Die Lösung zu der Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Verfahrensgebühr nach Rücknahme der Anklage?, ist/war ganz einfach. Ich verweise dazu nämlich nur auf den AG Gießen, Beschl. v. 29.06.2016 – 507 Ds — 604 Js 35439/13. Aus der – mir vom Kollegenm Hauer aus Gießen – übersandten Entscheidung stammt der Sachverhalt und dann auch die Lösung: Die Kostenbeamtin hatte natürlich nicht Recht. Und demgemäß hat das AG sowohl die Nr. 4104 VV RVG und die Nr. 4141 VV RVG festgesetzt. Dazu aus dem Beschluss:
Zur Nr. 4104 VV RVG:
„Das gerichtliche Hauptverfahren wurde vorliegend noch nicht eröffnet, so dass die Staatsanwaltschaft die Anklage noch jederzeit zurücknehmen konnte, vgl. § 156 StPO. Als sie dies schlussendlich tat, versetzte sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens / vorbereitendes Verfahrens zurück (vgl. Meyer-Goßner StPO, 57. Aufl. § 156 Rn. 2), weshalb die Verfahrensgebühr Ermittlungsverfahren (gem. Nr. 4104 VV RVG) in Höhe von 165,00 EUR zusätzlich angefallen ist. Das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) wird durch die Rücknahme jedoch nicht berührt. Die Rücknahme kann darauf beruhen, dass die Klage nachträglich als unbegründet erscheint. In diesem Fall kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach der Rücknahme der Klage einstellen, was vorliegend schließlich auch am 11.03.2016 erfolgte. Dass eine Rücknahme der Anklage automatisch eine Einstellungsentscheidung nach § 170 Abs. 2 StPO nach sich zieht, ist hingegen nicht zwingend der Fall. Ebenso hätte die Klage erneut oder in abgeänderter Form eingereicht werden können. Auch kann die Rücknahme den Zweck verfolgen, das Verfahren nach den Opportunitätsbestimmungen der §§ 153 ff. StPO einzustellen. Durch die erfolgte Rücknahme der Klage ist vorliegend weder partielle, noch vollständige materielle Rechtskraft in dem Strafverfahren gegen die ehemals Angeklagte eingetreten.“
Dazu ist nur anzumerken: Das gilt natürlich nur, wenn der Rechtsanwalt im Verfahren bis dahin die Nr. 4104 VV RVG noch nicht verdient hatte, was hier der Fall war, „da hier dem Prozessbevollmächtigten erst nach Eingang der Anklageschrift bei Gericht Strafprozessvollmacht durch die ehemals Angeklagte erteilt wurde und er erst ab diesem Zeitpunkt seine Tätigkeit mit der Anforderung der Akten zur Einsichtnahme begann.“ Denn war er bereits im Ermittlungsverfahren tätig ist die Nr. 4104 VV RVG bereits entstanden und sie entsteht, da es sich um dieselbe Angelegenheit handelt, dann nach Rücknhame der Anklage nicht noch einmal (§ 15 RVG).
Zur Nr. 4141 VV RVG:
Auch die Gebühr für die entbehrliche Hauptverhandlung (gem. Nr. 4141 VV RVG) in Höhe von 165,00 EUR ist angefallen. In Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG ist der Fall der Einstellung des Strafverfahrens geregelt. In welchem Verfahrensstadium die Einstellung erfolgt, ist ohne Bedeutung. Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 enthält keine zeitliche Beschränkung mit Ausnahme des Umstandes, dass durch die Einstellung eine Hauptverhandlung entbehrlich geworden sein muss. Die Einstellung kann also sowohl im vorbereitenden als auch noch im gerichtlichen Verfahren erfolgen (vgl. Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Nr. 4141 W RVG Rn. 19). Unerheblich ist auch, ob die Staatsanwaltschaft oder das Gericht das Verfahren einstellt. Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG setzt jedoch eine nicht nur vorläufige Einstellung des Strafverfahrens voraus. Mit diesem Begriff ist nicht der prozessuale Begriff der „vorläufigen Einstellung“, wie er z.B. in § 154 Abs. 1 StPO verwandt wird, im Gegensatz zur endgültigen Einstellung gemeint. Der prozessuale und der gebührenrechtliche Begriff der vorläufigen Einstellung unterscheiden sich vielmehr. Gemeint ist mit „nicht nur vorläufig“ im Sinne des RVG, dass Staatsanwaltschaft und/oder Gericht subjektiv von einer endgültigen Einstellung ausgegangen sind, sie also das Ziel einer endgültigen Einstellung hatten (AnwKomm-RVG/N. Schneider, W 4141 Rn. 33 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, W 4141 Rn. 16; Burhoff, a.a.O., Nr. 4141 VV RVG Rn. 20). Eine wie vorliegend ergangene Einstellungsentscheidung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO ist auch nach Rücknahme der Anklage ein solcher Anwendungsfall der Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG (vgl. LG Köln StV 2004, 34 = AGS 2003, 544). Auch hat der hiesige Prozessbevollmächtigte an der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung mitgewirkt. Als Mitwirkung reicht jede Tätigkeit des Verteidigers aus, die geeignet ist, das Verfahren im Hinblick auf eine Erledigung durch Einstellung zu fördern (vgl. u.a. BGH RVGreport 2008, 431 AGS 2008, 491; OLG Stuttgart AGS 2010, 202). Es ist unerheblich, in welchem Verfahrensabschnitt die Mitwirkung erbracht wird (vgl. auch Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Nr. 4141 VV Rn. 14 ff.). Ausreichend ist, dass ein in einem früheren Verfahrensabschnitt erbrachter Beitrag des Verteidigers bei der Einstellung in einem späteren Verfahrensabschnitt, in dem es dann zur Erledigung des Verfahrens kommt, noch fortwirkt. Bereits nach Anklagezustellung riet vorliegend der Prozessbevollmächtigte der ehemals Angeklagten den Abschluss des Verfahrens gegen den gesondert Verfolgten pp. abzuwarten, da dessen Ausgang für vorliegendes Verfahren von Relevanz sei. Nach fernmündlicher Mitteilung der Anklagerücknahme im hiesigen Verfahren und Übersendung des freisprechenden Urteils gegen den gesondert Verfolgten pp., stellte der Prozessbevollmächtigte Hauer vor dem Hintergrund der oben bereits ausgeführten weiteren Handlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft nach einer Klagerücknahme nach Prüfung der weiteren Vorgehensmöglichkeiten mit Schriftsatz vom 03.03.2016 bei der Staatsanwaltschaft den Antrag auf Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO. Diesem Antrag wurde mit der Einstellungsentscheidung vom 11.03.2016 entsprochen.“
Also: Alles richtig gemacht….