, ihre Plädoyers an „jeglichen Verständnishorizont anzupassen“. „Wir machen hier keinen Stuhlkreis, sondern das ist ein Prozess. Und die Strafprozessordnung sieht es nicht vor.“
Da möchte man ihm zurufen: Das ist richtig Herr Diemer, aber: Auch die Angeklagten – egal welchen Vorwurf man ihnen macht – sind keine „rechtlosen Gesellen“, sondern – so jedenfalls noch die Rechtsprechung des BVerfG – „Subjekt des Strafverfahrens“ und nicht nur „Objekt“, die alles hinzunehmen haben, so wie es sich der GBA ggf. denkt. Manchmal hat man den Eindruck, dass das dann doch übersehen wird, woran sicherlich auf die „Opfergesetzgebung“ der letzten Jahre Mitschuld trägt. Und ihr „Verständnishorizont“ spielt schon auch eine Rolle.
Zu der Problematik – „Bandaufnahme?“- gibt es übrigens ja auch bereits Rechtsprechung, allerdings wohl nur von einigen OLG, die sehr stark auf das vom Vorsitzenden aus zu übende Ermessen abstellt. Denn eins ist klar und das weiß die Verteidigung auch: Einen Rechtsanspruch auf Bandaufnahme haben die Angeklagten und die Verteidiger nicht, aber sie haben einen Anspruch auf (fehlerfreies) Ermessen in der Frage. Und ob das bislang richtig ausgeübt ist/war, kann man vielleicht bezweifeln. Jedenfalls überzeugt mich die in der Presse mitgeteilte Begründung für die Ablehnung: „Doch das Gericht lehnte den Wunsch rundweg ab und erklärte, gegen den Willen der Bundesanwälte sei das unmöglich, denn sonst würden deren Persönlichkeitsrechte verletzt. Außerdem seien die Verteidiger doch erfahrene Juristen und in die Materie eingearbeitet, sie könnten mitschreiben.“ nicht.
Wieso das Einverständnis der Bundesanwälte erforderlich sein soll, sehe ich nicht – das NSU-Verfahren ist doch keine „Privatveranstaltung“, oder, um im Bild zu bleiben“, ein „Stuhlkreis“. Auf das Argument ist m.E. bislang auch noch nicht in der Rechtsprechung abgestellt worden. Und der Vorhalt: „Könnt doch Mitschreiben„, nun ja. Wer kann schon 24 Stunden mitschreiben. Ich vermisse dann im Übrigen auch – jedenfalls in der Berichterstattung – vor allem ein Eingehen auf die Belange der Angeklagten, die das Plädoyer ja nun auch verstehen sollen/müssen. Können die so lange aufmerksam sein und mitschreiben? Muss man da nicht ggf. die Aufnahme zulassen, auch wenn es denn Vertretern des GBA nicht passt.
Das alles wird diskutiert. Ergebnis: Der Senat scheint seine Entscheidung überdenken zu wollen. Jedenfalls kann man so die Vertagung auf den kommenden Dienstag deuten. Vielleicht überlegt er sich ja auch „Bandaufnahmen unter Auflagen“, nämlich mit einem Weitergabeverbot der Mitschnitte. Das Argument: „Es könne zu Versprechern kommen, man werde dann in der Öffentlichkeit vorgeführt.“ sollte an der Stelle keine Rolle spielen. Die Gefahr besteht auch, wenn nicht aufgenommen wird. Im Übrigen: „Sie nehmen doch nicht an einem Stuhlkreis teil, Herr Diemer“.
Nachtrag: Zum Volltext des OLG München-Beschlusses geht es hier: „Wir machen hier keinen Stuhlkreis“ II, oder: Schutz der Persönlichkeit des Bundesanwalts, im Volltext.
Kann jemand bzgl. der Problematik rund um die mgl. Tonbandaufzeichnung die ggf. einschlägigen Vorschriften benennen?
Das ist eine schon nicht unkomplizierte Problematik, die u.a. bei § 169 GVg angesiedelt ist.
Vielen Dank für den Hinweis!
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Da ich in diesen Sphären des Strafrechts nicht regelmäßig verkehre hier die vielleicht etwas laienhaft anmutende Frage:
In den RAF – Prozessen der 70er Jahre gab es definitiv Tonbandaufzeichnungen
http://www1.wdr.de/archiv/deutscher-herbst/deutscher-herbst-stammheim-tonbaender-100.html
Warum soll das heute nicht mehr möglich sein? Schliesslich handelt es sich bei diesem Verfahren auch um eines mit erheblich überdurchschnittlicher Bedeutung welches wohl auch in einigen jahrzehnten noch die Forschung beschäftigen wird. Die Beteiligten und ihre Plädoyers sind daher Teile der Zeitgeschichte – und das Verfahren ist auch nicht mit „normalen“ (ich weise hier ausdrücklich auf die Anführungsstriche hin) Tötungsverfahren vergleichbar, so dass daher auch eine Gleichbehandlung mit anderen Verfahren nicht zwingend geschehen muss.
Und zudem muss vor dem Hintergrund des Rechtes auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK eine vernünftige Information des Angeklagten über den Anklagevorwurf am Ende der Beweisaufnahme (ich sehe das Abschlussplädoyer des Bundesanwalts als Fortschreibung der Anklageschrift, die dem Angeklagten ja auch zugestellt werden muss) gewährleistet sein. Das ist in Standardverfahren sicherlich durch zuhören und mitschreiben möglich – bei einem mit 27 Stunden angekündigten Plädoyer ist man jedoch ausserhalb der Standardsituationen im Gerichtssaal.
Während man sich vor einigen Jahren noch durch das Anheuern einer Stenographin aus diesem Dilemma hätte befreien können, ist dieses nun wohl nur noch schwerlich möglich, da Steno allenthalben durch elektronische Aufzeichnungssysteme ersetzt wurde. Da ein Mitschreiben in der gebotenen Geschwindigkeit über die erforderliche Dauer heute mangels qualifizierter Schreibkräfte nicht mehr möglich ist, muss folglich auch das Gericht mit der Zeit gehen und elektronische Aufzeichnungen zulassen.
Bezeichnend, dass die Tonbandaufnahme abgelehnt wurde. Ich kenne die Rechtslage nicht, sehe aber schon darin ein Verfahrenshindernis. Wenn nicht aufgezeichnet wird, kann der Prozess m. E. nicht fortgeführt werden. Es kann nicht angehen, dass in einem derart langwierigen und umfangreichen Prozess das Plädoyer der Bundesanwälte allen Ernstes mündlich erfolgen soll, ohne dass dies nachvollziehbar aufgezeichnet wird. Ein Mitschreiben ist keine Aufzeichnung bei einer Redezeit von mehreren Stunden. So etwas erachte ich als höchst unwissenschaftlich.
Persönlichkeitsrechte gibt es hier keine. Warum soll es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sein, wenn der Bundesanwalt seine Arbeit nachvollziehbar macht? Will er Larifari machen und sich wie im Wirtshaus für die Öffentlichkeit verborgen profilieren? Eine dümmere Begründung hätte man sich nicht einfallen lassen können.
Zudem gehört der Mitschnitt veröffentlicht, soweit bestimmte Informationen, die aus nachvollziehbaren Gründen nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen, entfernt wurden. Das Ganze ist doch kein geheimer Schauprozess.