Den LG Zwickau, Beschl. v. 25.11.2015 – 1 Qs 174/15 – hat mir vor einigen Tagen der Kollege, der ihn „erlitten“ hat, übersandt. Ich habe mit dem Posten hier dann bewusst ein wenig gewartet, der erste Ärger über den Beschluss sollte verraucht sein. Aber es ist mal wieder eine Entscheidung, die mich ärgerlich macht. Es geht um die Gebührenbemessung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren. Dazu führt das LG dann aus:
„Entgegen der Auffassung im Beschwerdeschriftsatz ist vorliegend nicht grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen. Die Beschwerdekammer hält nach wie vor an ihrer Auffassung fest, wonach sich in Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten dann eine Festsetzung der anwaltlichen Vergütungsansprüche im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens ergibt, wenn unter strikter Beachtung der Umstände des Einzelfalls und unter Zugrundelegung der Gebührenbemessungskriterien aus § 14 RVG davon auszugehen ist, dass insgesamt eine Angelegenheit von unterdurchschnittlicher Bedeutung vorliegt. So wird in einfach gelagerten Verfahren im Regelfall davon auszugehen sein, dass sich die Gesamtgebührenansprüche des Verteidigers ergeben, die der Höhe nach im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens angesiedelt sind. So ist es auch hier. Die Akte umfasste zur erstmaligen Akteneinsicht 22 Blatt. Der eigentliche Ermittlungsvorgang ist recht kurz. Nach einer kurzen Einspruchsbegründung (weniger als eine Seite) stellte das Gericht das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG ein. Die Akte bedurfte auch für einen Verteidiger keiner erheblichen Vorbereitungsdauer. Besondere Umstände, die rechtfertigen, hier von der Mittelgebühr auszugehen, sind weder ersichtlich noch vom Beschwerdeführer nachvollziehbar vorgetragen.“
Ja, richtig gelesen. „…der Höhe nach im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens angesiedelt“. Wenn man das liest, fragt man sich, ob eigentlich mal ein Kammermitglied, das an einer solchen Entscheidung beteiligt war, durchgerechnet hat, was die Kammer dem Verteidiger mit einer solchen Entscheidung zumutet. Hier dürften eine Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr Nr. 5101 VV RVG, eine Verfahrensgebühr Nr. 5107 VV RVG und ggf. eine Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG entstanden sein. Geht man davon aus, dass man sich – was sich aus dem Beschluss leider nicht ergibt – im Bereich einer Geldbuße bis 60 € bewegt und legt man die Rahmen nach dem 2. KostRMoG zugrunde sowie die „Vorgabe“ des LG – „im unteren Drittel“ –, dann dürften sich die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG auf rund 65 € belaufen, die beiden Verfahrensgebühren Nrn. 5101, 5107 VV RVG auf je rund 40 € und die Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG – wenn sie entstanden ist – auf 65 €. Insgesamt sind das 210 €. 210 €, die dem Verteidiger aber ja nicht für sich verbleiben, sondern von denen er ja noch seinen „Betrieb unterhalten“ muss und den dann verbleibenden Rest dann noch versteuern darf. „Übrig“ bleiben dann für ihn etwa 50 – 60 €. Ja, und das für eine Besprechung mit dem Mandanten, Aktenanforderung, Akteneinsicht und Stellungnahme. Für den sich daraus ergebenden Stundensatz wird ein Fliesenleger kaum noch arbeiten wollen, und Richter tun es wohl auch nicht. Vielleicht sollte man das mal im Auge behalten, wenn man solche Beschlüsse erlässt.
Und m.E. ist der Beschluss auch darüber hinaus noch falsch, zumindest aber missverständlich. Denn das LG geht bei seinen Berechnungen/Ausführungen von der falschen Berechnungsgrundlage aus. Auszugehen ist nämlich – auch im Bußgeldverfahren – von der sog. Mittelgebühr. Diese ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls dann ggf. angemessen zu erhöhen oder zu ermäßigen. Die Kammer behauptet, das auch zu tun, tut es m.E. so aber nicht. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass sie davon ausgeht, dass straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren immer von unterdurchschnittlicher Bedeutung sind und „im Regelfall davon auszugehen sein [soll], dass sich die Gesamtgebührenansprüche des Verteidigers ergeben, die der Höhe nach im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens angesiedelt sind“. Damit wird also nicht von der Mittelgebühr ausgegangen, sondern vom „unteren Drittel“,
Wenn pünktlich zum Monatsersten vorschüssig R2 auf dem Konto eingeht, kann man prima solche Beschlüsse fassen.
Es ist ja leider kein Einzelfall, dass Richter uns die Gebühren (aus Neid?) erheblich kürzen. Dort wird wohl nicht erkannt, wie viel Arbeit, Verantwortung und Haftungsrisiko – aber auch Kosten für den Büroapparat – von uns getragen werden.
Ich weiß schon in welcher Urteilssammlung welcher Rechtsschutzversicherung ich diesen Beschluß wiederfinden werde…
Lieber Kollege Kümmerle: Warum schreiben Sie im Singular?
