Archiv für den Monat: Mai 2017

Wochenspiegel für die 21. KW., das war Deniz Yuecel vor dem EGMR, Kopftuch bei Gericht, Facebook und unflätiger Kommentar

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Die 21. KW. läuft ab. Aus ihr ist zu berichten. Allgemein war politisch eine Menge los. Wie nicht anders zu erwarten, wenn sich Donald Trump(el) auf den Weg macht und nach Möglichekit so viele Fettnäpfchen mitnimmt, wie sich ihm bieten. Daneben hat es auch aber noch andere Themen gebeten, über die ich dann hier berichte:

  1. Deniz Yuecel vs Türkei vor dem EGMR,
  2. Kein Kopftuch bei Gericht,
  3. Genauer hinschauen: Der Beschluss des BVerfG zu einer Abschiebung nach Griechenland,
  4. Polizei sucht auch auf Facebook nach Verkehrssündern,
  5. BGH: Keine Berücksichtigung der Betriebsgefahr beim Sicherungseigentümer, der nicht Fahrzeughalter ist,
  6. Wer betrunken fährt oder wild herumböllert, darf vorerst nicht Polizist werden,
  7. OLG Dresden: Leivtec XV3 mit zu lan­gem Kabel nicht stan­dar­di­siert – aber laut PTB trotz­dem zu­ver­läs­sig, solche Entscheidungen überraschen nicht mehr,
  8. Verteidigung gegen Nötigung im Straßenverkehr (§ 240 StGB),
  9. Straftatbestände im Dutzend billiger?,
  10. und dann war da noch: Unflätiger Kommentar 🙂 .

„Bekifft“ am Steuer, oder Entziehung der Fahrerlaubnis nach wie vor bei 1,0 ng/ml

In meinem Blogordner hing dann noch eine weitere Entscheidung (zum ersten Posting des heutigen Tages zum BayVGH, Urt. v. 25.04.2017 – 11 BV 17.33 und dazu Entzug der Fahrerlaubnis: Nicht ohne MPU nach einmaligem Fahren unter Cannabiseinfluss) zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt nach Cannabiskonsum. Es ist das OVG Münster, Urt. v. 05.03.2017 – 16 A 432/16 u.a. In ihm hat das OVG den (auch) von ihm angenommenen Grenzwert für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss bestätigt. Es gilt: Wer gelegentlich Cannabis konsumiert, ist ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml Serum nicht mehr geeignet, ein Kraftfahrzeug zu führen. Bei Überschreitung dieses Grenzwerts ist von einem fehlenden, aber erforderlichen Trennen zwischen dem Konsum des Betäubungsmittels und dem Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.

Betroffen von der Entscheidung waren drei Kläger, die bei Polizeikontrollen aufgefallen waren. Nach Blutentnahme wurde bei ihnen der psychoaktive Cannabisbestandteil THC in einer Konzentration von 1,1, bzw. 1,6 bzw. 1,9 ng/ml im Serum festgestellt. Daraufhin wurde ihnen die Fahrerlaubnis entzogen. Das OVG bestätigt seine Rechtsprechung, wonach die Grenze bei 1,0 ng/ml im Serum liegt.

Interessant an dem Urteil ist, dass das OVG nicht der sog. Grenzwertkommission folgt. Die hat 2015  für die Frage des Trennens einen Grenzwert von 3,0 ng/ml THC im Serum vorgeschlagen. Dem war schon das VG in den erstinstanzlichen Urteilen nicht gefolgt, sondern hat an dem bisherigen Wert festgehalten. Auch das OVG geht diesen (neuen) Weg nicht. Begründung bitte in dem umfangreichen Urteil selbst nachlesen. Ausschlaggebend war für das OVG, dass schon bei dem niedrigen Wert nicht in jedem Einzelfall mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden könne, dass Beeinträchtigungen von verkehrssicherheitsrelevanten Fähigkeiten der Betroffenen vorliegen. Nach der Anhörung des vormaligen und des derzeitigen Vorsitzenden der Grenzwertkommission als Sachverständige hat das OVG keinen durchgreifenden Grund für eine davon abweichende Gefährdungseinschätzung gesehen. Das gelte ungeachtet des von den Gutachtern dargestellten Umstandes, dass ein Wert von 1,0 ng/ml THC im Serum in Abhängigkeit vom individuellen Konsumschema gegebenenfalls auch nach einer längeren, also mehrtägigen, Abstinenz auftreten kann und dem Betroffenen eine Nachwirkung in solchen Fällen nicht notwendigerweise vor Augen stehen muss.

