Kurze Haare, lange Haare, oder: Die eigene Sachkunde der Amtsrichterin

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Und dann schiebe ich noch eine Entscheidung zur (fehlerhaften) Ablehnung eines Beweisantrages hinterher (vgl. dazu vorhin schon den BGH, Beschl. v. 03.12.2015 – 2 StR 177/15  und dazu: Beweisantrag oder Beweisermittlungsantrag? oder: Wenn es um die „Motivation“ geht?). Es ist der KG, Beschl. v. 11.12.2015 – 121 Ss 129/15, ergangen in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung. In ihm gab es eine Wiedererkennensproblematik. Der Angeklagte hatte den Vorwurf bestritten und hinsichtlich seiner Identifizierung durch die Zeugin vorgebracht, er habe entgegen deren Aussage am 15.06.2014 – dem Tattag – nicht „in etwa“ dieselbe (Kurzhaar-) Frisur wie in der Hauptverhandlung am 21. April 2015 getragen, sondern vielmehr schulterlange Haare.“ Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung dann beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass er am 15.06.2014 schulterlanges Haar gehabt habe, die Zeugen M, Z und D zu vernehmen. Diese Beweiserhebung werde die Aussage der Zeugin S, die den Angeklagten insbesondere aufgrund seiner in der Hauptverhandlung getragenen Kurzhaarfrisur identifiziert habe, widerlegen. Nachdem der Angeklagte auf Nachfrage des Gerichts erklärt hatte: „Ich hatte seit November 2013 schulterlanges Haar, vor zwei Wochen habe ich meine Haare gekürzt. Ich habe mein Haar nach hinten gegeelt, an der Seite waren sie kurz.“, hat das AG den Antrag mit folgender Begründung abgelehnt: „Der Antrag wird aus eigener Sachkunde abgelehnt. Die Vorsitzende kennt den Angeklagten seit geraumer Zeit. Seine Behauptung, dass er seit November 2013 bis vor kurzer Zeit lange Haare gehabt haben soll, ist so nicht zutreffend“. Die Ablehnung war fehlwerhaft, so das KG; denn:

„Die Revision dringt mit der zulässig erhobenen Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages auf Vernehmung der Zeugen … durch. Der den Beweisantrag ablehnende Gerichtsbeschluss genügt nicht den Erfordernissen des § 244 Abs. 3 StPO. Den Ablehnungsgrund der eigenen Sachkunde gibt es dort nicht. Auch eine Auslegung des Beschlusses in dem Sinne, dass das Gericht die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit für überflüssig gehalten hat, weil es gerichtskundig sei, wann der Angeklagte welche Frisur getragen habe, ist nicht möglich. Denn hierzu enthält der knapp gefasste Beschluss keine nachvollziehbaren, die Beweisbehauptung entkräftenden Angaben. Die ergänzenden Ausführungen in den Urteilsgründen vermögen die Mängel des Ablehnungsbeschlusses nicht zu heilen. ( … )“

b) Der Senat tritt diesen Ausführungen bei. Das Urteil beruht auf der fehlerhaften Behandlung des Beweisantrags. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn es die beantragten Beweise erhoben und sich die Beweisbehauptung bestätigt hätte. Ein Nachschieben von Ablehnungsgründen im Urteil kam nicht in Betracht (vgl. nur BGH StV 1990, 246 mwN).“

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