Die Gebühren sollen auch nicht im Einzelfall angemessen sein, sondern in der Gesamtheit (pauschcharakter der Gebühren). Wenn man nur 60 Euro – Knöllchen kann, hat man auch einen hohen Verdienst nicht verdient. ansonsten gleicht es sich aus.
Sorry, das ist gebührenrechtlicher Blödsinn?????
Wieso ist das denn Blödsinn?
Würde Ihnen vielleicht die Gesetzesbegründung auf die Sprünge helfen. Ich ging bisher davon aus, dass sie das wissen. Zu meinem Erstaunen ist das aber offenbar nicht der Fall.
Aber Herr Kollege,
„Durchgerechnet?“ Iudex noch calculat! 😉
Und überhaupt: Richter haben in aller Regel nicht unbedingt den Durchblick in RVG-Fragen – und wohl noch weniger von Betriebswirtschaft.
Wie wäre es denn, wenn man die Richterbesoldung entsprechend modifizieren würde? In „einfach gelagerten Verfahren“ gibt es nur ein Drittel des Salärs.
P.S. Schreiben hier eigentlich mehrere unter dem Pseudonym „Gast“ – oder ist das nur ein einziger notorischer Troll, der unter dem Deckmantel der Anonymität permanent stänkert?
Der gebührenrechliche Blödsinn wird auch vom Bundesverfassungsgericht so vertreten, etwa: – 1 BvR 1342/07 -. Die Gesetesvegründung, die gleiches enthält, suche ich die Tage raus und poste sie hier.
Bei § 14 RVG? Lassen Sie es.
Sie sind wahrlich ein Gebührenpapst 😉 Das gilt für das gesamte RVG. Weder die Festgebühren noch die Gebührenrahnen sollen im konkreten Mandat stets eine angemessene Honorierung gewährleisten. Vielmehr soll im Wege einer Mischkalkulation insgesamt (!) ein angemessenes Gebührenaufkommen bestehen. Nehmen Sie mal den RVG-Kommentar Ihres Kollegen Schneider zur Hand. Da steht das drin.
14 RVG lautet eben nicht: Der RA kann bei Gebührenrahmen die Gebühr festsetzen, die das Mandat angemessen vergütet.
siehe oben
Auch siehe oben.
Derzeit stehen ja wieder die Beratungen über die Geschäftsverteilung für das nächste Jahr an. Wenn man sich dabei anhört, wie zahlreiche Kollegen ob ihrer Belastung mit höchst komplexen und schwierigen Verfahren jammern, hält man es kaum für möglich, dass in den letzten Jahren auch nur ein einziger eher einfach gelagerter Fall über deren Tisch ging…
Mischkalkulation ist aber das richtige Stichwort. Nicht das einzelne Mandat soll sich rechnen, sondern alle Mandate in der Gesamtheit. Dafür reicht man auch so manche Kündigungsschutzklage ein, die nur 2 Seiten umfaßt. In der Güteverhandlung wird ein Vergleich geschlossen und als Streitwert das 3-fache Monatsgehalt + Zeugniswert, etc., festsetzt. 2.000,- Euro Umsatz für 60 Minuten Arbeit. Guter Stundenlohn.
Auf der anderen Seite hat man dann eben wieder Mietnebenkostenabrechnungen mit Streitwert 500,00 Euro und 14 gewechselten Schriftsätzen mit dem Gegenanwalt für 83,54 Euro. Schlechter Stundenlohn.
Ich finde das Kriterium leider nicht in § 14 Abs. 1 RVG.
Das müssen Sie auch nicht in § 14 RVG finden. Dieses Konzept liegt dem gesamten RVG zugrunde. Das BVerfG schreibt (Beschluß vom 13. Februar 2007, 1 BvR 910/05, 1 BvR 1389/05):
„Die gesetzliche Regelung geht typisierend vor und sichert daher nicht in jedem Einzelfall, dass die Gebühr genau dem Wert und dem Umfang der anwaltlichen Leistung entspricht. Sie kann im konkreten Fall hinter dem Aufwand zurückbleiben oder ihn übersteigen. Bestimmend ist insofern das gesetzgeberische Ziel, den Anwälten für ihre Tätigkeit insgesamt eine angemessene Vergütung zu ermöglichen. Der Rechtsanwalt kann demnach eine so genannte Mischkalkulation vornehmen und dabei die Vorteile eines umfassenden und geschlossenen Regelungssystems nutzen“
Oh, doch, denn das ändert nichts daran, dass § 14 RVG nicht erlaubt, eine ganze Kategorie von vornherein allgemein in den unteren Bereich des Rahmens einzuordnen.
Wenn Sie wirklich „RA“ sind, erstaunt mich Ihr Kommentar schon.
Und ich schließe hier jetzt die Kommentarfunktion. Ich habe keine Lust auf Scheindiskussionen. Derselbe „Name“, dann zwar unterschiedliche Emailadressen, aber dieselbe IP-Adresse. Das brauche ich nicht.