Die Leitsätze:

1. Auch in Ansehung der Empfehlung der Grenzwertkommission, für das Merkmal des Trennens zwischen Cannabiskonsum und Fahren einen Grenzwert von 3 ng/ml THC im Serum einzuführen, wird an dem bislang herangezogenen Grenzwert von 1 ng/ml THC im Serum festgehalten.
2. Dass ein wegen Cannabiseinfluss auffällig gewordener Führer eines Kraftfahrzeuges im Vorfeld dieses Auffälligwerdens zum ersten und einzigen Mal Cannabis konsumiert hat, kann nur dann geglaubt werden, wenn der Betroffene dies ausdrücklich behauptet und durch eine substanziierte, widerspruchsfreie und inhaltlich nachvollziehbare Schilderung der näheren Umstände des Konsums und des nachfolgenden Fahrentschlusses unterlegt.
3. Schon das einmalige Nicht Trennen zwischen Cannabiskonsum und Fahren durch einen gelegentlichen Cannabiskonsumenten trägt die Annahme fehlender Fahreignung und führt zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Die Revision ist vom OVG nicht zugelassen worden.

Entzug der Fahrerlaubnis: Nicht ohne MPU nach einmal Fahren unter Cannabiseinfluss

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Vor einiger Zeit sind in nahem zeitlichen Zusammenhang eine ganze Reihe von Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG und/oder zur MPU über die Ticker gelaufen. Es dauert dann immer ein wenig bis die Volltexte vorliegen. Allmählich trudeln sie nun ein. So zum BayVGH, Urt. v. 25.04.2017 – 11 BV 17.33, über das ich dann heute zunächst berichte. Es geht um einen 1994 geborenen Fahrerlaubnisinhaber, dem die Fahrerlaubnis nach einer einmaligen unter Cannabiseinfluss durchgeführten Fahrt, die als Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG geahndet wurde, entzogen worden war. Die Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Verwaltungsbehörde damit begründet, dass der Kläger, der gelegentlich Cannabis konsumiert hat, zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei, weil er den Konsum von Cannabis vom Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen könne. Eine medizinisch-psychologische Untersuchung oder sonstige weitere Aufklärungsmaßnahmen erfolgten nicht.

Dagegen dann die Klage, die beim BayVGH Erfolg hatte. Nach Auffassung des BayVGH ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmungen der Fahrerlaubnis-Verordnung, dass zuerst darüber hätte entscheiden müssen, ob eine medizinisch-psychologische Untersuchung des Klägers angeordnet wird. Es komme darauf an, ob aus dem Verhalten des Betreffenden der Schluss gezogen werden könne, dass er auch in Zukunft Fahren und Cannabiskonsum nicht trenne. Eine solche Beurteilung könne die Fahrerlaubnisbehörde im Regelfall – ebenso wie bei Alkoholfahrten – nur auf der Grundlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens treffen.

Der Leitsatz der Entscheidung:

Bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten kann die Fahrerlaubnisbehörde nach einer erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraft­fahrzeug unter der Wirkung von Cannabis grundsätzlich nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen. Vielmehr sieht § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV hierfür die Anord­nung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung im Ermessenswege vor.“

Der BayVGH hat die Revision zugelassen. Demnächst dann also zu der Frage etwas aus Leipzig 🙂 .

Ich habe da mal eine Frage: Bekomme ich die Nr. 4141 VV RVG ggf. zweimal?

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Im freitäglichen RVG-Rätsel heute dann mal wieder eine Frage aus dem RVG-Forum auf meiner Homepae „Burhoff-Online“. Da fragte ein Kollege:

„Hallo zusammen,

folgender kleiner Fall, bei dem ich ratlos bin, ob die Nr. 4141 VV nicht vielleicht 2 mal anfällt:

Anklage ist erhoben. Ich trage für den Mandanten unter Vorlage eines Sachverständigengutachtens vor,
Mandant sei zum Tatzeitpunkt schuldunfähig. Die StA nimmt die Anklage zurück.

Hierzu sagt die RVG (Straf- u. Bußgeld) Bibel: Nr. 4141 VV RVG (+)

Jetzt stelle ich bei der StA den Antrag, das Verfahren wegen §17 Abs.2 S.1 StPO einzustellen.

Wenn die StA nun das Verfahren nach § 170StPO einstellt, bekomme ich dann eine weitere Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG ?“

Die Frage musste ich allein schon wegen „RVG (Straf- u. Bußgeld) Bibel“ bringen 🙂 .

Nochmals: Wenn Strafkammern es besser können wollen, oder: Auf dem Weg zum Klassiker

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Ja: Nochmals. Denn ich hatte neulich schon über einen häufigeren Fehler in den tatrichterlichen Urteilen berichtet, der sich m.E. zum Klassiker entwickelt (vgl. dazu schon den BGH, Beschl. v. 29.09.2016 – 2 StR 63/16 – und  Das aussagepsychologische Glaubwürdigkeitsgutachten, oder: Wenn die Richter meinen, es besser zu können). Es geht um das Abweichen von einem vom Gericht eingeholten Sachverständigen. Der Umstand spielte auch in dem vom BGH mit dem BGH, Urt. v. 11.01.2017 – 2 StR 323/16 – entschiedenen Fall eine Rolle. Es ging um den Vorwurf eines bewaffneten Raubüberfalls auf ein Juweliergeschäft. Beteiligt waren drei Täter, zwei davon waren identifiziert. Ein dritter weiterer Täter, der mit einer Baseball-Kappe bekleidet war, hatte die Schaufensterscheibe des Geschäfts mit einer Axt von innen eingeschlagen und aus der Auslage zahlreiche Uhren sowie Modeschmuck, die er in eine Umhängetasche packte, entnommen. Der dritte Räuber wies – so das Landgericht – Ähnlichkeiten mit dem Angeklagten und dessen Bruder, Mi. B. , auf. Dass es sich tatsächlich um den Angeklagten handelte, war aber – trotz zahlreicher belastender Indizien – nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, so das LG.

Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte. Der BGH stellt – wiederum – einen Fehler in der Beweiswürdigung fest:

„Sie weist Lücken auf, weil nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise dargelegt ist, warum es dem Gutachten des  Sachverständigen Dr. Sch. , der es als „wahrscheinlich“ angesehen hat, dass der Angeklagte der (dritte) Täter mit der Adidas-Baseball-Kappe gewesen sei, nicht gefolgt ist.

Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen, um zu belegen, dass es über das bessere Fachwissen verfügt (vgl. BGH NStZ 2013, 55, 56). Es muss insbesondere auch dessen Stellungnahme zu den Gerichtspunkten wiedergeben, auf die es seine abweichende Auffassung stützt (vgl. BGH NStZ 2000, 550) und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (vgl. BGH NStZ 1994, 503).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht teilt zwar die Einschätzung des Sachverständigen mit, der bei einem Vergleich von Bildern des Angeklagten mit Aufnahmen einer Überwa-chungskamera von der Tatbegehung keine erheblichen Abweichungen festgestellt, zudem diverse Merkmalsähnlichkeiten erkannt und es insoweit als „wahrscheinlich“ angesehen hat, dass der Angeklagte mit dem Täter auf dem Über-wachungsvideo identisch sei. Die Strafkammer legt auch noch dar, dass sie „dem nicht in vollem Umfang aus eigener Überzeugung zu folgen vermochte“, da die von dem Sachverständigen aus dem Videomaterial gewonnenen und für einen Vergleich herangezogenen Lichtbilder teilweise so unscharf gewesen seien, dass die Kammer die Konturen nicht mit der gleichen Sicherheit wie der Sachverständige als diejenigen des Angeklagten identifizieren konnte. Sie versäumt es aber, der eigenen Einschätzung von der mangelnden Qualität der Tatortbilder die Stellungnahme des Gutachters gegenüber zu stellen und zu erläutern, warum dieser in den Bildern (noch) eine hinreichende Grundlage für die Fertigung eines anthropologischen Gutachtens sieht und aus welchem Grund sie sich dem gleichwohl nicht anzuschließen vermag. Ohne nähere Kenntnis dieser Umstände ist es dem Senat – trotz einiger in Bezug genommener Lichtbilder, die die Strafkammer durchaus nachvollziehbar als „so verschwommen“ bezeichnet hat, dass sie hierauf verlässlich einen Vergleich nicht stützen konnte – nicht möglich nachzuprüfen, ob der Einschätzung der Strafkammer die hierfür erforderliche Sachkunde zugrunde liegt.“

Übrigens: Ggf. ein schneller und einfacher Erfolg für die Revision, da in diesen Fällen die Sachrüge reicht.